Blockchain und Strommarkt

Neue Technologien bieten die Möglichkeit, den Strommarkt der Zukunft intelligent zu gestalten und die Energiewende zu realisieren. Zeitenvogel sprach mit Marco Schmidt (Pfenning Elektroanlagen) und Wolfgang Krauss (acteno energy) über Speicherlösungen, Smart Contracts, Blockchain, Elektromobilität und intelligente Messsysteme.

Foto: Marco Schmidt

ZV: Herr Schmidt, wo sehen Sie auf dem jetzigen Strommarkt Perspektiven für neue Geschäftsmodelle?

MS: Das Design unseres Strommarktes wandelt sich von einer zentralen zu einer dezentralen Marktstruktur. Das ist eine notwendige Entwicklung: In den letzten 18 Jahren wurden 1,6 Millionen Erzeugungsanalagen im Umfeld der erneuerbaren Energien in den Wirkungsbereich des EEG (Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien) integriert. Die Verbraucher der Vergangenheit müssen zu den Prosumern der Zukunft werden.

Die Flexibilisierung des Marktes eröffnet viele Möglichkeiten, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Es geht nicht nur um zeitabhängige, stundenbasierte Stromtarifmodelle, sondern auch um die Flexibilisierung der Stromversorgung durch technische Maßnahmen. Hier bietet sich vor allem die Integration von Stromspeichern an, um den neuen Herausforderungen, wie etwa der Elektromobilität, nachhaltig zu begegnen.

ZV: Welche Herausforderungen stellen sich im Moment noch an Stromspeicher?

MS: Viele der Herausforderungen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, ergeben sich aus der Regulierung des Marktes. Das gewachsene System der Vergangenheit basiert auf der Wechselbeziehung von Erzeuger, Transport im Netz und Verbraucher. Wir müssen aber zu einem Energiesystem kommen, das – wie der Gasmarkt – auf vier Pfeilern ruht: Erzeugung, Transport, Speicherung und Verbrauch.

Es ist im Moment nicht klar definiert, ob ein Stromspeicher eine Erzeugungsanlage oder eine Verbrauchsanlage ist. Man behilft sich mit juristischen und netztechnischen Notlösungen bei der Vertragsgestaltung. Eine entsprechende Legaldefinition für Stromspeicher ist dringend notwendig. Nur so kann sichergestellt werden, dass Stromspeicher in das Miteinander von gewachsenen und neuen Strukturen der Energieversorgung integriert werden können. Deutschland hinkt hier noch etwas hinterher. Ich hoffe auf die EU-Energiekommission, die sich im EU-Winterpaket noch stärker mit den Stromspeichern befassen möchte.

ZV: Welche Technik ist für die Speicherung von Energie im Moment am besten geeignet?

MS: Es gibt nicht die beste Speichermöglichkeit. Es gibt vielmehr Speichermöglichkeiten, die für bestimmte Anwendungsfälle des jeweiligen Kunden besser als andere geeignet sind. Die von uns angebotenen Lithium-Ionen-Zellen wurden bereits in den 1970er-Jahren entwickelt, das heißt, es gibt ein großes Erfahrungsfeld.

In den Fokus der breiteren Öffentlichkeit gerieten diese Stromspeicher erst wieder durch die Entwicklungen im Bereich der Elektromobilität. Die Anwendungsmöglichkeiten sind aber viel breiter: Mit Lithium-Ionen-Speichern können Systemleistungen abgebildet, Frequenzhaltungen vorgenommen und Eigenverbrauchserhöhungen ausgeglichen werden. Mit der Weiterentwicklung der gesetzlichen Sicherheitsanforderungen sind auch ganz neue Anwendungen kompakter Versorgungsoptimierung im privaten Wohnumfeld, in Industrie und Kommunen, also eben Quartier-Versorgungskonzepte möglich.

ZV: Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang ein modernes Messwesen?

Foto: Wolfang Krauss

WK: Insbesondere im gewerblichen Bereich und bei größeren Erzeugungsanlagen eröffnen moderne Techniken die Möglichkeit, den Stromverbrauch sehr genau zu messen und zu bilanzieren. Für einen optimalen Energiemix ist dies unabdingbar.

Die Zeiträume zwischen dem Zeitpunkt der Messung und der Marktteilnahme können sehr weit auseinanderliegen. Das ist weniger der Mess- und Kommunikationstechnik geschuldet als vielmehr den regulativen Bestimmungen. Der Markt erwartet heute einmal am Tag für den Vortag alle Messdaten. Ich habe also einen Zeitversatz von sechs, 24 oder 36 Stunden zwischen dem, was tatsächlich gemessen bzw. verkauft wurde und dem Marktwissen. Dieser Zeitversatz verringert sich mit den Möglichkeiten echter IP-Kommunikation sehr stark und ermöglicht die zeitnahe Verknüpfung von Messung, Handel und anderen Anwendungsfällen.

