Die Bürger beteiligen

Foto: Fuchs&Otter, Benjamin Schnepp

Eine gelungene Stadtplanung stellt heute hohe Anforderungen an kommunale Kommunikationsprozesse. Zeitenvogel sprach mit Matthias Burgbacher von PLAN:KOOPERATIV über Bürgerbeteiligungen, urbane Interventionen und Stadtplanung in Zeiten der Smart City.

ZV: Herr Burgbacher, was ging bei Stuttgart 21 schief?

MB: Bei Stuttgart 21 gab es keine sinnvolle Öffentlichkeitsbeteiligung und massive Kommunikationsfehler. Es wurde lange Zeit gar nicht klargemacht, welche Chance Stuttgart 21 darstellt: Wie wird Stuttgart aussehen, wenn der Bahnhof unter der Erde ist? Wieviel Grünflächen werden neu erschlossen? Stuttgart ist ja bereits eine der deutschen Städte mit den meisten Grünflächen. Das wurde nicht kommuniziert. Man überließ den Gegnern völlig das Feld und schuf keine positiven Bilder. Witzigerweise fingen ja die Leute erst an, für Stuttgart 21 auf die Straße zu gehen, als es langsam zu kippen drohte. So ist es nun einmal: Menschen gehen fast ausschließlich gegen Dinge auf die Straße.

ZV: Was sind die Grundprobleme bei Bürgerbeteiligungen in Deutschland?

MB: Eines der größten Probleme ist es, Menschen dazu zu bekommen, mitzumachen. Menschen müssen Formate geboten werden, die ihnen Spaß machen und bei denen sie merken, dass sie Gestaltungsspielraum haben. Man sollte sie zwar nicht überfordern, zugleich sollten die Formate aber nicht so niedrigschwellig werden, dass man nach einer Infoveranstaltung gelbe und rote Zettel an die Wand klebt, dann wieder geht und überhaupt nicht weiß, welchen Einfluss man jetzt hatte.

Allerdings wollen Menschen zwar eingebunden werden, gehen aber nur zu den Veranstaltungen, wenn diese wirklich zu ihnen passen. Das muss auch ankommen. Wir merken bei unseren Projekten sehr oft: In Dörfern und Kleinstädten ist die Identifikation super, ab einer Größenordnung von etwa Heidelberg wird es extrem schwer. Dann habe ich die, die immer hingehen oder ich habe diejenigen, die ganz eng am entsprechenden Projekt wohnen, die beiden Gruppen interessiert es – den Rest juckt es einfach nicht.

ZV: Welche Phasen lassen sich bei solch einem Beteiligungsprozess unterscheiden?

MB: Die Beteiligung setzt idealerweise in der Phase Null an, wenn noch nicht viel steht. Man muss zwar gewisse Grundlagen geschaffen haben, aber im Idealfall setzt man die Beteiligung dann an, wenn noch nicht viel passiert ist. Dann ist ein Projekt noch formbar. Es ist eigentlich ein Fehler, erst zu planen und die Pläne dann den Menschen vorzulegen: Warum soll ich die Menschen mit fertigen Plänen konfrontieren mit der Gefahr, die Pläne nochmals komplett über Bord werfen zu müssen? Besser binde ich sie doch vorher ein, frage, was gewünscht ist oder was auch immer der Beteiligungsgegenstand ist und plane daraufhin. Das ist unser Ansatz.

Dann kann man die Beteiligung an sich wieder in verschiedene Projektphasen einteilen. Es gibt die große Phase der Öffentlichkeitskampagne, die Menschen dazu zu bringt, mitzumachen. Anschließend sammeln wir dann häufig erst einmal lose Ideen für ein Projekt, seine Stärken und Schwächen. Da kommt ganz, ganz viel Input, den können wir wieder sortieren. Dann wissen wir, in welche Richtung die Gedanken der Bürgerschaft gehen. Wir können daraufhin unsere Workshops konzipieren und vertieft ins Gespräch gehen. Wir haben neben diesen Beteiligungen ab der Nullphase auch Beteiligungen, bei denen wir erst ganz am Ende hinzustoßen, wenn es beispielsweise einen Architekturwettbewerb gibt und gefragt wird: Wie denkt die Bürgerschaft über die fünf Entwürfe, die eingereicht wurden? Wir können in jeder Phase einsteigen, die sinnvollste Phase ist jedoch die Phase Null.

