Energie intelligent vernetzen

Foto: Michael Bez

Entscheidend für das Gelingen der Energiewende ist die intelligente Kopplung der Sektoren Wärme, Mobilität und Strom. Mit der fortschreitenden Digitalisierung des Energiemarktes ändert sich aber auch die Rolle von Energieversorgern und Kunden. Zeitenvogel sprach mit Michael Bez (EnBW Energie Baden-Württemberg AG) über neue Energien, virtuelle Kraftwerke und den Kunden als Partner.

ZV: Herr Bez, wie hat sich der deutsche Strommarkt in den letzten 20 Jahren verändert?

MB: Bis um die Jahrtausendwende war der Strommarkt sehr stark zentralisiert. Der überwiegende Teil der circa 500 Kraftwerke befand sich im Besitz von vier großen Stromversorgern. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ab 2000 und insbesondere nach dem Reaktorunfall von Fukushima 2011 änderte sich die Situation. Politik und Bevölkerung waren sich weitgehend einig, bis 2022 ein Drittel der deutschen Stromversorgung mit erneuerbaren Energien zu ersetzten. Durch gesetzliche Regulierungen konnten Technologien Teil des Energieversorgungssystems werden, die zuvor nicht wettbewerbsfähig waren.

Diese Energiewende 1.0 war primär eine Stromwende. Mittlerweile haben wir nicht mehr nur zentrale Kraftwerke, sondern ungefähr 1,7 Millionen dezentrale Energieanlagen, die sich überwiegend nicht mehr im Besitz der großen vier Energieversorger befinden. Die Anzahl der Akteure nahm zu, die großen Energieversorger mussten sich auf neue Marktbedingungen einstellen.

ZV: Was ist die Energiewende 2.0?

MB: Die Energiewende 2.0 zeichnet sich vor allem durch drei Punkte aus: Erstens dringen wir durch die Kopplung der Sektoren Wärme, Mobilität und Strom langsam zu einer richtigen Energiewende vor. Strom wird aber die Leitenergie des 21. Jahrhunderts sein.

Zweitens entfaltet die Digitalisierung nun ihre volle Wirkung: Künftig stehen nicht mehr die analog gesteuerten, großen Kraftwerke im Mittelpunkt, sondern die viel kleineren Erzeugeranlagen, die untereinander und mit Steuerungseinheiten kommunizieren können.

Drittens stehen die erneuerbaren Energien heute im Markt, sie bewegen sich mittlerweile auf konkurrenzfähigen Preisniveaus. So ändert sich auch die Rolle der Energiekonzerne von klassischen, voll integrierten Versorgern – Stromerzeugung, Stromtransport über die Netze, Stromhandel an der Börse, Stromvertrieb aus einer Hand – hin zu dezentralen Energiemanagern des Kunden.

ZV: Wie ändert sich dadurch die Beziehung von Kunden und Energieversorgern?

MB: Im Rahmen der Energiewende werden Kunden immer mehr zum Partner der Energieversorger. Sie erfüllen im Energieversorgungssystem der Zukunft tragende Rollen, sei es als Erzeuger, Konsument, Prosumer oder indem sie zum Beispiel durch ihr Elektromobil dem Stromnetz Flexibilität und Stabilität bereitstellen. Ein solcher Vernetzungsgrad ist nur durch hoch digitalisierte Prozesse zu erreichen.

ZV: Was ist in diesem Zusammenhang das Virtuelle Kraftwerk?

MB: Das Virtuelle Kraftwerk ist eine digitale Plattform, eben diese unabhängigen Energieproduzenten und Energieverbraucher untereinander, aber auch mit Netzen und Märkten verbindet. Das Virtuelle Kraftwerk managt die energiewirtschaftliche Komplexität, ganz egal, wo sie entsteht.