ZV: Welche Bedeutung werden Ihrer Meinung nach künftig Smart Contracts gewinnen?

WK: Die Blockchain bietet gerade in der Energiewirtschaft ein erhebliches Potenzial. Wir haben eine Vielzahl von Marktteilnehmern: Lieferanten, Netzbetreibern, Bilanzkreisverantwortlichen, Messstellenbetreibern und Verbrauchern. Der Markt wird immer komplexer und es wird mit herkömmlichen Techniken zunehmend schwierig, den Überblick zu wahren. Hinzu treten Fragen der Datensicherheit, der Datenintegrität und der Datenauthentizität.

All diese Anforderungen kann die Blockchain vielleicht tatsächlich besser erfüllen als andere Mechanismen. Gleichwohl gibt es noch einige Punkte, die nicht abschließend geklärt sind, etwa die Definition der jeweiligen Rollen oder die zugrundeliegende Governance-Struktur. Erst wenn diese grundlegenden Fragen geklärt sind, können wir das Potenzial der Blockchain voll ausschöpfen.

ZV: Von welchem Potenzial der Blockchain sprechen wir hier genau?

Tobias Erckmann (acteno energy): Die Blockchain bietet sich insbesondere bei Transaktionen an, die dezentral geregelt werden sollen und bei denen kein Vertrauen in den jeweiligen Vertragspartner vorausgesetzt werden kann. Die Blockchain kann diese Transaktionen vereinfachen, allerdings gibt es noch Probleme im Bereich der Gesetzgebung. Eine der wichtigsten Fragen ist also: Wie können die neuen Technologien gesetzeskonform umgesetzt werden?

ZV: Stichwort Big-Data-Analyse: Werden auch Stromspeicher künftig mehr Daten sammeln und aufgrund dieser Daten autonomer als bislang am Markt agieren?

MS: Bereits heute sammeln und aggregieren die verschiedenen Messsysteme eine Vielzahl an Daten. Künftig wird sich noch drängender als heute die Frage stellen, wie wir mit diesen Daten umgehen. Meines Erachtens sollte es möglich sein, diesen Datenschatz in einer transparenten und für alle nachvollziehbaren Art und Weise umfassender als bisher für neue Geschäftsmodelle zu nutzen, die den Menschen wiederum das Leben erleichtern.

Neue Technologien stoßen in der Anfangszeit häufig auf Skepsis – denken Sie nur an die Einführung des Automobils oder des Internets. Neue Technologien halten aber auch viele Möglichkeiten bereit, unser Miteinander eigenverantwortlich besser zu organisieren.

ZV: Benötigen wir also ein neues Konzept des Datenschutzes?

WK: In allen Bereichen unseres Lebens fallen heute viel mehr Daten als noch vor zehn Jahren an. Datenerfassung und Datenspeicherung sind in den letzten Jahren sehr viel günstiger geworden. Es stellt sich aber natürlich die Frage, wer diese Daten erfasst: Wenn Sie Ihr Smartphone gebrauchen oder mit Ihrer Kreditkarte eine Fahrkarte kaufen, werden auch Bewegungsdaten erfasst. Trotzdem werden diese Daten nicht von ihnen selbst als ausführende Person erhoben, sie treten diese Daten vielmehr an den jeweiligen Dienstleister ab. Zugleich muss man allerdings auch betonen, dass es gesellschaftlich akzeptiert wird, Daten abzugeben.

Man muss schauen, wie man die notwendige Erfassung und Auswertung der Daten künftig so organisiert, dass die wichtigen Ziele – Datensicherheit, Datensparsamkeit, Datenschutz – gewährleistet werden. Ob das über ein personenbezogenes Datenkonto geht oder über eine Blockchain, bei der ich selbst festlegen kann, wer auf meine Daten Zugriff hat, das sollten die technischen bzw. wirtschaftlichen Entwicklungen des freien Marktes ergeben.

ZV: Ein bedeutendes Problem beim Datenaustausch sind die noch die fehlenden Standards. Wie lässt sich dieses Problem lösen?

WK: Theoretisch gibt es Standardorganisationen, die beschreiben, wie die Kommunikation der Marktteilnehmer aussehen soll. Dann gibt es technische Verfahren, wie die Kommunikation umgesetzt werden kann. In der Praxis müssen wir aber darauf achten, dass wir nicht doppelte oder dreifache Strukturen aufbauen, die sich gegenseitig und so auch die Marktteilnehmer behindern. Insbesondere im Energiemarkt sehen wir, dass über Standardisierungsorganisationen Strukturen geschaffen werden, die so komplex und unüberwindbar sind, dass sich dadurch sehr hohe Markteintrittsschwellen für neue Marktteilnehmer ergeben.

