Führend bei der Wertschöpfung

Digitalisierung ist mehr als das Abscannen von Rechnungen. Sie bietet auch bei der Optimierung von Abläufen große Chancen für den Mittelstand. Zeitenvogel sprach mit Jens Hambach (SFM Systems) über Shopfloor Management, Lean Production und die Herausforderungen der Digitalisierung.

Shopfloor Management

Jens Hambach; Foto: SFM Systems

ZV: Herr Hambach, was ist Shopfloor Management?

JH: Shopfloor Management ist eine Methode der Schlanken Produktion (Lean Production). Ziel ist es, das Unternehmen am Ort der Wertschöpfung zu führen. Der Ort der Wertschöpfung ist in den meisten Unternehmen der produzierende Bereich, wo aus dem Rohmaterial das fertige Produkt hergestellt wird. In der Produktion sind Führungskräfte normalerweise nicht ständig präsent, sie steuern eher mit Zahlen.

Mit Shopfloor Management steht eine Methode zur Verfügung, mit der ich als Führungskraft zum einen in der Produktion führen kann, zum anderen nehme ich aber auch meine Teams vor Ort in die Verantwortung für das, was sie tun. So können die Teammitglieder zum Beispiel Probleme, die sie anhand der Kennzahlen bemerken, direkt vor Ort lösen und müssen nicht über das Qualitätsmanagement gehen.

Ein weiterer wichtiger Gedanke beim Shopfloor Management ist die Kaskadierung der Kennzahlen: Die Kennzahlen der verschiedenen Ebenen, von der Produktion bis zum Werksleiter, sind als Kaskade miteinander verbunden. Jeder redet nur über jene Kennzahlen, die für ihn relevant sind.

 

Eine Methode tatsächlich leben

 

ZV: Was sollte ein gutes Shopfloor Management auszeichnen?

JH: Ein gutes Shopfloor Management wird tatsächlich gelebt. Das bedeutet zunächst einmal, dass man sich täglich trifft. Die vorhin erwähnte Kaskadierung der Kennzahlen hat nämlich auch eine zeitliche Dimension: Morgens trifft sich zum Beispiel erst die Frühschicht, anschließend treffen sich alle Teamleiter mit der Werksleitung. Das kaskadiert sich zeitlich gestaffelt hoch bis zur Geschäftsführung. Probleme, die im Shopfloor auftreten, versucht das Team erst innerhalb der Shopfloor-Runde zu lösen. Wenn das nicht gelingt und das Team tatsächlich eine höhere Ebene anrufen muss, kann es das tatsächlich sofort machen und muss nicht erst eine Woche warten oder den Personen, die das übernehmen könnten, eine E-Mail schreiben. Ein gutes Shopfloor Management sorgt dann auch dafür, dass die getroffenen Maßnahmen auch bearbeitet werden.

ZV: Welche Vorteile bietet ein gut durchgeführtes Shopfloor Management?

JH: An erste Stelle steht der Gewinn an Geschwindigkeit und Flexibilität. Es gibt immer irgendwelche Probleme in der Produktion. Auf diese Probleme muss sehr schnell reagiert werden, indem Abweichung erkannt, Maßnahmen getroffen und Mitarbeiter beauftragt werden, die über die entsprechenden Ressourcen verfügen. Das erhöht zweitens aber auch die Qualität insgesamt, da Probleme systematisch und nachhaltig gelöst werden.

 

Fertigung

Im Shopfloor; Foto: SFM Systems

 

Transparenz und dokumentierte Problemlösungen

 

ZV: Sie haben bei SFM Systems eine Möglichkeit gefunden, ein Shopfloor Management System digital abzubilden. Was sind die wichtigsten Merkmale Ihrer Lösung?

