Mit Code die Welt verbessern

ZV: Herr Haschler, was ist „Jugend hackt“?

SH: „Jugend hackt“ ist ein Hackathon für Jugendliche, der vom 9. bis 11. November 2018 stattfindet: Am Freitag kommen die Jugendlichen an und bekommen Impulse zu Open Data bzw. unserer Hackerethik, bevor es ins Brainstorming geht. Am Samstag ist Coden, Hacken und Maken angesagt und am Sonntag präsentieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Ergebnisse vor einer kleinen Audience.

ZV: Wer kann an „Jugend hackt“ teilnehmen?

SH: Alle Jugendlichen zwischen 12 bis 18 Jahren. Wir freuen uns besonders über die Teilnahme von Mädchen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten bereits etwas Coding-Erfahrung haben. Auf unserer Website kann jede und jeder schauen, ob sie oder er die erforderlichen Kenntnisse mitbringt und unter heidelberg@jugendhackt.org Fragen stellen und sich anmelden. Auch wenn die Anmeldung seit dem 15. Oktober geschlossen ist, sind immer noch Diversity-Plätze offen, da können uns die jungen Menschen einfach schreiben. Man kann aber auch teilnehmen, wenn man noch nie gecoded hat – es sollen einfach die Menschen kommen, die Lust auf so ein Wochenende haben.

 

Hackathon

Gemeinsam coden;
CC-BY 4.0 Jugend hackt, Foto: Anna Henatsch

 

Mit Code die Welt verbessern

 

ZV: Was kann man auf Ihrem Hackathon machen?

SH: Die Veranstaltung steht unter dem Motto „Mit Code die Welt verbessern“. Unser Begriff des Hackens unterscheidet sich nämlich vom Alltagsgebrauch. Unter Hacken verstehen wir nicht den Einbruch in Systeme und die Verbreitung von Schadsoftware. Für uns sind „Hacker“ Menschen, die kreativ mit Technik umgehen, die neugierig sind, Spaß an den Geräten haben und in sie reinschauen wollen.

Unser Hackathon ist auch ein „Makerthon“. Wir bauen einen Makerspace auf, in dem der Kreativität kaum Grenzen gesetzt sind: Wir haben unter anderem einen 3D-Drucker, einen Lasercutter und eine Stickmaschine, die mit Turtlestitch programmierbar ist. Wir halten eine Vielzahl an Sensoren, Aktoren, Mikrocontroller usw. vor, sodass Projekte in Richtung IoT (Internet of Things), „vernetzte Dinge“ und Smart City möglich sind. Oder aber man programmiert eine App, einen Dienst, eine Website, gerne auch unter Einschluss von VR (Virtuelle Realität).

 

Auto

Ein Experiment;
CC-BY 4.0 Jugend hackt, Foto: Anna Henatsch

 

ZV: Das Event findet ja im Rahmen einer Reihe statt.

SH: „Jugend hackt“ startete ursprünglich ganz klein in Berlin, dank des Engagements der Open Knowledge Foundation Europe und dank der Agentur mediale pfade.de. Mittlerweise sind dort pro Hackathon 120 Teilnehmer dabei und das Format findet regelmäßig in vielen Städten statt. Wir waren auch schon in Taipeh und durch Kontakte zum örtlichen Goethe-Institut in Tokyo. Aber üblicherweise sind wir in größeren Städten des deutschsprachigen Raumes. In Heidelberg sind wir zum ersten Mal. Wir sind Michael Winkler sehr dankbar, dass die Veranstaltung im Mathematikon in Heidelberg stattfinden kann.

 

Technik muss bei “Jugend hackt” nicht böse sein

 

ZV: Inwieweit kann man mit Code die Welt verbessern?

SH: Technik ist weder gut noch böse, aber nie neutral. Daher sollte man sich immer genau überlegen, was man damit macht und nicht einfach darauf los basteln. Das führt sonst zu so komischen Ideen wie der Abschaltautomatik im Dieselskandal oder einem Social-Scoring-System wie in China. Da es unser Ziel ist, den Jugendlichen nicht nur Anwenderwissen, sondern auch Herrschaftswissen weiterzugeben, haben wir hier eine hohe Verantwortung. Wir wollen bei den jungen Menschen frühzeitig Verantwortungsbewusstsein schaffen. Ich freue mich, dass Daniel Domscheit-Berg anhand der Hackerethik mit den Jugendlichen darüber diskutieren wird.

 

Jugend hackt

Kann Technik böse sein?
CC-BY 4.0 Jugend hackt, Foto: Anna Henatsch

 

ZV: Ein wichtiges Thema auf dieser Veranstaltung sind ja auch Offene Daten. Worum handelt es sich dabei?

