Wege der Automobilbranche

Die Automobilbranche steht vor epochalen Umbrüchen. Der Dieselskandal und die folgenden Friktionen innerhalb der scheinbar festgefügten Landschaft deutscher Automobilbauer lenkte den Blick auf die großen Herausforderungen, vor denen die Automobilbranche von heute steht. Der Dieselantrieb wurde geradezu zum Synonym für das Festhalten an überalterter Technik, der Dieselbetrug zur Metapher für innovationsfeindliche Kartelle von Wirtschaft und Politik. Die gegenwärtigen Unwägbarkeiten der Branche reichen jedoch tiefer.

Tesla

Hier ist zum ersten die Frage des Antriebs zu nennen, die sich nicht auf den Gegensatz von Benziner und Diesel zuspitzen lässt. Erst der deutlich wahrnehmbare Erfolg von Tesla verhalf den Plänen „reiner“ Elektromobilität – auch jenseits von Hybridantrieben und Brennstoffzellen – zu einem gewichtigen Platz innerhalb der Strategien großer Automobilkonzerne. Wenngleich sich in der letzten Zeit die Nachrichten häuften, nach denen Tesla Schwierigkeiten hat, seine selbst gesteckten Ziele zu verfolgen, scheint das Modell Tesla zum neuen Paradigma moderner Mobilität zu werden.

Fertigung

Die Folgen für die Automobilwirtschaft könnten einschneidend sein: die Änderungen in der Motortechnik und der Wegfall von großen Teilen der Getriebe wird auch die Zuliefererindustrie vor erhebliche Herausforderungen stellen. Die technischen Abläufe bei der Konstruktion von E-Autos scheinen anderen Fertigungstechniken so zu ähneln, dass nun auch große Unternehmen in diese Branche drängen, die zuvor eher durch Staubsauger oder Suchmaschinen aufgefallen sind. Man fühlt sich geradezu an die Autofertigung der Frühzeit erinnert, als einige Hersteller Autos in einem Portfolio mit Nähmaschinen und Fahrrädern anboten. Zu einem der erfolgreichsten Hersteller elektrogetriebener Lieferwagen zählt hierzulande die Deutsche Post. Batterien und die ihnen zugrundeliegenden Rohstoffe werden in ihrer Bedeutung stark zunehmen. Die gesamte Mineralölindustrie – von den Erzeugerländern bis zum Tankstellennetz – wird sich neu aufstellen müssen. Umgekehrt werden bedeutende Investitionen in den Energiesektor und die Elektroinfrastruktur notwendig sein um die E-Mobilität am Laufen zu halten.

Autonomes Fahren

Zweitens steht Tesla aber auch dafür, autonomes Fahren erstmals über das Versuchsstadium hinaus zur Marktreife oder vielmehr Markterprobung geführt zu haben. Auch spektakuläre Unfälle konnten diesen Optimismus nicht trüben. Gleichwohl stehen die Ingenieure vor größeren Problemen: Neben der generellen Steuerungstechnik und insbesondere ethischen Fragen (das „richtige“ Verhalten bei drohenden Unfällen) betrifft dies die Lesbarkeit von Verkehrsschildern, die Sicherheit und die Leistungsfähigkeit der Netzverbindungen, die Zuverlässigkeit des Kartenmaterials und das Management ganzer Fahrzeugflotten.

Folgen

Über kurz oder lang wird sich die Mobilität unserer Gesellschaft wohl grundlegend ändern – mit allen Folgen für die Arbeitswelt: Taxifahrer, Postboten, LKW-Fahrer und Zugführer wird wohl bald das Schicksal von Laufboten und Droschkenkutschern ereilen. Für die Industrie 4.0 und insbesondere die Transportlogistik sowie die Werbewirtschaft werden sich herausragende Perspektiven eröffnen. Auch neue Ansätze der sharing economy werden wohl aufgenommen werden. Bislang vom öffentlichen Nahverkehr abgeschnittene Regionen könnten integriert werden. Die Schattenseite könnte jedoch in dem Paradoxon abnehmender individueller Freiheitsgrade bei zunehmender Mobilität bestehen: Wer von uns führte nicht bereits stumme Dispute mit seinem Navigationsgerät über die (vermeintlich) beste Route? Wer hat Zugriff auf die Nutzerdaten, die bereits heute recht großzügig erhoben werden? Die Mobilität der Zukunft erscheint somit nur ein Teilaspekt jener großen Entwicklungsstränge zu sein, den wir unter „Digitalisierung“ zu fassen suchen.