Einzelhandel steigert Umsätze
Für das Jahr 2023 prognostiziert die Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar steigende Einzelhandelsumsätze vor Ort. Der Umsatzanteil im Online-Handel wird indes zurückgehen. Allerdings profitieren nicht alle Standorte gleichermaßen von dieser Trendumkehr. „Die Menschen kaufen nach der Corona-Pandemie wieder mehr vor Ort ein, doch Unsicherheiten und Inflation dämpfen die Kauflust. Es hängt stark vom einzelnen Standort und den konkreten Rahmenbedingungen ab, ob sich der Einzelhandel vor Ort gut oder schlecht entwickelt“, sagt IHK-Präsident Manfred Schnabel. Er mahnt daher Politik und Verwaltung, die Standorte zu pflegen. „Anders als vielfach behauptet, ist der stationäre Einzelhandel vital sowie zukunftsfähig aufgestellt und wächst wieder, auch in den Innenstädten.“
Die IHK-Kaufkraftanalyse prognostiziert die Kaufkraftkennzahlen für alle 18 Ober-, Mittel- und Unterzentren sowie für die weiteren 65 Städte und Gemeinden in der Region Rhein-Neckar im laufenden Jahr. Die zentralen Ergebnisse liefern für den IHK-Bezirk Rhein-Neckar positive Prognosewerte.
Die allgemeine Kaufkraft – das verfügbare Einkommen der Bevölkerung – nimmt 4,5 Prozent (diese und alle weiteren Prozentangaben sind nominal) auf 32,3 Milliarden Euro zu. Die einzelhandelsrelevante Kaufkraft steigt mit einer geringeren Wachstumsrate von 3,4 Prozent. Der Anteil des Einkommens, der für Ausgaben im Einzelhandel online oder stationär zur Verfügung steht, steigt dadurch auf insgesamt 8,9 Milliarden Euro in der Region. Die prozentual höchste Zunahme von 5,5 Prozent gibt es bei den Prognosewerten für die Einzelhandelsumsätze vor Ort.
Die steigenden Umsatzzahlen sorgen dafür, dass Mannheim und Heidelberg im Vergleich zum Vorjahr mehr Kaufkraft binden können; die Kaufkraftbindungsquote steigt. Die beiden Oberzentren erwirtschaften nach wie vor über 50 Prozent des stationären Einzelhandelsumsatzes in der Region. Auch die meisten Mittel- und Unterzentren im Rhein-Neckar-Kreis und Neckar-Odenwald-Kreis erhöhen die Kaufkraftbindung.
Doch trotz positiver Entwicklungen im stationären Handel fließt im gesamten Kammerbezirk mehr als eine Milliarde Euro der vorhandenen einzelhandelsrelevanten Kaufkraft an Standorte außerhalb der Region oder in den Online-Handel. Dies ist der Differenz zwischen den vor Ort getätigten Umsätzen (7,7 Milliarden Euro) und der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft (8,9 Milliarden Euro) zu entnehmen. „Es ist eine leichte Erholung in Sicht, das Einkaufserlebnis vor Ort steht wieder im Vordergrund und die Umsätze nähern sich dem Vor-Corona-Niveau“, bewertet IHK-Präsident Manfred Schnabel zentrale Ergebnisse der IHK-Kaufkraftanalyse sowie die aktuelle Situation im Handel.
Die Kaufkraftbindungsquote von Mannheim steigt 2023 leicht um zwei Prozentpunkte auf 117, bleibt aber weiterhin deutlich unter dem Vor-Corona-Jahr 2019 (-14 PP). Noch drastischer fällt dieser Vergleich für den Mannheimer Postleitzahlbezirk 68161 aus, jenen Teil der Quadrate mit dem Gros an Einkaufsmöglichkeiten. Die Kaufkraftbindungsquote liegt hier 290 (!) Prozentpunkte unter dem Wert von 2019. Zum Verständnis: Die damalige Quote 1.093 Prozent heißt, dass auf einen Einwohner mehr als zehn Kunden von außerhalb gekommen sind. 2023 sinkt dieses Verhältnis auf 1 zu 8. Aufgrund dieser Entwicklung fiel dieser Bereich der Mannheimer Innenstadt auch innerhalb weniger Jahre von einem Rang innerhalb der Top 10 der umsatzstärksten Postleitzahlbezirke bundesweit auf aktuell Platz 14 (2022: Platz 11). „Zwar ist Mannheim noch das Oberzentrum der Region, das überregional Kaufkraft bindet. Doch die Innenstadtwirtschaft hat nach allgemeiner Einschätzung unter der schlechten Erreichbarkeit gelitten. Dabei spielten neben dem viel diskutierten Verkehrsversuch Sperrungen wie die des Fahrlachtunnel, die schwierige Situation bei den Rheinquerungen und viele weitere Baustellen eine Rolle. Die Innenstadtwirtschaft braucht nun klare und verlässliche Perspektiven. Die Schließung alteingesessener Geschäfte in den vergangenen Monaten ist mehr als ein Warnschuss. Der Gemeinderat und die Verwaltung stehen in der Pflicht, die Innenstadt vor weiterem Substanzverlust zu bewahren. Hierzu sollte der neue Oberbürgermeister Leitlinien vorgeben und den Schulterschluss mit der Wirtschaft suchen“, resümiert Schnabel.
