Bei Verspätung rebellieren

Foto: Stefan Nitz

Verspätungen sind bei Bahnreisen alltäglich geworden. Die Inanspruchnahme der Fahrgastrechte ist hingegen kompliziert. Refundrebel will diesen Prozess vereinfachen. Zeitenvogel sprach mit Stefan Nitz über Fahrgastrechte, Entschädigungen und Gründungen in Deutschland.

ZV: Herr Nitz, was ist refundrebel?

SN: Refundrebel bietet eine Plattform, um „analoge“ Fahrgastrechte „digital“ wahrzunehmen. Fahrgäste, die refundrebel nutzen, müssen keine komplexen Papierformulare mit großem Zeit- und Rechercheaufwand ausfüllen: Welche Zugnummer war das nochmal? Wie groß war die Verspätung? Wann bin ich wirklich abgefahren?

Die Kunden von refundrebel laden ihr Ticket einfach auf unsere Web-Plattform hoch, geben noch ein paar Zusatzinformationen ein und wir nehmen die Fahrgastrechte bei der Bahn automatisiert wahr.

ZV: Ihr Geschäftsmodell richtet sich aber nicht nur an Privatkunden?

SN: Nein, unser Geschäftsmodell richtet sich auch an B-to-B-Kunden. Wir wenden uns vor allem an Unternehmen, deren Mitarbeiter ein hohes Reisevolumen haben. Die dort entstehenden Ansprüche auf Entschädigung werden praktisch nicht wahrgenommen: Die Mitarbeiter können keine Entschädigungen einfordern, da sie das Ticket nicht bezahlt haben, für die Unternehmen lohnen sich die arbeitsintensiven Prozesse zur Geltendmachung der Fahrgastrechte im Normalfall nicht. So wird viel Geld verschenkt. 

ZV: Welche Rechte auf Entschädigung hat ein Fahrgast und welche dieser Rechte nehmen Sie für Ihre Kunden wahr?

SN: Die entsprechende EU-Verordnung sieht vor, dass ich bei einem Zugausfall von meiner Reise zurücktreten kann. Wenn eine Zugverspätung eintritt, die größer oder gleich 60 Minuten ist, habe ich Anspruch auf eine Entschädigung. Unter Umständen werden auch Hotel- und Taxikosten ersetzt.

Wir kümmern uns aber nicht nur um diese Standard-Entschädigungen, sondern auch um Fälle, die das Bahnformular nicht abdeckt. Das betrifft vor allem verfallene Sitzplatzreservierungen, wenn der entsprechende Wagen angehängt wurde oder Erste-Klasse-Tickets die nicht genutzt werden können, da keine Erste-Klasse-Wagen zur Verfügung stehen und der Kunde somit ein „Downgrade“ in die zweite Klasse erhalten hat. Die Kunden verschenken dann im Normalfall die 4,50 Euro für eine Reservierung oder den Aufpreis für die Erste Klasse. Wir übernehmen auch diese Fälle.

ZV: Gilt Ihr Angebot nur für die Entschädigungsleistungen der Deutsche Bahn AG?

SN: Da die Fahrgastrechte auf einer EU-Verordnung basieren, kann man sie gegenüber allen Eisenbahnverkehrsgesellschaften in Europa geltend machen. In Deutschland ist die Deutsche Bahn die größte Gesellschaft. Wir planen aber auch, unser Angebot auf andere Länder innerhalb der EU – wie Spanien und Frankreich – auszuweiten.

ZV: Was passiert in den Fällen, in denen ein Bahnunternehmen einen Ermessensspielraum hat?

SN: Grundsätzlich gibt es nur in wenigen Fällen einen Ermessensspielraum. Aktuell sind die Bahnunternehmen zum Beispiel auch bei höherer Gewalt zu Entschädigungsleistungen verpflichtet. Das kann sich zwar möglicherweise in Zukunft ändern. Die Bahnunternehmen werden dann aber beweisen müssen, dass wirklich höhere Gewalt im Spiel war. Wir werden diese Beweiskette durch Big-Data-Analysen überprüfen, zum Beispiel können wir durch die Untersuchung von Wetterdaten erkennen, ob es zur entsprechenden Zeit auf der entsprechenden Strecke wirklich einen Sturm gab.

ZV: Wie kann man sich den Ablauf des von Ihnen angebotenen Verfahrens vorstellen?

SN: Unser Verfahren wird im B-to-B-Bereich am stärksten automatisiert sein. Sobald ein Unternehmen eine Bahnfahrt für einen Mitarbeiter gebucht hat, sendet es uns vor dem Antritt der jeweiligen Fahrt die entsprechende Fahrkarte. Wir können dann die Fahrt überwachen und vergleichen die Reisedaten mit den gemeldeten aktuellen Verspätungen und Zugausfällen. Wir können so für jedes Ticket überprüfen, welcher Anspruch jeweils besteht bzw. bestehen kann.

ZV: Muss ein Unternehmen im Entschädigungsfall die abgestempelte Karte einreichen?

SN: Das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Man muss für die Wahrnehmung der eigenen Ansprüche keine abgestempelte Karte vorlegen. Eine Kopie der jeweiligen Fahrkarte – ob Einzelfahrschein oder Monatsticket – ist vollkommen ausreichend.

ZV: Welche Kosten entstehen Ihren Kunden?