ZV: Wer sind Ihre Kunden?

MB: Faktisch ausschließlich Städte und Kommunen. Unser Haupttätigkeitsfeld sind ja Bürgerbeteiligungen in Stadtentwicklungsprojekten. Typischerweise wird ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin – es ist leider noch sehr selten, dass es eine Bürgermeisterin gibt – auf uns aufmerksam, dann geht es durch die Gemeinderäte und läuft an. Wir hatten aber auch bereits Projekte für Private, zum Beispiel die Uniklinik Freiburg, für die wir gearbeitet haben.

ZV: Was ist Ihr Angebotsspektrum?

MB: Wir decken den kompletten Beteiligungsprozess ab: Wir machen die Öffentlichkeitskampagne, also Print, Druck, Flyer, Microsite. Wir arbeiten auch sehr gerne mit urbanen Interventionen im öffentlichen Raum, die die Leute überraschen, vielleicht auch provozieren, auf alle Fälle aber dazu bringen, über ein Thema nachzudenken. Wir haben Tools für die Onlinebeteiligungen, die wir an den jeweiligen Fall anpassen. Wenn nötig, entwickeln wir komplett neue Tools für einen Prozess oder greifen auch auf bestehende Lösungen, wie beispielsweise Online-Fragebögen zurück, wenn dies sinnvoll ist. Wir führen Workshops und Aktionen vor Ort durch, wie etwa Stadtteilspaziergänge. Am Schluss werten wir aus und beteiligen uns bei der Auslobung eines Wettbewerbs. Im Idealfall sind wir vom Anfang bis zum Schluss dabei und können deshalb garantieren, dass das, was die Menschen gesagt haben, auch mit einfließt.

ZV: Was wären Beispiele für urbane Interventionen?

MB: Wenn Menschen lange in einer Stadt leben, werden sie betriebsblind. Sie müssen sich dann wieder einmal fragen: Wo bin ich hier eigentlich? Wo lebe ich? Welche Stärken hat meine Stadt, welche Schwächen? Da müssen wir die Leute einfach so ein bisschen kitzeln. Die Leute sollen über die Themen diskutieren, beim Frisör, beim Metzger, beim Bäcker. Das brauchen wir.

Wir haben zum Beispiel in einer Stadt abends zehn Zentimeter breites Gaffa-Band auf den Bürgersteig geklebt und mit Sprühkreide und Schablonen sehr großformatig Fragen auf die Straße gesprüht: Wo kann man hier sitzen? Wo kann man hier spielen? Was hilft ehrenamtliches Engagement? Die Leute sollten aus der Tür gehen und nicht verstehen, was los ist. Wir hatten aber auch sehr konkrete Aktionen wie zum Beispiel bei der Umgestaltung eines Kelterareals. Die Stadt wollte dort eigentlich Wohnraum haben. Wir haben Plakate gedruckt und zuvor mit Hilfe einer Bildbearbeitung um diese Kelter herum Hochhäuser rein montiert: „Alte Kelter – neuer Wohnpark“. Oder haben eine Achterbahn reinmontiert: „Alte Kelter – neuer Freizeitparkt“. Diese Dinge mussten die Leute ablehnen, da sie völlig übertrieben waren. Sie wurden aber auch dazu gebracht, sich Gedanken über Alternativen zu machen: Wenn ich keine Hochhäuser will, welche Form von Wohnen will ich dann? Wenn ich keine Achterbahn will, welche Form von Freizeitareal will ich dann?

Aktuell führen wir eine Fake-News-Kampagne durch, in der es heißt, dass sich eine Stadt umbenennen will, weil ihr Solebad schließen soll. Das ist kürzlich gestartet und schlägt extrem hohe Wellen. Der SWR berichtet darüber, alle Zeitungen greifen es auf. Ein paar durchschauen, dass wir dahinterstecken. Da haben wir uns offenbar schon einen entsprechenden Ruf aufgebaut – das ist natürlich toll.