SH: Man muss zwischen Big Data und Open Data (Offene Daten) unterscheiden: Big Data zielt auf die Analyse großer Datenmengen, Open Data sind Daten, die in einem maschinenlesbaren Format für jedermann offen zugänglich sind. Offene Daten spielen insbesondere in der kommunalen Politik eine immer größere Rolle. Offene Daten schaffen nämlich Transparenz: So haben Wetterdaten und Daten zur Luftqualität schon manche Diskussion, nicht zuletzt um die Feinstaubbelastung, angestoßen.

Mit offenen Daten kann man aber auch viel mehr machen. So kann ein Verkehrsunternehmen die offenen Daten nutzen um neue Geschäftsmodelle – etwa für das Routing von Schwerlasttransporten – zu entwickeln. Hier öffnet sich ein riesiges Feld gesellschaftlicher und unternehmerischer Nutzungsmöglichkeiten.

Uns ist es sehr wichtig, dass die Jugendlichen auf dem Hackathon eine Idee von der Wichtigkeit offener Daten bekommen. Ich bin selbst Lehrer und in Schulen vermitteln wir dieses Thema leider nicht. Es kommt auch in der Lehrerausbildung und -fortbildung viel zu kurz. Deshalb werden wir dieses wichtige Themenfeld auf dem Hackathon mit einem eigenen Impulsvortrag vorstellen.

 

Unterricht im digitalen Zeitalter

 

ZV: Sie haben gerade den Schulunterricht erwähnt. Wo sehen Sie wichtige Ansatzpunkte für eine Reform der Schulbildung?

SH: Ich bin persönlich kein Freund mehr von Schulfächern. Für mich sind das Lern-Silos. Sicherlich brauchen wir auf einzelnen Gebieten gute Fachkenntnisse. Moderne Teams arbeiten aber international und interdisziplinär. Das heißt, wir müssen die Lehrpläne auf wesentliche Inhalte zusammendampfen. Wichtiger ist es, jeden Einzelnen zu motivieren, Wissen zu erwerben und Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Deshalb sollten Kinder mehr Räume und Möglichkeiten haben, Dinge auszuprobieren und Projektarbeit einzuüben. So kann man dann auch kritisches Denken einüben. Das alles wird durch Hacken und Maken geschult. Die modernen Teams sind auch divers zusammengesetzt. Dies setzt die Akzeptanz von Diversität voraus, was uns nicht nur deswegen eine Herzensache ist.

ZV: Woran liegt es nun aber, dass unter den Teilnehmenden von „Jugend hackt“ nur 15 Prozent weiblich sind?

SH: Ich glaube, das hat mehrere Gründe. Obwohl ich Schubladendenken nicht mag, glaube ich, dass sich Jungs im gleichen Alter oft mehr zutrauen und kurz entschieden zu einem Hackathon gehen. Mädchen denken eher zweimal darüber nach. Das muss aber nicht sein wie das Beispiel von Mareike und das Beispiel von Rebecca zeigen. Darüber hinaus kommen Informatik und digitale Themen in der Schule zu kurz. Deshalb sind noch immer die archetypischen Bilder von den schnell tippenden Hackern mit Kapuzenpulli und Mate-Tee weit verbreitet. Auf so etwas hätte ich als Mädchen auch keine Lust.

Hacken bedeutet aber auch künstlerisch oder anderweitig kreativ tätig zu sein. Hier wäre wohl die Schule gefragt: Eine entscheidende Phase scheint das Ende der Grundschulzeit zu sein – da entwickeln sich die einen in Richtung Sprache, die anderen – meist die Jungs – in Richtung Technik. Es gibt aber Wege, hier gegenzusteuern. Ich finde zum Beispiel die Calliope Mini-Projekte sehr spannend – durch das Experimentieren mit Microkontrollern sollen bereits Grundschülerinnen und Grundschüler Erfahrungen sammeln und die Angst vor der Technik erst gar nicht aufbauen. Zusätzlich werden wir nächstes Jahr ein regelmäßig stattfindendes Format für Mädchen anbieten, das ihnen vielleicht den nötigen Schutzraum eröffnet. Wir wollen dann schauen, wie das angenommen wird und wie die Reaktionen sind.

 

Preisverleihung

Das Team;
CC-BY 4.0 Jugend hackt, Foto: Daniel Seitz

 

Einsatz für die digitale Mündigkeit

 

ZV: Sie sind ja auch Mitglied im Chaos Computer Club (CCC). Welche Ziele verfolgen Sie?

SH: Im Zentrum des CCC steht nicht nur das Hacken im Sinne von „Technik verstehen“. Wir sehen uns seit über 30 Jahren als Vermittler im Spannungsfeld technischer und sozialer Entwicklungen und geben gerne unser Expertenwissen weiter. Eines unserer Gründungsmitglieder, der leider bereits verstorbene Wau Holland, hatte diese Breitenbildung immer im Blick.