Die Zahl der dezentralen energienahen Anlagen wird nämlich von heute 1,7 Millionen auf sieben bis acht Millionen im Jahr 2025 steigen. Daraus folgt erstens, dass der Vernetzungsgrad dieser Anlagen steigen muss: Das Virtuelle Kraftwerk verbindet deshalb die dezentralen Anlagen, egal ob dies ein Elektromobil ist, ein Wärmeboiler, eine Batterie oder eine Photovoltaikanlage und macht sie steuerbar.

Zweitens müssen die Energietransaktionen abgebildet werden. So nimmt die EnBW im Rahmen des Virtuellen Kraftwerks die Energie der Erzeugungsanlagen ab und vermarktet diese für die Anlagenbetreiber im Rahmen der sogenannten Direktvermarktung an der Energiebörse. Die neuen Energien stehen im Markt – das gilt auch, wenn die Anlagen ab 2020 aus der Förderung fallen. Jeder Besitzer einer solchen Anlage muss sich deshalb überlegen, ob er selbst eine entsprechende Handelsinfrastruktur aufbaut oder ob er auf einen Partner zurückgreift, zum Beispiel die EnBW. Ebenso werden Kunden über neue Angebote mit Strom versorgt oder können von der Teilnahme ihrer Speicher oder Produktprozesse am Energiemarkt profitieren.

Mit unserem Konzept gehen wir so über das eigentliche Konzept von Virtuellen Kraftwerken hinaus. Unsere Plattform ermöglicht nicht nur Peer-to-Peer-Transaktionen von A nach B, sondern erlaubt es unseren Kunden auch, in verschiedenen Rollen Teil des Energiesystems zu werden. Für einen Energieversorger ist das ein komplett neues Spiel.

ZV: Also stärken Sie mit den zuletzt angesprochenen Modellen auch eine regionale Erzeugungs- bzw. Verteilungsstruktur?

MB: Ja und Nein. Das ist ein spannender Punkt. Unsere Geschäftsmodelle gibt es aktuell in zwei Ausprägungen: In einem ersten Modell können Sie unabhängig von Ihrem Wohn- und Aufenthaltsort Stromtransaktionen tätigen, also zum Beispiel Strom verschenken, Ihr eigenes Ferienhaus mit Ihrem eigenen Strom versorgen oder Ihr Auto irgendwo anders aufladen als dort, wo gerade Ihr Strom eingespeist wird.

Dann gibt es ein zweites Modell, in dem wir Strom aus definierter Herkunft in regionaler Nähe anbieten. Dieses Modell adressiert zwei große Bedürfnisse unserer Kunden: Teilhabe und Transparenz. Das Virtuelle Kraftwerk bietet in beiden Modellen einen Marktplatz um Erzeuger und Verbraucher miteinander zu verbinden.

ZV: Wie kann man sich dieses Virtuelle Kraftwerk technisch vorstellen?

MB: In einem ersten Schritt verbinden wir uns mit der jeweiligen Kundenanlage. Die Anlage muss entweder ab Werk fernsteuerfähig sein – was immer häufiger der Fall ist – oder durch eine zusätzliche Steuerbox bzw. ein Smartmeter intelligent gemacht werden. So können wir als Virtueller Kraftwerksbetreiber fortan mit der Anlage kommunizieren und – sofern der Kunde das will – die momentane und künftige Leistung der Anlage beurteilen sowie die erzeugte Energie abkaufen und vermarkten. Am Ende des Monats erhält der Kunde eine Abrechnung, aus der ersichtlich ist, wieviel Strom er erzeugt und welche Erlöse er damit erzielt hat.

Wenn wir von einer Plattform sprechen, verstehen wir darunter keine monolithische Struktur. Die Welt verändert sich im Moment sehr schnell sehr stark. Deshalb müssen alle Unternehmen in der Lage sein, mit ihren Geschäftsmodellen, ihrem Team und ihrer IT adaptiv auf diese agilen Marktbedingungen einzugehen. In diesem Sinne ist das Virtuelle Kraftwerk ein Netzwerk aus Fähigkeiten und Geschäftsmodellen, das auch das Angebot externer Anbieter integriert.

ZV: Für wen lohnt sich Ihr Angebot einer Direktvermarktung momentan?