ZV: Nutzen Sie auch Elemente der VR (Virtual Reality)?

MB: Es ist natürlich immer noch mein Traum, wenn es um Partizipation geht, dass ich irgendwann einmal die Menschen mit VR-Brillen in den öffentlichen Raum schicken kann. Dann können sie sich umschauen und verschiedene Szenarien durchspielen und diese diskutieren. Die Technik ist langsam so weit. Wir haben jetzt immer mehr Start-ups, die solche Techniken entwickeln oder anpassen und für das Thema Architektur und Städtebau nutzbar machen. Allerdings ist das noch sehr, sehr teuer. Und wir haben das Problem, dass es zu Beginn des Beteiligungsprozesses noch nicht so viel Visualisierung gibt. Das würde sich eher für die Einbindung in den städtebaulichen Wettbewerb eignen. Ich glaube aber, es dauert nicht mehr lange, bis wir diese Techniken zum ersten Mal anwenden werden.

ZV: Welche Onlinelösungen integrieren Sie?

MB: Wir gebrauchen browserbasierte Anwendungen und Webseiten, mit denen man interagieren kann. Diese browserbasierten Tools sind deutlich leichter anpassbar als Apps, man hat weniger Hürden mit App-Stores. Auch für die Bürgerinnen und Bürger ist dies einfacher: Sie müssen nur die QR-Codes scannen oder über den Browser die Seite aufrufen. Wir haben verschiedene Onlineanwendungen. Beim Plan-o-mat geht es zum Beispiel darum, Präferenzen für Maßnahmen im öffentlichen Raum auszudrücken: Man hat für jede Maßnahme wie „Begrünung“, „Aufwertung der öffentlichen Plätze“ usw. einen Schieberegler. Wenn man – um seine Präferenz für die entsprechende Maßnahme auszudrücken – diesen Regler verändert, sieht man auf einer digitalen Karte, wie sich die Maßnahme auswirken könnte.

Das ist auch schon eine rudimentäre Form von AR (Augmented Reality). Bei uns ist die Gestaltung der Onlineanwendungen allerdings bewusst illustrativ gehalten. Die Gefahr bei solchen Technologien ist nämlich, dass die Bürgerinnen und Bürger sich das 3D-Modell anschauen und alles super finden, dann wird es gebaut und die Leute sagen: So sah es ja gar nicht aus! Die Verlockung der AR ist der Fotorealismus, dann haben die Leute ein sehr konkretes Bild im Kopf. Wenn wir das Verfahren aber illustrativ halten, dann sehen die Leute, was dahinter steht ohne dieses konkrete Bild zu haben.

Wir verwenden auch sehr viele Mapping-Verfahren, das heißt man kann Informationen in eine Karte pinnen: Wo sehe ich Stärken, wo Schwächen in meiner Stadt? Wo erkenne ich Verbesserungsbedarf oder ganz konkrete Ideen?

ZV: Welche Kampagnen oder Projekte liefen besonders gut?

MB: Sie liefen eigentlich alle sehr gut (lacht). Sowohl die Kunden als auch wir waren bei jedem einzelnen Prozess zufrieden. Man muss aber auch sagen: Je länger wir dabei sind, desto mehr trifft das zu. Besonders erfolgreich war der erwähnte Prozess im Kelterareal in Niedernhall. Bei der großen öffentlichen Abschlussveranstaltung des Beteiligungsprozesses mit ein paar hundert Leuten wurden wir gefühlt von jedem einzelnen per Handschlag verabschiedet: Wie toll das war, wieviel Spaß das gemacht hat. Wenn ich das sehe, dann haben wir offensichtlich einiges richtiggemacht. Das ist in den kleinen Orten dankbar, da sich alle Leute mit dem Prozess identifizieren. Ich merke immer wieder, dass größere Städte viel schwerer zu knacken sind.

ZV: Wer steht hinter PLAN:KOOPERATIV?