Der Strommarkt ist meiner Auffassung nach überreguliert und leidet unter einer auf einzelne Verfahren und Technologien zentrierten Strukturpolitik. Viel besser wäre es, technologieoffen vorzugehen: Man gibt ein Ziel vor, das erreicht werden soll und findet einen gemeinsamen Konsens.

ZV: Eine andere Frage: Was ist mit dem Wasserstoff passiert? Wo ist er in Bezug auf Mobilität und als Energiespeicher abgeblieben?

MS: Alles braucht seine Zeit: Zeit zur Entwicklung, Zeit zur Vervollkommnung und auch der Markt braucht seine Zeit. Heute sind wir zwar mit der Membranforschungstechnik bereits wesentlich weiter als noch vor 20 Jahren. Es macht mehr denn je Sinn, Überkapazitäten, die – etwa bei der Windkraft – ungenutzt verloren gehen für Power-to-Gas oder Power-to-X zu nutzen.

Es gibt beim Wasserstoff aber einige Herausforderungen, Sicherheit und Gesamtwirkungsgrade sind nur zwei davon. So gibt es heute zwar bereits hervorragende Vorreitermodelle bei Power-to-Gas, die einen Gesamtwirkungsgrad von 45 bis 60 Prozent aufweisen. Lithium-Ionen-Speicher erreichen hingegen einen Gesamtwirkungsgrad von circa 90 Prozent. Ein normales Auto verliert zwar immer noch 60 Prozent des Energieeinsatzes durch Wärme. Das Benzin verfügt hingegen über eine sehr hohe Energiedichte, die sehr schnell und sicher getankt bzw. „geladen“ werden kann.

Es stellt sich deshalb auch bei der Wasserstofftechnologie die grundlegende Frage: Wann und in welchen Anwendungsbereichen ist diese Technologie wirtschaftlich? Ich glaube, in diese Phase steigen wir beim Wasserstoff gerade ein. Auf der einen Seite ist die Energieerzeugung mit fossilen Rohstoffen – wenn man alle Kosten, auch die langfristigen betrachtet – recht teuer. Auf der anderen Seite produzieren wir jetzt dank der Solar- und Windenergie Strom zu Grenzkostenpreisen, die in der Vergangenheit gar nicht möglich waren.

Für ein paar Jahrzehnte werden wohl noch verschiedene Technologien nebeneinander existieren. Eine davon wird die Wasserstofftechnologie sein. Es gibt für jeden Einsatzzweck eine Lösung. Die Frage ist, welche die wirtschaftlichste, die effizienteste und die nachhaltigste ist.

ZV: Welche Herausforderungen ergeben sich durch die verstärkte Nutzung der Elektromobilität?

MS: Die Herausforderungen sind ganz unterschiedlicher Art. Problematisch ist weniger die Frage, wie die Energiemenge bereitgestellt werden soll, die für eine umfassende Elektromobilität notwendig ist. Deutschland ist Exportland für Energie. Wir haben kein Kilowattstunden-Problem, wir haben ein Leistungsproblem: Unsere Netze wurden zu einer Zeit geplant und ausgebaut, als es zentrale Strukturen des Energieverteilungssystems mit festen Abnahmemengen gab. Die heutigen Strukturen sind von den erwähnten 1,6 Millionen Erzeugungseinheiten nach dem EEG geprägt und diese Energie aus Sonne und Wind unterliegt starker Volatilität. Das muss gemanagt werden.

Darüber hinaus sind Elektrofahrzeuge – wie alle anderen Kraftfahrzeuge – eigentlich Steh-zeuge sind. Es wird aber künftig kaum praktikabel sein, dass alle diese Fahrzeuge gleichzeitig am Feierabend für den nächsten Morgen geladen werden. Wenn man dies nicht intelligent handhabt, würden wir Leistungsreserven benötigen, die uns heute gar nicht zur Verfügung stehen. Und ein viel drängenderes Problem: Unsere Standardhausanschlüsse sind nicht einmal annähernd für eine Ladetechnologie der Zukunft ausgelegt, von den Anschlüssen in den Tiefgaragenstellplätzen ganz zu schweigen.

Elektromobilität bedeutet also, dass die künftige Energiebereitstellung flexibel gesteuert und intelligent kommuniziert werden muss. Stromspeicher spielen hier eine bedeutende Rolle, weil sie diese Flexibilität intelligent bereitstellen können.

