Die vernetzte Wirtschaft

Foto: Mirjana Radonjic-Simic

Mit der Intensivierung der Digitalisierung ändern sich auch unser Wirtschaftssystem grundlegend. Zeitenvogel sprach mit Mirjana Radonjic-Simic (Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim) über den Wettbewerb auf der Ebene der Geschäftsmodelle, die veränderte Rolle des Kunden und ein Zeitalter der Plattformen.

ZV: Frau Simic, was zeichnet eine vernetzte Wirtschaft aus?

MS: Die Geschichte der IT-Nutzung lässt sich in mehrere Phasen unterteilen. In einer ersten Phase wurden die technologischen Möglichkeiten genutzt, um die bisherigen Unternehmensprozesse effizienter, kostengünstiger und zuverlässiger zu gestalten. In der zweiten Phase nutzten die Unternehmen die IT, um sich enger zu vernetzen. Auf diese Weise konnten auch neue Prozesse implementiert werden, die vorher so nicht möglich waren. In der heutigen, dritten Phase stehen nicht mehr vernetzte Unternehmensprozesse im Vordergrund, sondern neue Geschäftsmodelle. Nun stellt sich die Frage, welche neuen Architekturen und Strukturen einer vernetzten Wirtschaft sich hierdurch ergeben und welcher zusätzliche Nutzen und welche neuen Möglichkeiten der Wertschöpfung realisierbar sind.

ZV: Also findet durch den technischen Fortschritt der Wettbewerb heute primär auf der Ebene der Geschäftsmodelle statt?

MS: Ja, genau. Ein gutes Beispiel ist das Internet. Das Internet wurde nicht von bzw. für die privatwirtschaftlichen Unternehmen erfunden. Die Unternehmen nutzten aber das Internet recht rasch, um neue Distributionskanäle zu erschließen und mit ihren Kunden zu interagieren. So entstanden die webbasierten Geschäftsmodelle wie etwa die heutigen Plattformen, die ohne die Vernetzungsqualität des Web 2.0 nicht möglich wären.

Der technische Fortschritt hatte aber auch zur Folge, dass die Produkte und Dienstleistungen, die Sie heute auf dem Markt finden, sehr gut vergleichbar sind. Unter diesen Bedingungen müssen die Unternehmen den Kunden einen Mehrwert bieten. Die neuen Geschäftsmodelle müssen die Frage beantworten, wie dieser Mehrwert geschaffen werden kann.

ZV: Damit ändert sich aber doch auch die Rolle des Kunden?

MS: Absolut. Jetzt ist der mündige Kunde wirklich König. Bislang konnte der Kunde erst dann Feedback geben, wenn er das Produkt in den Händen hielt. Das jeweilige Unternehmen hatte über dieses Feedback hinaus keine Informationen über den weiteren Lebenszyklus des Produkts.

Heute kann der Kunde immer Feedback geben, nicht nur bei der Nutzung des Produktes, er kann auch bereits in der Designphase seine Wünsche äußern. Unternehmen und Kunden wirken im Rahmen einer interaktiven Wertschöpfung zusammen. Auf diese Weise erhält das jeweilige Unternehmen Informationen darüber, welcher Bedarf oder welches Optimierungspotenzial in Bezug auf ein Produkt besteht. Die Wirtschaft wird so immer stärker demand-oriented. Kundendaten spielen für diese neuen, digitalen Geschäftsmodelle eine wesentliche Rolle. Je mehr man über die Bedürfnisse der eigenen Kunden weiß, desto zielgerichteter kann man diesen Kundenbedarf ansprechen.

ZV: So ändert sich aber auch unsere Vorstellung von Produkten.

MS: Seit ungefähr zehn Jahren spricht man in Bezug auf ökonomische Austauschbeziehungen von einer Service-Dominant Logic, nach der ein Produkt im digitalen Zeitalter eigentlich nur Träger eines Service-Portfolios ist. Der CEO eines großen deutschen Unternehmens brachte dies auf den Punkt: „Unser Kunde braucht nicht unsere Bohrmaschine, sondern ein Loch“. Der Kunde kauft also Services ein, die ihn bei der Erfüllung seiner Aufgabe unterstützen. Die Bohrmaschine ist somit nur ein Träger, den man mit anderen Dienstleistungen anreichern kann.

