Blockchain und Wirtschaft

Foto: Benedikt Notheisen

Die Blockchain-Technologie kann die Wirtschaftswelt für immer verändern. Die Anwendungsbereiche der Blockchain sind nicht auf den Finanzsektor beschränkt, sondern reichen über Logistik und Energiemanagement bis weit in das Internet of Things. Aber nur wenige können erklären, was eine Blockchain überhaupt ist. Zeitenvogel sprach mit Benedikt Notheisen (Institut für Informationswirtschaft und Marketing am KIT) über Funktionsweisen, Anwendungsbereiche und den künftigen Stellenwert von Vertrauen in der Wirtschaftswelt.

ZV: Herr Notheisen, was ist eine Blockchain?

BN: Die Blockchain ist eine spezielle Form eines sogenannten Distributed Ledger, also einer verteilten Datenbank. Solche Distributed Ledger ermöglichen es, eine Übereinkunft – den Konsensus – über neu hinzugefügte Daten zu dezentralisieren.

Das heißt, es findet eine wie auch immer geartete Transaktion zwischen mehreren Parteien statt. Bevor die Transaktionsdaten einer Datenbank hinzugefügt werden, stimmen die Teilnehmer der Datenbank darüber ab, ob diese Daten richtig sind oder nicht. Wird ein Konsens erreicht, werden die Daten in dem System gespeichert. Eine zentrale Instanz, die feststellt, ob die Daten korrekt sind, existiert nicht.

 

Zentrale Elemente der Blockchain

 

ZV: Was sind zentrale Elemente dieses Konzeptes?

BN: Es lassen sich drei zentrale Elemente unterscheiden: Erstens ist das die soeben geschildete verteilte Datenbank. Jeder hat eine Kopie des Ledgers, einem Ordner, in dem alle Transaktionen gespeichert werden. Zweitens werden kryptographische Methoden genutzt, um den Zugriff auf die Datenbank zu ermöglichen und die Reihenfolge von Transaktionen sicherzustellen. Das dritte Element ist der Konsensus-Mechanismus, der es den Teilnehmern erlaubt, über die Validität neuer Daten abzustimmen. Gerade der Konsensus-Mechanismus verbraucht je nach Konzept sehr viel Rechenpower. Dies wird insbesondere am Beispiel der Bitcoin-Blockchain deutlich, deren Konsensus-Mechanismus das Lösen eines zufallsbasierten mathematischen Rätsels erfordert und somit einen immensen Energieverbrauch nach sich zieht.

ZV: Was sind Smart Contracts?

BN: Grundsätzlich handelt es sich bei einer Blockchain um ein abstraktes System aus verschiedenen Knoten, die miteinander interagieren, um alle möglichen Datentransaktionen abzuwickeln. Smart Contracts bieten eine Möglichkeit, um Anwendungen innerhalb dieses Systems zu realisieren. Diese Anwendungen können miteinander, aber auch mit den Nutzern des Systems interagieren.

 

Vorteile und Nachteile der Blockchain

 

ZV: Welche Vorteile bietet die Blockchain-Technologie?

BN: Das hängt sicherlich stark von der jeweiligen Anwendung ab. Ein erster Vorteil der Blockchain ist, dass sie keine zentrale Einheit zur Herstellung des Konsensus benötigt. Darüber hinaus können auch zweitens neue Organisationsformen wie zum Beispiel die DAO entstehen, die keine oder nur geringe menschliche Interaktionen benötigen. Auf dieser Basis lassen sich drittens komplett neue Konzepte im Bereich der Sharing Economy, der Finanzmärkte [Verweis auf Publikation bei externem Anbieter] und weiteren ökonomischen Anwendungsfeldern realisieren.

Ich glaube jedoch nicht, dass durch die Blockchain-Technologie in ihrer aktuellen Form eine Art neues Internet entsteht. In der Praxis werden sich wohl eher einzelne Elemente des Konzeptes durchsetzen.

ZV: Was sind Nachteile der Blockchain?

BN: Auf die immensen Kosten, die durch die Schaffung des Konsensus entstehen sind wir ja bereits eingegangen. Ein weiterer Nachteil der Blockchain ist, dass zwar oft von einer trust-free technology gesprochen wird. Das heißt, ich soll mich auch ohne eine kontrollierende Zentralinstanz auf die Korrektheit der Daten verlassen können. Das ist nach unseren Erkenntnissen aber nicht immer gerechtfertigt. Denn diese Annahme beschränkt sich auf das geschlossene IT-System der Blockchain. Sobald wir das geschlossene System verlassen und eine Verbindung zur echten Welt herstellen, entsteht an dieser Schnittstelle ein Ansatzpunkt für Angriffe.