JH: Hier sind vor allem drei Punkte zu nennen: Erstens gibt es Unternehmen, in denen das Shopfloor Management eigentlich schon ganz gut funktioniert, es allerdings an den jeweiligen Schnittstellen zu Effizienzverlusten kommt. So werden zum Beispiel bereits in vielen IT-Systemen Kennzahlen zur Verfügung gestellt. Wenn ich mir diese Zahlen dann aber für das Shopfloor Management erst wieder manuell zusammensuchen muss, ergeben sich Zeitverluste. Unser System kann alle Daten, die bereits zur Verfügung stehen, aufgreifen und automatisiert für die verschiedenen Hierarchieebenen visualisieren.

Die Herstellung von Transparenz ist allerdings nur Mittel zum Zweck. Ein Shopfloor Management System muss es zweitens auch ermöglichen, konkrete Maßnahmen abzuleiten und aufzunehmen, einzusteuern und umzusetzen. Diese Maßnahmen müssen häufig auf eine andere Ebene oder an ein anderes Team delegiert und die Ausführung der Aufgaben kontrolliert werden. In unserem System finden diese Prozesse sehr transparent statt. Ich sehe also immer, wer gerade ein Thema bearbeitet.

Ein dritter Punkt betrifft die Dokumentation und Durchführung der Problemlösung. Mitunter existieren in einem Unternehmen zwar elaborierte Formblätter, die aber in der Praxis aufgrund ihrer Komplexität zu wenig benutzt werden. Mit unserem System steht ein Assistent zur Verfügung, der durch die jeweilige Problemlösung führt. Dieser Assistent ist auch individualisierbar, sodass man auf den verschiedenen Hierarchieebenen unterschiedlich komplexe Problemlösungsprozesse einrichten kann. Alle Informationen werden auf einer Plattform in einem System gesammelt: Kennzahlen, Probleme und Maßnahmen.

ZV: Welche Daten können Sie in Ihrem System integrieren?

JH: Wir verwenden eine IoT-Plattform um uns an die verschiedenen Datenquellen in einem Unternehmen anzuschließen. Diese Datenquellen reichen von einer einfachen Exceltabelle über die Anbindung einer Maschine via OPC UA (Open Platform Communications Unified Architecture) bis zur Datenbank eines MES (Manufacturing Execution System). Auch auf die Daten der unterschiedlichen SAP-Module können wir zugreifen.

ZV: Wie ist es um die Datensicherheit bestellt?

JH: Das ist ein zentraler Punkt. Bei unseren bisherigen Projekten lief die Plattform auf den Servern der jeweiligen Unternehmen, die Daten blieben also im Haus. Es ist aber auch möglich, unser System cloudbasiert einzurichten. Es wird dann durch uns gehostet. Es kommt immer auf den Wunsch der jeweiligen Kunden an: Manche Unternehmen können oder wollen bestimmte Daten aus einem MES oder einem ERP (Enterprise Resource Planning)-System nicht in eine Cloud auslagern.

 

Die Herausforderungen der Digitalisierung

 

ZV: Hier sind wir ja bereits mitten in dem großen Themenbereich Digitalisierung. Welche Prioritäten sollte ein mittelständisches Unternehmen in den nächsten fünf Jahren setzen?

JH: Es ist schwierig, hier allgemein gültige Aussagen zu treffen. Es gibt sehr viele Leitfäden und Reifegradmodelle. Diese decken aber häufig nur einzelne Aspekte ab, zum Beispiel Sicherheit oder das Vorhandensein kollaborativer Roboter. Meist wird dann suggeriert, dass man einen bestimmten Schritt ausführen muss um „digitaler“ zu werden. Dieser Ansatz ist allerdings eher technikgetrieben und pauschalisierend und für den Mittelstand eher wenig geeignet.