ZV: Ähnliches kann man ja auch hinsichtlich Kaffeekapseln feststellen.

MS: Kaffeekapseln sind für mich ein ganz klassisches Beispiel dafür, dass der Wettbewerb auf der Ebene der Geschäftsmodelle und nicht mehr auf der Ebene des Produktes oder der Geschäftsprozesse geschieht. Bis auf Qualitäts- und Geschmacksunterschiede gleicht ja eine

Kaffeebohne der anderen. Also designen Sie eine coole Kaffeemaschine, die einfach zu bedienen ist und sie bereiten die Kaffeebohnen so auf, dass sie auch zu der Kaffeemaschine passen. Der Kunde trinkt nicht nur ein Pfund Kaffee. Der Kunde wechselt seine Auswahl und entscheidet, wonach ihm in einer bestimmten Situation ist. Der Gebrauch von zwei eigentlich standardisierten Produkten – Kaffeemaschine und Kaffeebohnen – wird so zum Erlebnis. Der Kunde ist bereit, für diese Erfahrung das Fünf- bis Sechsfache für die Kaffeebohnen und die Kaffeemaschine zu bezahlen.

ZV: Ordnet sich in diese Entwicklung auch die Tendenz ein, dass man immer mehr Produkte – wie etwa Software – nicht mehr kauft, sondern mietet?

MS: Ja. Wir befinden uns im Moment in einer Phase der Digitalisierung, in der wirklich neue Geschäftsmodelle erkennbar werden. Diese Modelle stammen zwar aus der Softwarebranche, können aber auf viele andere Wirtschaftssegmente ausgeweitet werden. Dadurch werden auch gesellschaftliche Veränderungen angestoßen, zum Beispiel ein sparsamer Umgang mit Ressourcen: Die eben erwähnte Bohrmaschine werden Sie im Normalfall pro Jahr nur wenige Minuten gebrauchen. Leasingmodelle können dann sehr sinnvoll sein. Den Begriff sharing economy finde ich allerdings unglücklich.

ZV: Weshalb?

MS: Sharing wird im Englischen eigentlich im Sinne des bedingungslosen Teilens gebraucht. Bei der sharing economy ist aber die monetäre Dimension – und sei es nur in Bezug auf versicherungstechnische Fragen – ausgesprochen wichtig. Ich denke, dass wir hier einhaken müssen. Deshalb halte ich den Begriff platform economy oder access economy für besser: Über eine Plattform hat man zu bestimmten Konditionen Zugriff auf eine Ressource, ohne dass man bedingungslos teilen muss wie es der Begriff sharing strenggenommen impliziert.

ZV: Denn mit diesen neuen Geschäftsmodellen sind ja auch neue Vergütungsmodelle möglich.

MS: Genau. Durch die neuen Geschäftsmodelle der access economy ergeben sich ja ganz andere Möglichkeiten, den Zugriff auf Services oder Produkte zu verwerten statt die Services oder die Produkte selbst. Das kann IT-technisch hervorragend abgebildet werden.

ZV: Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Geschäftsökosysteme?

MS: Bislang wurde die Wirtschaft durch lineare Geschäftsmodelle dominiert: Ein Unternehmen verarbeitet Rohstoffe zu Produkten oder Dienstleistungen. Diese werden am Markt angeboten und die Rückmeldungen über eine Feedback-Schleife wiederum in die Geschäftsprozesse eingespielt. Im Zeitalter der nichtlinearen, der exponentiellen Wirtschaft kooperieren hingegen in der gleichen Wertschöpfungskette unterschiedliche Gruppen über digitale Plattformen. So können unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen in einer Qualität gefertigt werden, die zuvor, als jedes Unternehmen auf sich selbst gestellt war, nicht möglich waren.

Ein gutes Beispiel ist die chinesische Stadt Chongqing. Hier entstand ein Geschäftsökosystem für die Motorradindustrie. Durch eine Modularisierung der Fertigung wurden bis zu 70 Prozent der Kosten eingespart, was jedes Unternehmen für sich nicht erreicht hätte.