 

Anwendungsfälle

 

ZV: Welche Anwendungsfälle könnten Sie sich für die Blockchain-Technologie in der mittelständischen Wirtschaft vorstellen?

BN: Grundsätzlich ist die Blockchain-Technologie für die Interaktion von mehreren Teilnehmern gedacht, die einen Konflikt untereinander lösen müssen. Das heißt, es macht in meinen Augen häufig wenig Sinn, wenn ein Unternehmen die Blockchain-Technologie als Gesamtkonzept für interne Prozesse anwenden will.

In vielen Situationen sind Informationsasymmetrien aber ausgesprochen relevant, insbesondere auf Finanzmärkten oder in Wertschöpfungsnetzwerken. Wenn alle Parteien diese Informationsasymmetrien auflösen wollen und können, haben sie einen Anreiz, sich an einem entsprechenden System zu beteiligen.

ZV: Werden sich auch weitere Einsparpotenziale ergeben? Werden zum Beispiel die Aufwendungen für Wirtschaftsanwälte wegfallen?

BN: Smart Contracts ersetzen zwar die Durchsetzung von Vereinbarungen, müssen aber trotzdem noch rechtlichen Standards genügen und initial verhandelt werden. Die Beratung durch Anwälte wird deshalb nicht überflüssig. Allerdings muss eine gemeinsame Sprache für die Kommunikation von Informatikern und Juristen gefunden werden.

Es ist sehr schwierig, Aussagen über eventuelle Effizienzsteigerungen zu treffen. Es gibt immer wieder reißerische Artikel, die behaupten, dass die Einführung der Blockchain-Technologie im weltweiten Wertpapierhandel zu Einsparungen in Höhe von 50 Milliarden Euro führen werde. Ich selbst bin da skeptisch. Effizienzsteigerungen sind aber möglich, etwa bei der Herstellung von Datenkonsistenz und Monitoring-Aktivitäten. Hier kommen die Vorteile der Blockchain-Technologie voll zum Tragen, insbesondere ihre hohe Transparenz.

ZV: Können Sie uns ein Beispiel nennen?

BN: Da eine Blockchain eine komplette historische Aufzeichnung von vergangenen Transaktionen bietet, kann ein Autokäufer zum Beispiel einfach nachvollziehen, wer vorherige Eigentümer waren und daraus schließen ob der Tachostand eines Gebrauchtwagens manipuliert sein könnte [Verweis auf Publikation bei externem Anbieter]. In der Blockchain geht es aber nicht nur um die Übermittlung von Informationen von A nach B, sondern auch um die zuverlässige Speicherung mehrerer Zustandsdaten.

Besonderes Potenzial entfaltet diese Technologie im Kontext des Internet of Things. Um beim Beispiel Auto zu bleiben: Kraftfahrzeuge können heute bei einem Unfall automatisch Notfalldienste informieren. Das Auto ruft aber nicht nur den Notfalldienst, sondern in der Blockchain wird auch gespeichert, dass dieses Kraftfahrzeug ein Unfallwagen ist. Wenn das Auto seinen Zustand selbst an die Blockchain übermittelt, dann ist die Lücke zur echten Welt geschlossen und dadurch weniger anfällig für Manipulationen.

 

Anwendung im Energiemanagement

 

ZV: Wie könnten Anwendungen der Blockchain-Technologie im Kontext Energiemanagement aussehen?

BN: Moderne Energiemärkte werden durch Smart Grids (intelligente Stromnetze) geprägt, in die verschiedene Erzeuger und Verbraucher sehr flexibel eintreten bzw. aus denen sie auch wieder ebenso flexibel ausscheiden können. Diese Märkte sind also sehr stark dezentralisiert und können sich spontan formen. Eine Blockchain bietet für diese Märkte eine ideale Infrastruktur: Jeder kann bei Bedarf mitmachen oder sobald dieser Bedarf nicht mehr besteht, auch wieder ausscheiden [Verweis auf Publikation bei externem Anbieter]. Zu diesen Anwendungsmöglichkeiten gibt es einige größere Forschungsprojekte für Stromzertifizierung wie zum Beispiel LO3 [Verweis auf Publikation bei externem Anbieter] in den USA oder in das Projekt LAMP im deutschen Landau.