SN: Unseren Kunden entstehen zunächst keine Kosten. Wir prüfen die Ansprüche kostenlos. Erst im Erfolgsfall einer durchgesetzten Entschädigung behalten wir 25 Prozent der jeweiligen Entschädigungssumme zzgl. Mehrwertsteuer ein.

ZV: Das Modell, das Sie anbieten, kennt man aus dem Flugverkehr bereits seit längerer Zeit. Ist bislang noch niemand in Deutschland auf die Idee gekommen, es auf den Bahnverkehr anzuwenden?

SN: Es gibt bereits Unternehmen, die entsprechende Modelle entwickelt haben. Wir meinen jedoch, dass es sich hierbei um nichts Weiteres als digitalisierte Papierformulare handelt. Das heißt, die bislang angebotenen Verfahren sind kaum automatisiert und für den jeweiligen Kunden noch immer sehr kompliziert.

Der wichtigste Unterschied unseres Geschäftsmodells zu den bislang angebotenen Verfahren ist, dass wir ein Inkassodienstleister sind. Wir dürfen im Gegensatz zu den bisherigen Anbietern also Rechtsberatungen durchführen. Wir kennen die Feinheiten der EU-Verordnung sehr gut und sind so in der Lage, für unsere Kunden die bestmöglichen Entschädigungszahlungen zu erlangen.

ZV: Mit welchen Reaktionen der Bahnunternehmen rechnen Sie?

SN: Die genauen Reaktionen können wir noch nicht absehen. Meist werden wir gefragt, ob die Deutsche Bahn vielleicht bald selbst ein entsprechendes Interface entwickelt, mit dessen Hilfe die Kunden Entschädigungsansprüche melden können. Ich denke, dass diese Gefahr recht klein ist – die Bahn hätte durch eine bessere Abwicklung der Entschädigungsleistungen hohe selbstverursachte Verluste zu befürchten und das wäre ein Schnitt ins eigene Fleisch.

ZV: Inwiefern greifen Sie auf Künstliche Intelligenz zurück?

SN: Unser Geschäftsmodell ist hochautomatisiert: Wir können über komplexe OCR-Prozesse, die wir semantisch gegen Datenbanken prüfen, verschiedene Ticket-Typen erkennen, die notwendigen Daten extrahieren und überprüfen, ob die Informationen valide sind. In diesen Prozessen kommt Künstliche Intelligenz in einem selbstlernenden System zum Einsatz.

ZV: Programmieren Sie die entsprechende Software selbst?

SN: Aktuell ist alles eine Eigenentwicklung. Wir haben aber parallel zu unserem Vorhaben auch Forschungsarbeiten mit Studierenden laufen, die kleinere Themen bearbeiten.

ZV: Bieten Sie auch Affiliate-Programme an?

SN: Unsere drei Zielgruppen für Kooperationen im B-to-B-Bereich sind große Unternehmen, herkömmliche Business-Travel-Agencies und Buchungsportale im Internet.

Wir haben aber ebenso analysiert, welche Websites Bahnfahrer neben den eigentlichen Buchungsseiten zusätzlich nutzen und kamen auf Reise- und Bahnfahrer-Blogs. Wir möchten diesen Blogs die Möglichkeit bieten, uns gegen eine entsprechende Provision zu bewerben. Deshalb bieten wir ein Affiliate-Widget an, das auf der jeweiligen Website integrierbar ist und mit dem man rasch prüfen kann, ob Möglichkeiten einer Entschädigung gegeben sind. Dann werden die Kunden auf unsere Website weitergeleitet.

ZV: Und was machen Sie, wenn die Bahnen pünktlicher werden?

SN: Dann freuen wir uns für unsere Kunden. Wir möchten natürlich, dass sie pünktlich und problemlos ankommen. Ich bin selbst Vielfahrer und sitze zwischen 15 und 20 Stunden pro Woche in der Bahn. Gegenwärtig glauben wir aber nicht, dass sich die Pünktlichkeit und Zuverlässig soweit verbessert, dass unser Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert.

ZV: Welche weiteren Anwendungsbereiche Ihres Geschäftsmodells sehen Sie?

SN: Zunächst werden wir uns wie gesagt auf den Bahnbereich in Europa konzentrieren. Nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich und Spanien sind interessante Märkte. Wir haben uns aber ganz bewusst refundrebel und nicht trainrebel genannt. Grundsätzlich kommen für uns nämlich alle Geschäftsbereiche in Betracht, in denen wir Kunden bei der Einforderung ihrer Entschädigungszahlungen helfen können, zum Beispiel Flüge, Busreisen und Fähren.

ZV: Was könnte man beim Gründungsprozess in Deutschland verbessern?

SN: Wir sind ein Legal-Tech-Unternehmen und müssen für unser Geschäftsmodell als Inkassodienstleister registriert sein. Es dauert Monate bis ein entsprechender Antrag erfolgreich bearbeitet wird. Das ist der Flaschenhals, in dem der Launch unseres Produktes steckenblieb.

Auch andere Verwaltungsakte – wie etwa die Gründung einer GmbH – dauern sehr, sehr lange. Wenn wir nach Skandinavien schauen, sehen wir, dass es auch schneller gehen kann. Gründer sollten sich mit ihren Ideen und ihren Produkten auseinandersetzen und nicht mit bürokratischen Hürden.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

Gewinner beim firecamp 2018; Foto: Stefan Nitz

Stefan Nitz

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