Die Stadt der Zukunft I

Foto: Drees und Sommer

Die Stadt der Zukunft wird bereits heute gedacht und geplant. Die Digitalisierung verändert auch Städtebau und Gebäudeplanung grundlegend. Im ersten Teil des Interviews spricht Zeitenvogel mit Gregor Grassl (Drees und Sommer) über nachhaltiges Bauen in Heilbronn und der Mongolei, Planung im Zeitalter der Digitalisierung und intelligente Städte.

ZV: Herr Grassl, wer sind Drees und Sommer?

GG: Drees und Sommer ist in Deutschland eines der führenden Unternehmen für Immobilienberatung und Immobilienmanagement. Groß geworden sind wir im Projektmanagement für Bauprojekte in jeder Bauweise, von komplexen Infrastrukturprojekten bis zu herkömmlichen Gebäuden im Hoch- und Tiefbau. Mittlerweile bieten wir auch jede Form der Fachplanung an, außer architektonischen Dienstleistungen. Als Partner der jeweiligen Architekten und Berater der Bauherren sind wir für die Planung und Kontrolle von Kosten, Qualität und Terminen verantwortlich. An unseren deutschen Standorten arbeiten ungefähr 2000 Mitarbeiter. Wir sind aber auch international aufgestellt, mit Standorten, unter anderem in Großbritannien, den skandinavischen Ländern sowie Russland, China und Brasilien.

ZV: Welche Berufsgruppen sind bei Ihnen vertreten?

GG: Grundsätzlich sind bei uns alle Sparten der Immobilienbranche vertreten. Die meisten unserer Beschäftigten sind zwar noch immer Ingenieure, inzwischen hat allerdings jede Immobilie ihre spezifischen Anforderungen. Deshalb ist es für uns sehr wichtig, die Bedürfnisse der Nutzer zu verstehen und nicht nur die Bautechnik. In unserem Haus sind deshalb auch „Exoten“ tätig, zum Beispiel zwei Ärzte für den Bereich Krankenhausimmobilien.

ZV: Was ist Ihre Aufgabe bei Drees und Sommer?

GG: Als Leiter des Bereiches Green City Development plane, berate und zertifiziere ich mit meinem Team vor allem Projekte, bei denen das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt steht. In diesem Bereich bin ich für alles zuständig, was über die Einzelgebäude hinausgeht, von kleineren Liegenschaften bis hin zu ganzen Stadtentwicklungsprojekten. Die Thematik Nachhaltigkeit liegt mir am Herzen: Als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen und anderer Forschungsnetzwerke kann ich viele Dinge vorantreiben und weiterdenken. Ich glaube, dass wir die Welt so immer wieder ein bisschen besser machen können.

Geplanter Stadtsee im Neckarbogen; Foto: Bundesgartenschau Heilbronn 2019 GmbH

ZV: An welchen Projekten sind Sie im Moment beteiligt?

GG: Gerade im Quartiersbereich fallen mir einige Projekte ein. Zum Beispiel begleiten wir den Neckarbogen in Heilbronn, der, wie ich meine, sehr gut gelungen ist. Die ersten Bauabschnitte werden ab 2019 mit der Bundesgartenschau wieder zugänglich sein. Wir sind auch an den Planungen zur neuen Hauptstadt der Mongolei beteiligt. Das ist ein spannendes Projekt, bei dem wir auf einem sehr guten Weg sind. Allerdings ist dies auch eine langfristige Aufgabe, die erst in der nächsten Generation vollendet sein wird.

Maidar Ecocity, Mongolei; Foto: Stefan Schmitz RSAA GmbH

ZV: Mit welchen Aspekten der Digitalisierung kamen Sie bislang in Kontakt?

GG: Leider mit viel mehr Aspekten, als mir lieb ist (lacht). Ich bin kein Freund der Digitalisierung um ihrer selbst willen. Meine Vision ist, dass uns die Digitalisierung in den Bereichen, in denen wir im Moment Probleme haben, echte Lösungsansätze bietet. Wir benutzen ja auch heute alle Taschenrechner. Der Taschenrechner hilft uns bei all den Aufgaben, die wir im Kopf nur mit großem Aufwand berechnen könnten. Wir können uns so Zeit für das nehmen, was wir wirklich machen wollen.