 

Vertrauen, Freiheit, Datenschutz

 

ZV: Wie wird die Blockchain-Technologie die Wirtschaftswelt verändern? Werden grundlegende Werte wie zum Beispiel „Vertrauen“ oder „Freiheit“ künftig noch den gleichen Stellenwert haben?

BN: Insbesondere „Vertrauen“ ist ein schwieriges Thema. Die Blockchain-Technologie kann Vertrauen nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Das zeigt sich zum Beispiel in der Sharing Economy: Hier gibt es ein spontanes, verteiltes Setup. Wenn ich zum Beispiel eine Wohnung vermieten oder mieten will, benötige ich eine Plattform, um potentielle Mieter zu finden. Mit einer Blockchain könnte ich die notwendigen Mechanismen abbilden. Das setzt aber voraus, dass ich den Parteien, die im System agieren, vertrauen kann. Dass ich den Mietern meiner Wohnung im Rahmen der Blockchain vertraue, heißt nicht automatisch, dass ich darauf vertrauen kann, dass die Mieter meine Wohnung gut behandeln.

Mehr Informationen und mehr Transparenz können zwar auch zu einem Mehr an Vertrauen führen. Allerdings sind – wie eben gesehen – die Vertrauenskonzepte der Sharing Economy und die entsprechenden Konzepte aus dem Blockchain-Kontext recht unterschiedlich und müssen sich noch stark aufeinander zubewegen [Verweis auf Publikation bei externem Anbieter].

ZV: Gilt dies auch in Bezug auf „Freiheit“ und „Flexibilität“?

BN: Ich glaube schon, dass die Blockchain-Technologie helfen kann, transparenter und effizienter zu interagieren. Ob die Interaktion aber freier wird, kann ich nicht beurteilen. Es gibt ja durchaus einige Datenschutzbedenken. In den meisten Versionen setzt das System voraus, dass ich einen transparenten Überblick über alles habe, was in der Vergangenheit passiert ist. Diese umfassende Speicherung der Daten schreckt viele Unternehmen ab. Erschwerend kommt jetzt sicherlich die DSGVO hinzu: Das Recht auf Vergessenwerden ist schwierig durchzusetzen, wenn man Daten technisch nicht löschen kann.

 

Sicherheit

 

ZV: Wie sicher ist ein Blockchain-basiertes System?

BN: Das kommt darauf an, auf welche Aspekte der Sicherheit wir eingehen. Hinsichtlich der Ausfallsicherheit ist ein verteiltes System, bei dem die Daten mehrfach gespiegelt sind, klar im Vorteil. Hinsichtlich der Garantie, dass die Daten korrekt sind, gibt es aber durchaus Grenzen. Denken wir nur an den Konsensus-Mechanismus: Wenn sich über 50 Prozent der Teilnehmer zusammentun und einen bestimmten Datenbestand zur Wahrheit erklären, wird sich diese Wahrheit im System durchsetzen. Es ist also nicht zu 100 Prozent sicher, dass die Daten, die in der Blockchain als wahr gelten, auch wirklich korrekt sind. Und: Was einmal gespeichert ist kann nichtmehr gelöscht werden.

ZV: Wie kamen Sie zu dieser Thematik?

BN: Ich bin Wirtschaftsingenieur. Vor drei Jahren begann ich, Märkte für Kryptowährungen mit klassischen Methoden der Finanzwirtschaft zu untersuchen. Viel interessanter fand ich aber die Technologie dahinter, die Blockchain. Gerade in Bezug auf die Funktionsweise von Märkten hat die Blockchain-Technologie unglaubliches Potenzial: Märkte sind ja eigentlich zentrale Plätze zum Tausch von Gütern. Dank der Blockchain sind nun auch Märkte ohne zentralen Marktplatz möglich. Darüber hinaus hat die Transparenz, die mit der Nutzung einer Blockchain einhergeht, vielfältige Auswirkungen auf das Verhalten der Marktteilnehmer. In meiner Forschung untersuche ich die ökonomischen Auswirkungen dieser fundamentalen Änderungen.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

M.Sc. Benedikt Notheisen

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Institut für Informationswirtschaft und Marketing (IISM)

Fritz-Erler-Straße 23 (Röserhaus)

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76133 Karlsruhe

http://im.iism.kit.edu

benedikt.notheisen@kit.edu

 

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