Die Vermessung der Region

Foto: Hartmut Gündra

Nicht nur durch die jüngsten Fortschritte des teilautonomen Fahrens rücken Geodaten in das Zentrum wirtschaftlichen Handelns. Zeitenvogel sprach mit Hartmut Gündra (GeoNet.MRN e.V.) über Open Data, die wirtschaftliche Verwertung von Geodaten und den digitalen Erlebnisraum Rhein-Neckar.

ZV: Herr Gündra, was sind Geoinformationen?

HG: Geoinformationen sind alle Informationen, die einen Raumbezug haben. Ungefähr 80 Prozent aller Entscheidungen in unserer Gesellschaft sind direkt von Geoinformationen abhängig. Allerdings gibt es wohl kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der nicht durch Geoinformationen beeinflusst wird. Das betrifft die uns allen bekannten Navigationsgeräten ebenso wie Wetterkarten und komplexe Unternehmensanwendungen.

Bereits in den 1960er Jahren entstanden die ersten Geoinformationssysteme. In den 1990er Jahren kam es zu einem ersten Boom der Geoinformationswirtschaft, vor allem in der Verwaltung. Inzwischen führt auch die Privatwirtschaft großflächige Erhebung von Geodaten durch, zum Beispiel im Umfeld des autonomen Fahrens.

ZV: Was ist das Problem bei der Erhebung von Geoinformationen?

HG: Der größte Teil der vorliegenden und neu erhobenen Geoinformationen ist nicht frei verfügbar, obwohl sie für Open-Data-Anwendungen ausgesprochen interessant sind. Denken Sie nur an Bürgerversammlungen, dort wird auf jeder zweiten Folie eine Karte gezeigt. Dennoch ist die Zugänglichkeit von Kartenmaterial nicht so einfach gegeben. Deshalb ist es ein wesentliches Satzungsziel von GeoNet.MRN (Netzwerk Geoinformation der Metropolregion Rhein-Neckar e.V.), die Bereitstellung und die Verfügbarkeit von Geoinformationen zu unterstützen und zu vereinfachen.

ZV: Wie entstand GeoNet.MRN?

HG: Die Ursprünge von GeoNet.MRN (Netzwerk Geoinformation der Metropolregion Rhein-Neckar) liegen in der Neueinrichtung des Lehrstuhls Geoinformatik am Geographischen Institut der Universität Heidelberg. Professor Alexander Zipf startete die Initiative, die Akteure in der Region zusammenzubringen, die sich mit Geoinformatik befassen. 2011 wurde der Verein Geoinformation der Metropolregion Rhein-Neckar gegründet.

Dank der Unterstützung durch die Metropolregion Rhein-Neckar GmbH konnten wir 2012 den Cluster-Wettbewerb des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg gewinnen. Mittlerweile ist die Geschäftsstelle des Vereins an der Abteilung Geographie der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg verortet. GeoNet.MRN wird derzeit von der Klaus-Tschira-Stiftung gefördert, kann aber auch über eigene Mitgliedsbeiträge und eingeworbene Fördermittel verfügen.

ZV: Wer sind die Partner von GeoNet.MRN?

HG: Wir verstehen uns als klassische Tripelhelix-Organisation, das heißt wir legen Wert darauf, dass unsere Mitglieder aus den Bereichen Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft stammen. Genauso ist auch unser Vorstand aufgebaut.

ZV: Was ist für Sie Digitalisierung?

HG: Digitalisierung beinhaltet für mich im engeren Sinn die automatisierte Bearbeitung von Prozessen durch die eigenständige Kommunikation autonomer Einheiten. In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung von Geoinformationen noch weiter zunehmen, denn jede Einheit, die mit anderen kommuniziert, muss wissen, wo sie ist. Die Arbeit von GeoNet.MRN ist deshalb für viele der Zukunftsmärkte wie etwa Intralogistik und Indoor-Navigation interessant.

Wir helfen aber auch bei der Digitalisierung der Verwaltung. Die Metropolregion Rhein-Neckar hat das Projekt „Virtuelles Bauamt Metropolregion Rhein-Neckar“ initiiert, dessen Ziel es ist, Bauanträge digital einreichen und Genehmigungsprozess digital durchführen zu können. Auch hierfür sind Geoinformationen notwendig, zum Beispiel digitale Bebauungspläne, aus denen die baurechtlichen Vorgaben ausgelesen werden können. Die bebaubare Kubatur wird dann automatisch erzeugt und ermöglicht es, den Bauantrag zu kontrollieren und schließlich online einzureichen. Auf diese Weise können viele Probleme, die sich bislang ergeben, umgangen werden.

ZV: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um Geodaten wirtschaftlich zu verwerten?

HG: Aus unsere Sicht ist die klassische Geodateninfrastruktur nicht geeignet, Wertschöpfungsprozesse der Geoinformationswirtschaft effektiv zu unterstützen. Bislang fehlt zum Beispiel die Integration privatwirtschaftlicher Angebote, wie sie etwa im Konzept der Urban Data Spaces vorgesehen ist. Uns geht es darum, kooperative, intelligent vernetzte Strukturen zu schaffen. In der Satzung unseres gemeinnützigen Vereins ist festgehalten, dass wir die Metropolregion Rhein-Neckar beim Aufbau einer innovativen Regionaldateninfrastruktur unterstützen.