ZV: Was hat sich bei der Planung in den letzten Jahren geändert?

GG: Die Welt hat sich komplett geändert. Die Planung hat sich meiner Ansicht nach aber viel zu wenig auf die neuen Anforderungen eingestellt. Trotz aller Fördermittel, etwa für den Breitbandausbau, machen wir weiterhin klassische Bebauungspläne, also Pläne, in denen festgehalten ist, wo ein Gebäude steht und wo eine Straße geplant ist. Im Städtebau geht es immer noch primär um gestalterische Themen, die natürlich auch wichtig sind. In diesen Bereichen herrscht meines Erachtens noch die Einstellung vor, dass man „ohne Technik“ baut. Das wird sich in den nächsten Jahren sicherlich ändern. So diskutieren wir zum Beispiel gerade intensiv, ob unser Bauleitplanungsansatz überhaupt noch für die heutigen Anforderungen geeignet ist. Die Nutzungstrennung, die man hier findet, stammt etwa noch aus einer Zeit, die eigentlich schon lange vorbei ist. Da wird sich einiges bewegen müssen.

ZV: Was wünschen Sie sich von den Verantwortlichen in der Verwaltung?

GG: Ich denke, dass man viel mehr zusammenarbeiten und mehr Mut zeigen müsste. Es gibt natürlich viele Punkte, die auf den ersten Blick gegen eine Digitalisierung sprechen. Das Thema Datenschutz ist sicherlich berechtigt und hier ist Sensibilität im Umgang mit den Daten gefragt. Allerdings ist am Schluss doch unverständlich, wenn man bei zehn verschiedenen Verwaltungsstellen jedes Mal wieder dieselben Angaben, angefangen beim eigenen Namen, machen muss. Überspitzt formuliert handelt es sich hier um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Bestimmte Daten müssten weitergegeben werden dürfen. Der Staat könnte so – gerade bei den oft knappen Kassen auf kommunaler Ebene – die Effizienz seiner Verwaltung steigern. Die frei gewordenen Ressourcen könnten dann in sinnvollere Bereiche investiert werden, wie zum Beispiel den Klimaschutz.

ZV: Welche Rolle spielt BIM (Building Information Modeling) für die Planung der Zukunft?

GG: Die Planung mit BIM hat den großen Vorteil, dass man nicht nur optisch plant, sondern zugleich alle notwendigen Informationen festhält. Jeder Strich steht also für ein Bündel von Informationen: Wann wird etwas gebaut? Mit welchem Material wird gebaut? Wieviel kostet dieser gezeichnete Strich dann auch in der gebauten Realität? Hier gibt es ein gewaltiges Potenzial für Mehrwerte. Ich bin sicher, dass sich dieses System durchsetzt. In Großbritannien ist BIM bereits für alle staatlichen Bauten verpflichtend. In Deutschland wird dies auch bald der Fall sein.

Hierzulande erweisen sich aber die vorhin erwähnten mangelnden Planungsvoraussetzungen als hinderlich. Die HOAI (Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen) hat zum Beispiel das Thema BIM-Planung noch nicht vorgesehen. So fehlt auch die Grundlage für ein entsprechendes Angebot. Entscheidend sind also wieder Mängel in den Verwaltungsstrukturen. Wir könnten alle bereits mit BIM arbeiten, es sind aber einige Änderungen notwendig, damit wir den Mehrwert nutzen können.

ZV: Was ist der Mehrwert von BIM für den Bauherrn?

GG: Die großen Vorteile von BIM zeigen sich vor allem bei Bauherren, die den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes im Blick haben. Heute müssen wir von Gebäuden mitunter erstmal eine Bestandsaufnahme machen, weil es keine entsprechenden Pläne mehr gibt oder aber die Pläne wurden bei Veränderungen nicht nachgeführt. Der Aufwand für den Betrieb ist gigantisch. Ein BIM-Modell kann hingegen über den gesamten Lebenszyklus mitgeführt werden und bietet so nicht nur dem Projektmanagement und dem Planungsteam, sondern auch dem Bauherrn selbst große Vorteile. Mit BIM können die Planungsdaten nämlich direkt an den Betrieb übergeben werden. Das heißt, wenn sie irgendwann etwas in Ihrem Gebäude austauschen müssen, wissen Sie genau, wann es von welcher Firma eingebaut wurde. Sie können das entsprechende Teil sofort nachbestellen, der Handwerker kann es dann recht einfach einsetzen.