MB: PLAN:KOOPERATIV sind mein Geschäftspartner Steffen Becker und ich. Steffen ist Landschaftsarchitekt und Freiraumplaner. Er verfasst gerade seine Dissertation zum Thema Stadtquartiere. Ich habe Soziologie und Psychologie studiert. Steffen hat mit dem Thema Beteiligung bereits während des Studiums mit einigen Freunden angefangen. Ich stieß dann nach einiger Zeit zur Gruppe dazu. Irgendwann entwickelte sich daraus dann das Unternehmen in der heutigen Form. Wir lehren auch am KIT (Karlsruher Institut für Technologie) im Bereich Stadtquartiersplanung. Diese Aktivität ist für uns von enormem Vorteil: Wir sind eng an der Planungsrealität dran und wissen, wie man Menschen so einbinden muss, dass Planerinnen und Planer etwas damit anfangen können. Ich arbeite auch sehr viel im Bereich Kultur- und Kreativwirtschaft, vor allem auf Bundesebene.

ZV: Stadtplanung ist sicher ein sehr großes Thema. Wie sollte eine moderne Stadt aussehen?

MB: Ich versuche abstrakt zu bleiben. In den 1960er und 1970er Jahren gab es die Maxime der autogerechten Stadt. Damit haben wir uns aber auch massive Probleme eingehandelt. Die Stadtplanung nahm in der Folge wieder den Menschen in den Blick. Jetzt haben wir das Ideal der Smart City und ich habe das Gefühl, dass wir wieder ein bisschen zu technokratisch werden: Smart City kann alles und macht alles, aber wollen wir in Wohnungen wohnen, in denen wir nicht lüften dürfen, in denen wir die Jalousien nicht von Hand bedienen dürfen, weil die Wohnung weiß, wann Luft rein muss, wann Sonne rein muss? Von der Energieeffizienz her betrachtet ist das sicherlich sehr sinnvoll, will ich aber so leben? Um es auf die städtebauliche Ebene zu übertragen: Bei allen Automatisierungen sollten wir künftig die Menschen nicht ganz aus dem Blick verlieren – Menschen, die immer noch individuelle Entscheidungen treffen wollen. Darauf müssen Städte meiner Meinung nach ausgelegt sein.

Wie sonst die Stadt der Zukunft aussehen wird? Ich glaube, dass sie Aufgaben wahrnehmen muss, die wir heute noch gar nicht richtig denken können. Die Industrie 4.0 könnte dazu führen, dass die Mehrzahl der Menschen nicht mehr arbeiten wird, weil Roboter die Arbeit übernehmen – und hier reden wir nicht nur vom einfachen Arbeiter am Fließband, sondern auch von Medizinern und Juristen, die vielleicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden. Vielleicht muss eine Stadt dann auch darauf antworten, dass die Mehrzahl ihrer Bewohner nicht mehr zur Arbeit geht: Was macht man mit den Menschen? Wie beschäftigt man sie?

ZV: Gehen wir abschließend noch vom Abstrakten zum Konkreten: Was würden Sie sich für die gegenwärtigen städtebaulichen Projekte in Heidelberg wünschen?

MB: Ich würde mir wünschen, dass mit Mut rangegangen wird. Ich bin sofort dabei, wenn man bei Projekten wie dem Patrick-Henry-Village sagt: Lasst uns einen Modellstadtteil der Zukunft bauen. Hinsichtlich Partizipation ist die Situation in Heidelberg schon sehr glücklich. Allerdings würde ich mir auch wünschen, dass die Moderationstraditionen der 1960er/1970er Jahre überwunden werden. Da wäre noch Luft nach oben. Es ist leider so, dass Heidelberg keine Onlinebeteiligungen macht, dass es keine zeitgemäßen Beteiligungsformate und unterschiedliche Schwellen gibt: Wenn ich mich in Heidelberg einbringen will, dann muss ich zu dieser Veranstaltung. Warum bietet man der Masse nicht erstmal die Möglichkeit, sich online einzubringen? Das würde dann mit den Leuten bei der Veranstaltung vor Ort diskutiert, so wie wir das ja auch machen. Trotzdem können wir aber auf alle Fälle froh sein, dass in Heidelberg so viele Beteiligungsverfahren durchgeführt werden.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

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Matthias Burgbacher

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