ZV: Können Sie uns ein Beispiel nennen?

HG: Gemeinsam mit dem VRN und dem Kulturbüro der MRN GmbH haben wir das Projekt „XPress. Der digitale Erlebnisraum Rhein-Neckar“ initiiert. Wir wollen eine kooperative Point-of-Interest-Dateninfrastruktur schaffen. Diese Datengrundlage soll auf einer offenen Plattform auch Geschäftsmodellen aus den Bereichen Kultur, Freizeit und Tourismus zur Verfügung stehen.

ZV: Ich kann mir also ein bestimmtes Ziel suchen und mich zugleich informieren, wie ich dieses Ziel erreichen kann?

HG: Genau. Wir können drei Anwendungsfälle unterscheiden. Das erste Beispiel ist eine vierköpfige Familie, die an einem nebligen Sonntag etwas unternehmen will und deren Kinder sich für das Thema Mittelalter interessieren. XPress beantwortet dann die Frage, was diese Familie wo erleben kann, ohne ein Auto benutzen zu müssen. Unser Ziel ist es, eine Erweiterung der VRN-App zur Verfügung zu stellen, die das Angebot des VRN mit den jeweils interessanten Orten verknüpft.

Ein zweiter Anwendungsbereich von XPress sind themengeführte Routen. Die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt, seien es nun bestimmte Fahrradrouten, sei es eine Stadtführung zum Thema Barock in Heidelberg und Mannheim. Der dritte Anwendungsfall ist die sogenannte Schutzengel-Funktion: Bei Verkehrseinschränkungen durch Glatteis oder Stau kann XPress die am besten geeigneten Verkehrsmittel vorschlagen, um das jeweilige Ziel zu erreichen.

ZV: Aber auch Logistikunternehmen können von Ihrer Arbeit profitieren?

HG: Ja. Mit xDataToGo, einem Projekt, das über drei Jahre vom Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur gefördert wird, bauen wir eine kooperative Regionaldateninfrastruktur auf, die sich den Straßen widmet, den Lebensadern unserer Gesellschaft. Der Straßenraum erlebt im Moment einen regelrechten Digitalisierungsboom. Bislang fehlt allerdings eine Plattform, auf der straßenbezogene Geoinformationen gesammelt, ausgetauscht und verwertet werden können. Das ist das Ziel unseres Projektes.

Wir prüfen die Möglichkeiten einer solchen Plattform an einem besonders schwierigen Anwendungsfall, dem Schwerlast-Routing. Das sind Transporte, die nicht der Straßenverkehrsordnung entsprechen, zum Beispiel der Transport von Windradflügeln. Digitale Daten des Straßenraums ermöglichen es, im Vorfeld zu prüfen, ob sich für einen bestimmten Transport Probleme ergeben. So wollen wir auch die Genehmigungsverfahren für Großraum-Schwerlasttransporte optimieren und vor allem zu beschleunigen.

ZV: Und die Radfahrer?

HG: Nachhaltige Mobilität und damit auch Fahrradmobilität liegt uns sehr am Herzen. Wir haben den Verband Region Rhein-Neckar bei der Erstellung einer Machbarkeitsstudie zum Radschnellweg zwischen Heidelberg und Schifferstadt unterstützt. So halfen wir bei der Entwicklung von Erfassungsmethoden für unterschiedliche Routen und Bedürfnisse. Mittlerweile kann man mit dem Smartphone problematische Stellen der Fahrradwege messen, fotografieren und diese in der jeweiligen Karte verorten.

Gemeinsam mit SAP haben wir darüber hinaus ein Next-Generation-Projekt zur bedarfsgerechten Radnetzplanung initiiert und durchgeführt. So konnte nicht nur die studentische Ausbildung verbessert werden. An diesem Projekt nahm auch eine Schule teil. Die Schüler entwickelten im Rahmen von Design-Thinking-Workshops Geschäftsmodelle für digitale Daten.

ZV: Und wie kamen Sie selbst zu GeoNet.MRN?

HG: Im Verein bin ich ein Urgestein der Geoinformatik (lacht). Geographische Geoinformationssysteme sind seit fast 30 Jahren mein fachlicher Schwerpunkt in Forschung, Lehre und Praxis. Nach meiner Zeit an der Universität Heidelberg gründete ich zusammen mit Kommilitonen ein Unternehmen, das auch jetzt noch erfolgreich am Markt ist. Als Professor Zipf mit seiner Idee des Netzwerks auf uns zukam, war ich sofort begeistert. Von Beginn an engagierte ich mich als Vorstand bei GeoNet.MRN. 2015 machte ich dann tatsächlich mein Hobby zum Beruf und übernahm die Leitung der Geschäftsstelle.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Hartmut Gündra

Clustermanager

GeoNet.MRN e.V.

Czernyring 22/11

69115 Heidelberg

https://www.geonet-mrn.de

hguendra@geonet-mrn.de

 

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