„Wir bei engelhorn spüren den Frequenzrückgang. Besonders aus der Pfalz kommen merklich weniger Kunden als früher. Das ist messbar und auch durch Umfragen bestätigt“, erklärt Fabian Engelhorn, Geschäftsführer der engelhorn GmbH & Co. KGaA. Und dieser Trend halte fatalerweise an. „Unser Unternehmen und die Stadt arbeiten seit mehr als 40 Jahren gemeinsam daran, Mannheim als Oberzentrum zu entwickeln. Diese Funktion umfasst neben dem Handel auch Gastronomie, Kultur sowie medizinische und beratende Dienstleistungen“, so der Unternehmer. Doch die Stadt sei nun nicht nur dabei, das Erreichte zu verspielen, sondern zerstört die Attraktivität unserer Innenstadt. „Der Verkehrsversuch hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Er startete in einer Phase, die sowieso durch massive Verkehrsstörungen geprägt war. Hinzu kam die mangelhafte Kommunikation der Stadtverwaltung“, kritisiert Engelhorn. Für ihn sei klar, dass die Innenstadt keine weiteren Versuche und politische motivierte Einschränkungen der Erreichbarkeit vertragen könne. „Wir brauchen vielmehr eine ganzheitliche (digitale) Verkehrssteuerung, die alle Baumaßnahmen auf kommunaler, Landes- sowie Bundesebene im Blick hat – und zwar beidseits des Rheins. Vor allem brauchen wir alle dringend eine Phase einer lösungsorientierten Zukunftsplanung und wirtschaftlichen Regeneration und Aufschwungs“, fordert Engelhorn.
Die Kaufkraftbindungsquote in Heidelberg steigt zum ersten Mal seit Beginn der Analyse leicht um einen Prozentpunkt an. Mit einem Wert von 97 Prozent kann Heidelberg die einzelhandelsrelevante Kaufkraft vor Ort rein rechnerisch weiterhin nicht vollständig in der Stadt halten. „Der gestoppte Abwärtstrend bestätigt den bereits im vergangenen Jahr abgemilderten Rückgang und lässt hoffen, dass zukünftig wieder Umsätze im stationären Einzelhandel erreicht werden können, die für einen Kaufkraftzufluss sorgen“, so Schnabel zur Situation in Heidelberg. Die überdurchschnittlich gute Ausgangslage wird beim Blick auf das vorhandene Volumen der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft ersichtlich. Mit 1,2 Milliarden Euro liegt die Stadt am Neckar auf Rang 11 der 40 deutschen Städte zwischen 100.000 und 200.000 Einwohnern, kann diese Kaufkraft aber nicht vor Ort binden.
Auf kommunaler Ebene verzeichnen Schwetzingen (165 Prozent) und Walldorf (155 Prozent) bei der Kaufkraftbindungsquote die höchsten Werte im Kammerbezirk. „Beide Kommunen profitieren von am Stadtrand liegenden Fachmarktzentren: Gleichzeitig haben sie attraktive Innenstädte in denen sich Wirtschaft, Verwaltung und Politik engagieren, um die Situation zu verbessern“, so Schnabel. Eine hohe Kaufkraftbindung gelingt auch in Hockenheim mit einem Wert von 128 Prozent. Hier schlägt sich vor allem ein sehr gut erreichbares Gewerbegebiet mit vielen Fachmärkten nieder.
Buchen und Mosbach, beide Neckar-Odenwald-Kreis, profitieren ebenfalls von steigenden Umsätzen vor Ort. Sowohl Buchen (108 Prozent, +3 Prozentpunkte) als auch Mosbach (141 Prozent, +2 Prozentpunkte) können ihre Kaufkraftbindungsquote steigern.
Ladenburg weist pro Kopf die höchste allgemeine Kaufkraft auf (31.657 Euro). Während Weinheim auf den zweiten Platz sinkt (31.571 Euro), rückt Walldorf (31.233 Euro) aktuell wieder unter die Top 3-Standorte. Im Vorjahr war Neckargemünd noch auf dem dritten Platz. Beim Blick auf die Kaufkraft je Einwohner in allen 83 Kommunen des Kammerbezirks sticht Schriesheim mit 34.512 Euro als Spitzenreiter hervor. Im Neckar-Odenwald-Kreis ist Binau mit 28.769 Euro die Gemeinde mit dem höchsten Wert. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Kaufkraft pro Kopf liegt in der Region bei 27.360 Euro.
Vergangenes Jahr wurde der bundesweite Online-Anteil an der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft mit 17,8 Prozent beziffert. Die diesjährigen Prognosen geben einen Anteil von 15,5 Prozent an. Eine Tendenz, die sich auch in der Region zeigt: Hier fließen 15,6 Prozent in den E-Commerce (2022: 17,9).
Vor allem der sortimentsbezogene Online-Anteil bei Produkten der Informationstechnologie (-14,6 Prozent) hat stark abgenommen. Bei klassischen Innenstadt-prägenden Sortimenten wie Elektrogeräten, Bekleidung und Schuhe muss der Online-Handel ebenfalls Federn lassen. Das Fazit des IHK-Präsidenten: „Handel ist Wandel. Das galt schon immer und gilt für den Innenstadt-Einzelhandel besonders. Doch die Betriebe machen ihre Hausaufgaben, erweitern ihr Online-Geschäft und sorgen gleichzeitig dafür, dass die Innenstädte die Zentren des städtischen Lebens bleiben. Das hängt vor allem von der Politik vor Ort ab, die dazu die richtigen Rahmenbedingungen setzen muss.“
Die IHK-Kaufkraftanalyse ist hier abrufbar.
Quelle: IHK Rhein-Neckar
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