Gedanken zur Buchmesse

Frankfurt, Messe. Bereits vor der Öffnung der Pforten strömen Besucher aus der S-Bahn-Haltestelle, wogen und branden an der ersten Reihe der Schalter auf. Die Anfahrt zur Buchmesse macht deutlich, dass es sich bei dieser Veranstaltung um den weltgrößten Event der Publishing-Welt handelt. Die Infrastruktur des Messegelände ist gut ausgelastet. Die Taschenkontrolle im Eingangsbereich großer Veranstaltungen sind nichts Außergewöhnliches. Dennoch mahnt der Anblick von Sicherheitsdiensten und Polizei den nachdenklich wartenden Besucher: ein freier Buchmarkt, ein freier Austausch von Ideen ist nicht selbstverständlich. Kunst- Presse- und Wissenschaftsfreiheit sind stets bedrohte Güter einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Eröffnungsrede des französischen Präsidenten – Frankreich ist diesjähriges Gastland – hatte diese Facette aus einer anderen Perspektive beleuchtet: „Ohne Kultur kein Europa“ lautete einer der Kernsätze. Europa sei auf die vier Pfeiler Demokratie, Marktwirtschaft, soziale Gerechtigkeit und eben Kultur gegründet.

Eindrücke im Menschenstrom

Wirft man einen Blick auf die Zahlen, so scheint es um die Kultur, um Europa und die Marktwirtschaft nicht schlecht bestellt zu sein: Über 7.000 Aussteller aus 100 Ländern haben sich zur Buchmesse eingefunden. Die schiere Masse der Messestände erschlägt, erfordert eine behutsame Auswahl der Ziele. Vergebliche Planungen, allzu oft schweift der eigene Weg ab, windet sich um Auslagen, verhakt sich in Diskussionsrunden: Wunderschön die Kinderbücher aus der Reihe „Kleine Gestalten“ des Gestalten-Verlages. Geradezu palastartig die Stände der großen Verlagshäuser. Manche der Gierigsten unter ihnen könnten – wie der Riese im Märchen gesättigt durch in sich geschlungene Zukäufe der letzten Jahre – bereits ihre eigene Buchmesse veranstalten. Aber weiter, immer weiter, mit schwer werdenden Beinen und ausgedörrter Kehle. Ken Follett signiert bei Bastei-Lübbe sein neues Buch “Das Fundament der Ewigkeit”. Auch das Fachpublikum steht Schlange. Dann am Zeit-Stand eine Menschentraube. Hinter einer allzu groß geratenen Auslage, an der Zeittaschen und Probeabos an das Publikum verteilt werden, hinter diesem übermannshohen Monolithen versteckt und nur von den Seiten einzusehen diskutieren Adam Soboczynski und Daniel Kehlmann über “Tyll”, den neuen, historischen Roman des Autors. Kehlmann schildert sein Ringen mit dem im Vorfeld der Veröffentlichung hoch gelobten Buch. Zum einen das Ringen mit der Form: Wie sind Dialoge barockzeitlicher Personen zu gestalten ohne dass der Text unbeherrschbar und unlesbar wird? Antwort: Indem man konsequent alle modernen Konzepte – wie Energie, Geschwindigkeit, minutengenaue Zeitmessung – eliminiert und sich auf die Zeit und ihre Wirklichkeiten einlässt. Zum anderen das Ringen mit dem Thema: Die brutale Zeit des alles einäschernden Dreißigjährigen Krieges beschreibt Kehlmann als ihn schreckenden Krater, um den er lange Jahre einen weiten Bogen schlug. Erst die Berichterstattung über Syrien habe ihn wohl unbewusst zur fünfjährigen Auseinandersetzung mit diesem Thema getrieben. Vielleicht, so mag man einwenden, ja aber auch etwas bewusster das Jahr 2018, an dem sich der Prager Fenstersturz zum 400. Mal jährt.

Gemeinsam lesen

Gleich ums Eck findet sich angenehmerer Stoff an der Ideentanke Baden-Württemberg: ein Podium zum Thema „Literatur für alle“. Carsten Sommerfeld und Thomas Böhm präsentieren ihr Konzept des Shared Reading. Was auf den ersten Blick wie ein herkömmlicher Lesekreis wirkt, kann mehr sein: ein Raum, der den Austausch über Literatur, für alle ermöglicht. Dieses Vorhaben mit seinen Zielen der Inklusion und Face-to-Face-Kommunikation hat etwas Beruhigendes: Auch im Zeitalter der Digitalisierung wird der Austausch über fundamentale Themen des Lebens wohl nicht nur noch mit humanoiden Pflegerobotern, autonom fahrenden Autos oder intelligenten (oder stumpfsinnig lauschenden) Lautsprechern stattfinden. Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass viele der elektronischen Angebote auf der Buchmesse auf eine eigenartig indifferente Art und Weise übergangen werden: Die Besucher drücken meist zwei oder drei Mal auf Touchscreens, gehen dann weiter und greifen nach einem Buch. Diese Beobachtung passt zu den jüngsten, stagnierenden Umsatzzahlen der e-Books. Allerdings erfasst ein solch oberflächlicher Blick der haptischen Wahrnehmung nicht die gesamte Wirklichkeit. Man darf nicht vergessen: Die Infrastruktur des Buchhandels – von der Textproduktion bis zur Vermarktung – ist bereits weitgehend digitalisiert. Geistig belebt von vielen Eindrücken, aber körperlich ermattet machen wir uns auf die Heimfahrt. Die Deutsche Bahn sorgt wieder für Bodenhaftung der schmerzenden Füße: Irgendwie muss der Konzern ja mit der Buchmesse rechnen. Die Kombiangebote sprechen dafür, der vollkommen überfüllte Zug dagegen. Aber immerhin hat man genug Lesestoff für die Fahrt im Stehen.