Leider sehen wir im Moment viele Entwicklungen, die uns nicht gefallen. Da sind zum Beispiel verschiedene aufgeregte Hypes um Ransomware, Fake-News, Kryptowährungen und Blockchains. Andere Themen wie Netzneutralität, die wachsenden Befugnisse der Überwacher oder die Ethik von Algorithmen werden dagegen in der Öffentlichkeit zu wenig beachtet. Wir glauben, dass wir da einiges zurechtrücken und die Diskussion bereichern können. Insgesamt geht es uns um eine digitale Mündigkeit der Menschen, damit Entscheidungen auf einer breiten und damit demokratisch legitimierten Basis erfolgen und nicht wirtschaftsgetrieben oder durch intransparente Think Tanks.

Als zivilgesellschaftlicher Akteur verfolgen wir keine wirtschaftlichen Interessen, sondern haben das Gemeinwohl im Blick. Der Chaos Computer Club ist dezentral organisiert und es gibt viele lokal verortete Erfahrungsaustauschkreise (Erfa) mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Ich selbst bin im Erfa Mannheim. Am Ende des Jahres und zu einigen anderen Anlässen im Jahr kommen wir dann zusammen, tauschen uns aus und planen gemeinsame Aktionen.

ZV: In den letzten Jahren ist viel von Digitalisierung die Rede. Wo sehen Sie wichtige politische Prioritäten für Deutschland?

SH: Digitalisierung ist ein weites Feld und es ist schwierig, festzustellen, was der Begriff eigentlich meint. Es gibt natürlich Megatrends wie Künstliche Intelligenz, die von vielen eher als Bedrohung empfunden wird. Automatisierung und Entscheidungsfindung mittels Algorithmen bieten aber auch eine riesige Chance. Sie nehmen uns Arbeit ab – nicht nur wie früher Handarbeit, sondern jetzt auch Kopfarbeit. Abgesehen von der Erleichterung, stupide Tätigkeiten nicht mehr selbst durchführen zu müssen, steigen die Chancen, Krankheiten besser behandeln zu können, wenn etwa ein Medizinbot unter Rückgriff auf das geballte Wissen der Datenbanken Wechselwirkungen von Medikamenten besser beurteilt als es jeder Mensch könnte.

Worauf wir sehr achten müssen, ist die Frage der Qualifizierung. Ich bin begeisterter Lehrer und meine, dass wir noch viel mehr Menschen einen höheren Bildungsabschluss ermöglichen müssen. Darüber hinaus sollten wir unsere Denkweise verändern und flexibler werden. Die Menschen müssen die Chancen der Digitalisierung sehen, Lust auf Neues und aufs Lernen haben. Viele Menschen haben diese Lust in ihren klassischen Ausbildungen, in Schule und Beruf, verloren. Alle, die wir verlieren, leiden nicht nur selbst als Abgehängte, sondern es besteht auch die Gefahr einer politischen Radikalisierung. Bildung und Fortbildung muss deshalb in Zukunft noch einen viel höheren Stellenwert einnehmen. Langfristig muss man sich etwa überlegen, ob man die Schulpflicht zugunsten eines lebenslangen Rechts auf Bildung abschafft.

ZV: Weshalb engagieren Sie sich im Chaos Computer Club und bei „Jugend hackt“?

SH: Mir ist sehr an den Themen gelegen. Es gibt viele Menschen, die von den Ängsten der Menschen leben, mit ihnen spielen und vermeintlich einfache Antworten bieten. Das ist gefährlich, denn es gibt oft keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen und manchmal muss man Unsicherheiten für sich einfach aushalten können. Ehrenamtliches Engagement ist in diesem aufklärerischen Zusammenhang sehr wichtig. Denn es geht uns in Deutschland gut und jeder sollte ein paar Tage im Jahr in die Gesellschaft investieren, von der unser aller Leben – und das ist nicht übertrieben – abhängt.

Man nimmt durch ein solches Engagement auch sehr viel mit. Mein Motto ist „Teaching means learning“ – denn beim Teilen von Wissen lernst auch Du im Austausch immer etwas Neues und das Tolle ist, dass sich Wissen beim Teilen mehrt und nicht wie bei materiellen Gütern weniger wird. Das ist ein großer Ansporn.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Steffen Haschler

Chaos Computer Club

Bildungsprojekt „Chaos macht Schule“

Erfa-Kreis Mannheim

https://www.ccc-mannheim.de/

steffen@ccc-mannheim.de

 

Beitragsbild: Chaos Computer Club