MB: Der Gesetzgeber schreibt vor, dass Energieerzeuger eine Neuanlage ab einer Größe von ungefähr 100 Kilowatt direkt vermarkten müssen. Unsere klassischen Kunden in diesem Anlagensegment sind momentan Mittelständler und Gewerbetreibende, aber auch größere kommunale Dächer. Wir wenden uns aber nicht nur an Endkunden, sondern auch an Projektierer, die ihren Kunden nicht nur eine Erzeugeranlage verkaufen, sondern auch eine Lösung für das Thema Direktvermarktung anbieten wollen.

Grundsätzlich bietet die EnBW zwei Modelle an: Das erste Modell adressiert große Anlagen über ein bis zwei Megawatt. Das sind normalerweise Windkraftwerke oder große Freiflächen-Solaranlagen. Ein zweites Modell, die sogenannte kleine Direktvermarktung, wendet sich an wesentlich kleinere Anlagen ab 50 Kilowatt.

ZV: Wie unterstützen Sie Ihre Kunden auf dem Weg in die Direktvermarktung?

MB: Wir versuchen, alle Abläufe von Beginn an möglichst transparent und einfach zu gestalten und rasch durchzuführen. Auf unserer Website können unsere Kunden ihre potenziellen Erlöse und ihre Kosten direkt kalkulieren. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wir helfen den Kunden dann aber auch, ihre Anlage fit für das Virtuelle Kraftwerk zu machen und verbinden die Anlage über unsere Plattform mit dem Energiemarkt.

ZV: Welche Änderungen werden sich bei der Direktvermarktung in Zukunft ergeben?

MB: Momentan garantiert die Direktvermarktung unseren Kunden zusätzlich zu den Erlösen am Strommarkt einen bestimmten Fördersatz. Wenn die Anlagen ein gewisses Alter erreichen, fallen sie allerdings aus der Direktvermarktung und der entsprechenden gesetzlichen Förderung. Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2020 Anlagen im Volumen von über fünf Gigawatt aus der EEG-Förderung fallen. Dann benötigen die Anlagenbetreiber jemanden, der den Strom einsammelt und zu bestmöglichen Konditionen weitervertreibt. Zudem glauben wir, dass auch die Grenze für die verpflichtende Vermarktung weiter absinken könnte, sodass auch kleinere Anlagen (unter 100 Kilowatt) im Markt stünden.

ZV: Die EnBW bietet ja auch die EnergyBASE an. In welcher Verbindung stehen das Virtuelle Kraftwerk und EnergyBASE?

MB: Die EnergyBASE optimiert die Energieflüsse im Haushalt oder Gewerbe des Kunden nach dessen Bedürfnissen. In Zukunft werden Kunden den selbst erzeugten Strom etwa zu 80 Prozent selbst nutzen oder speichern.

Die EnergyBASE agiert im Haushalt bzw. im Gewerbe als integrierendes Element zwischen Energie erzeugenden und Energie verbrauchenden Anlagen. So können etwa eine Photovoltaik-Anlage, eine Wärmepumpe und ein Speicher mit einer Wallbox für ein Elektromobil oder einer Elektroheizung verbunden werden. Die EnergyBASE ist aber auch ein Konnektor für das Virtuelle Kraftwerk – dem verbindenden Element. Durch die Verbindung vieler EnergyBASEs mit anderen Anlagen kann Strom auch in Gemeinschaften geteilt oder vermarktet werden.

Sie sehen: Die Verbindung der Elemente ist am Schluss entscheidend. Ein Beispiel: Mit Solar+ hat die EnBW ein Produkt aufgesetzt, um die Kunden bei ihrer persönlichen Energiewende zu begleiten, das heißt, Energieversorgung und Energieverbrauch zu vernetzen und die erzeugte Energie zu tauschen.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Michael Bez

Virtuelles Kraftwerk C-IV

Innovationsmanagement

EnBW Energie Baden-Württemberg AG

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m.bez@enbw.com

 

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