Als mittelständisches Unternehmen muss man sich erst einmal überlegen, wo Optimierungspotenziale liegen: Wo ist man zu teuer? Wo sind die Abläufe zu kompliziert und langwierig? Wo sind die Arbeitsprozesse vielleicht nicht flexibel genug? Wo haben Konkurrenten am Markt eine höhere Variantenvielfalt oder Individualisierbarkeit? Sollte man nicht einen Produkt-Konfigurator einführen anstatt den Bestellprozess kompliziert per E-Mail abzuwickeln? Welchem Produkt will man vielleicht noch Dienstleistungen hinzufügen, damit man mit dem Produkt nicht nur über den einmaligen Verkauf, sondern über den gesamten Lebenszyklus hinweg Einnahmen generieren kann? Die Antworten auf diese Fragen sind in jedem Unternehmen sehr individuell.

In einem zweiten Schritt schaut man sich an, was man in seinen Produktionsprozessen und Abläufen verbessern muss um die jeweils gesetzten Ziele zu erreichen. Hier ist auch Experimentierfreudigkeit gefragt: Die Einführung eines neuen Systems muss nicht immer ein jahrelanges Projekt sein. Es ist auch möglich, für einen Pilotbereich ein neues System parallel zu den existierenden Systemen zwei oder drei Monate auszutesten, zum Beispiel ein neues Tool für das Projektmanagement oder das Shopfloor Management. Dann kann man entscheiden, ob dieses Pilotprojekt erfolgreich war und das neue System ausgerollt wird.

 

Lean 4.0 und Shopfloor Management

 

ZV: Wie kamen Sie selbst zu dieser Thematik?

JH: Ich bin seit 2013 am Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen im Maschinenbau an der TU Darmstadt beschäftigt. Mein Kollege und Mitgründer Christian Hertle und ich arbeiteten während des Studiums bei Lufthansa Technik. Dort lernten wir die Methode des Shopfloor Managements kennen. Hier am Institut beschäftigten wir uns zunächst generell mit den Methoden Lean Production und Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, aber auch weiterhin mit Shopfloor Management. Ab 2014 trat dann die Thematik Industrie 4.0 in den Vordergrund. Wir haben uns überlegt, wie sich die Ansätze der Lean Production in diesem Zusammenhang weiterentwickeln lassen. Eines dieser Konzepte war das digitale Shopfloor Management System und so kamen wir zum Thema unseres Start-ups.

 

SFM

Das SFM-Team; Foto: SFM Systems

 

ZV: Wie entstand dann SFM Systems?

JH: Wir hatten im Rahmen einer Reihe von Projekten zum Thema digitales Shopfloor Management verschiedene Konzepte und Prototypen erarbeitet, die wir in Unternehmen anwenden und testen wollten. Für die nächsten Schritte war dann aber eine Ausgründung notwendig.

An der Technischen Universität Darmstadt gibt es mit HIGHEST ein auf Ausgründungen spezialisiertes Gründerzentrum. Dieses Gründerzentrum unterstützt die Start-ups bei den ersten Schritten durch Beratungsleistungen und Hilfe bei der Vernetzung. Man hängt am Anfang ja häufig noch frei in der Luft und stellt sich viele Fragen: Welche Rechtsform hat ein solches Unternehmen? Welche Formalien muss man beachten? Wie stellt man Mitarbeiter ein? Woher kommen die ersten Projekte? Welche Möglichkeiten einer Verwertbarkeit von Forschungsprojekten gibt es?

ZV: Wie sind Ihre weiteren Pläne?

JH: Nachdem wir die ersten Pilotprojekte durchgeführt haben, wollen wir jetzt die ersten dauerhaften Kunden gewinnen. Wir haben auch bereits einige Ideen, die über die reine Digitalisierung eines Shopfloor Management Systems hinausgehen. Ein Stichwort wäre hier Data Analytics. Darüber hinaus gilt es ein organisches Wachstum zu generieren und mit Hilfe von Investoren stärker am Markt vertreten zu sein.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Jens Hambach

Shopfloor Management Systems GmbH

Otto-Berndt-Str. 2

64287 Darmstadt

https://www.sfmsystems.de

hambach@sfmsystems.de

Beitragsbild: SFM Systems