ZV: Stellen diese Entwicklungen auch an Stromzähler neue Herausforderungen?

MS: Wir wissen wenig über die Spannungsverhältnisse und anliegenden Blindleistungen auf der Niederspannungsebene unserer Verteilnetze. Auch dies ist der Tatsache geschuldet, dass in unserer Energieverteilungsstruktur bislang ein Top-Down-Ansatz dominierte. Jetzt bietet sich die Chance, dass die Messsysteme – wie im System von acteno – Abrechnungsaufgaben bedienen und gleichzeitig interessante Netz-Zustandsinformationen liefern können, ohne dass wir eine Parallelstruktur von Netzanalyse-Systemen benötigen. Ein moderner Stromzähler, wie er von der Industrie eingesetzt wird, kann auch die Daten messen, die zur Fehleranalyse im Netz eingesetzt werden.

Diese Informationen kommen dann wieder den Speichersystemen und Last-Management-Systemen zugute. So ergeben sich auch ganz neue Anwendungsmöglichkeiten für Stromspeicher: Der Besitzer eines Stromspeichers kann seinem Nachbarn bei Bedarf Energie bereitstellen. Die Information über den entsprechenden Flexibilitätsbedarf wird durch das Messgerät registriert, die eigentliche Entscheidung von Angebot und Nachfrage aber woanders getroffen.

ZV: Können also auch Stromspeicher durch moderne Datenanalyse besser konfiguriert werden?

MS: Ich glaube, dass die Möglichkeiten der Datenauswertung bei Stromspeichern heute grundsätzlich schon vorhanden sind. Die entscheidende Frage ist, was Marktdesign und gesetzliche Regelungen erlauben. Hier werden neue Marktmodelle wohl die Möglichkeit bieten, Strompreis-Flexibilisierungen vorzunehmen und die Spitzlastoptimierung für Gewerbe und Industrie voranzutreiben. So wird wieder mehr Verantwortung an den Verbraucher zurückgegeben.

Big-Data-Ansätze werden den Anbietern von Stromspeichern die Möglichkeit bieten, vorausschauend bestimmte Einsatzszenarien zu planen. So können auf der einen Seite Abweichungen in der Prognosegüte kompensiert werden. Auf der anderen Seite kann der Einsatz der Speicher besser auf die jeweiligen Erzeugungsanalagen – ob fossil oder erneuerbar – abgestimmt werden. So wird sich auch in Zukunft die flexible Versorgung des Markbedarfs sicherstellen lassen.

ZV: Was wünschen Sie sich von der neuen Regierung?

WK: Die Technologien, über die wir heute verfügen um Energie zu erzeugen, zu verteilen und zu verbrauchen, haben sich phantastisch weiterentwickelt. Gleichzeitig finden wir im Erneuerbaren Energie Gesetz (EEG) zahlreiche Regelungen, welche eine Integration der erneuerbaren eher hindern als fördern. Meiner Auffassung nach wird hier ein Übermaß an Strukturpolitik betrieben, die technologie- innovations- und markthemmend ist. Ein zukunftsfähiger Energiemarkt wird sich aber nur auf der Grundlage einer technologieoffenen Infrastruktur entwickeln.

Wir wollen eine wirtschaftliche, saubere und nachhaltige Energieversorgung. Dann sollte der Markt auch die echten CO2-Preise widerspiegeln. Gerade aus der Industrie werden Rufe danach laut. So könnten wir bei den CO2-Emissionen doch noch die Kurve bekommen.

Ich würde mir auch sehr wünschen, dass wir den Bürokratiedschungel, der im Moment vorherrscht, etwas lichten können. Ein Beispiel: 2004 war das EEG ein Dokument von 21 Seiten, heute sind es 134 Seiten, hinzu kommt mittlerweile ein eigenes Gesetz zum Messstellenbetrieb mit 77 Paragraphen.

Und noch eine kleine Frage am Rande: Weshalb dürfen laut EEG neue Erzeugungsanlagen, die in die Direktvermarktung gehen, nicht gleichzeitig dem Eigenverbrauch dienen? Das macht für mich keinerlei Sinn. Der Strom, der nicht erst übertragen und dann woanders konsumiert wird, sondern lokal dort verbraucht wird, wo man ihn erzeugt, wird viel effizienter erzeugt und eingesetzt als im umgekehrten Fall. Lassen Sie uns mit Wirtschaft und Politik den Umbau unserer Energieversorgungsinfrastruktur gestalten.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Marco Schmidt

Pfenning Elektroanlagen GmbH

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marco.schmidt@pfenning-elektroanlagen.de

 

Wolfgang Krauss

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