ZV: Wird diese Kooperation künftig vor allem im virtuellen Raum stattfinden?

MS: Ich denke nicht. Die Art des Wirtschaftens lässt sich sehr schön mit dem Begriff Glokalisierung umschreiben: Wir könnten zwar alles global organisieren, aber nicht alle Prozesse sollten global stattfinden. Es gibt durchaus eine Berechtigung, regional zu handeln und sich zugleich im virtuellen Raum zu vernetzen.

Ein Beispiel hierfür ist eine Smart City. Eine solche intelligente Stadt ist in der Region verankert, es gibt aber viele Interessengruppen aus Wirtschaft und Gesellschaft, die im virtuellen Raum noch enger vernetzt werden können. So kann zum Beispiel jeder Autostellplatz mit einem Sensor ausgestattet werden. Wenn ich weiß, dass ich meinen Stellplatz von 9 Uhr bis 17 Uhr nicht nutzen werde, kann ich ihn als Dienstleistung freigeben und jemand, der einen entsprechenden Bedarf hat, kann ihn – gegen eine Entschädigung – auch nutzen. Durch den höheren Vernetzungsgrad ist also nicht nur eine höhere Wertschöpfung möglich, die Vernetzung stellt auch einfachere Lösungen für alltägliche Probleme bereit.

Ein Punkt ist mir allerdings besonders wichtig: Smarte Städte sind dann nicht nur smart, weil sie so viele Sensoren haben, sondern auch, weil sie intelligente Bürgerinnen und Bürger haben, die ihr Leben sozialer und einfacher gestalten können.

ZV: Wie unterstützt die DHBW Mannheim diese gesellschaftlichen Entwicklungen?

MS: Zum einen entwickeln wir zusammen mit unseren dualen Partnern und einigen Kommunen Digitalisierungskonzepte für die Metropolregion Rhein-Neckar, um das Potenzial der Digitalisierung für alle Bewohnerinnen und Bewohner zu erschließen. Zum anderen bauen wir gerade ein Digital Business Center auf. Mit neuen Studienangeboten in den Bereichen E-Health, E-Government, Data Science und Digital Business Management wollen wir Studierende dafür qualifizieren, die Digitalisierung in den jeweiligen Branchen voranzutreiben.

ZV: Was raten Sie mittelständischen Unternehmen in Bezug auf die Digitalisierung?

MS: Das Wichtigste ist es, sich umgehend auf den Weg zu machen. Man kann mit der Frage einsteigen: Welche Veränderungen ergeben sich für mein Unternehmen durch die Digitalisierung? Welche Vorteile kann ich daraus ziehen? Was kann ich in meiner Branche neu einführen? Mit wem kann ich mich vernetzen? Und last but not least die Fragen: Wie kann ich meine bisherigen Kundensegmente ausbauen? Wie kann ich neue Technologien nutzen, um durch eine Erweiterung meines Angebots weitere Kundensegmente zu erschließen?

Und noch ein wichtiger Hinweis: Man sollte sich auf das konzentrieren, aus dem man wirklich Vorteile ziehen kann und nicht jeden Trend mitmachen, nur weil er gerade hip ist.

ZV: Was sind Ihre Arbeitsschwerpunkte an der DHBW Mannheim?

MS: Im Bereich der Lehre arbeite ich gerade an der Einführung des neuen Studiengangs Wirtschaftsinformatik E-Government – Start Oktober 2018. Die Absolventinnen und Absolventen dieses Studiengangs sollen Verwaltungsinstitutionen und Unternehmen dabei helfen, den digitalen Wandel zu begleiten und zu forcieren.

Mein Forschungsschwerpunkt ist die platform economy und die damit verbundenen business ecosystems. Eines meiner Hauptanliegen ist es, die Anwender der Plattformen wieder in den Mittelpunkt zu stellen und Wege aufzuzeigen, die Macht der großen Konzerne durch Dezentralisierung zu beschränken.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Dipl.-Ing. Mirjana Radonjic-Simic MBA

Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim

Coblitzallee 1-9

68163 Mannheim

http://www.dhbw-mannheim.de

mirjana.radonjic-simic@dhbw-mannheim.de

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