BIM-Daten; Abbildung: Drees & Sommer

ZV: Ein Schlagwort, das im Zusammenhang mit künftigem Städtebau immer wieder fällt, ist „Smart City“. Wie smart werden Städte der Zukunft eigentlich sein?

GG: Das ist eine gute Frage. Hinter dem Begriff verbirgt sich wie bei den meisten Anglizismen häufig ganz Verschiedenes: Für manche ist Smart City nur ein etwas moderneres Wort für nachhaltige Stadtentwicklung. Andere gebrauchen den Begriff rein technisch im Zusammenhang mit Digitalisierung und für sie ist mit dem Breitbandausbau bereits alles smart. Ich denke, dass die Wahrheit dazwischenliegt. Zentral ist meines Erachtens aber, dass eine Smart City mit Intelligenz ausgestattet sein muss. Unsere Städte müssen unbedingt intelligenter werden.

ZV: Wodurch zeichnet sich diese Intelligenz aus?

GG: Zunächst benötigt man Daten. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten zur Datenerhebung – Sensoren oder auch andere Quellen. Diese Daten sind für die Auswertung notwendig, aber nicht ausreichend: Wenn man keine Wörter hat, kann man auch keine Sprache sprechen. Ein Wörterbuch ist aber noch lange kein guter Übersetzer. Hier kommt die Intelligenz ins Spiel: Wie gehe ich mit bestimmten Sachverhalten um? An welchen Stellen investiere ich und wo nicht? Die Städte der Zukunft brauchen eine entsprechende Strategie. Bislang haben wir viel zu viele Regeln aber keine Strategien. Die Aufgabe des Staates wird sich künftig nicht mehr nur in Regelungen und Verboten erschöpfen. Gefordert ist vielmehr ein smartes Management, das Mehrwerte für die gesamte Bürgerschaft erreicht.

ZV: Bedeutet dies auch, dass sich die juristischen Rahmenbedingungen ändern müssen?

GG: Ja, absolut. Unsere Planungsvorgaben und unsere Gesetzgebung entsprechen nicht mehr dem Stand der Digitalisierung. Auch unser Verhalten hat sich mit der Digitalisierung geändert: Wenn wir einen schriftlichen Vertrag ausgehandelt haben, lesen wir jede Zeile. Im Internet klicken wir uns aber einfach durch: Wir setzen das Häkchen „AGBs akzeptiert“ ohne die 20 Seiten durchzulesen. Wir müssen also ein ganz anderes Bewusstsein im Umgang mit den neuen Medien entwickeln. Hier kommt noch viel auf uns zu. Das gleicht der Situation beim Umstieg vom Pferd aufs Auto. Aufgrund der Zahl verfügbarer Chauffeure ging man damals davon aus, dass es nicht mehr als eine Million Fahrzeuge geben werde. Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass die Besitzer der Autos selbst den Führerschein machen würden. An diesem Beispiel sieht man, wie begrenzt oft das Blickfeld ist, wenn man sich mitten in einer bestimmten Entwicklung befindet.

ZV: Wie macht man Immobilien fit für die Digitalisierung der nächsten Jahre?

GG: Das Gebäude sollte „ready for smartness“ sein. Man kann Vorarbeiten leisten und zum Beispiel einen guten Internetanschluss anlegen – den braucht man immer – oder aber verschiedene Leerrohre für die Ladestation in der Garage. Es bleibt allerdings jedem selbst überlassen, wie weit man in der Ausführung auf dem Weg zum Smart Home geht. Wichtig ist es, möglichst systemoffen zu planen: Der Hersteller, der heute eine herausragende Komplettlösung anbietet, kann sich zugleich auch gegenüber seinen Mitbewerbern abschotten. Wenn dieser Anbieter nun vielleicht in fünf Jahren von seinen Konkurrenten überholt wird, funktioniert das System möglicherweise nicht mehr richtig und man muss es komplett ersetzen.

ZV: Was ist bezüglich der Themenkreise „Klimawandel“ und „nachhaltiges Bauen“ zu beachten?

GG: Das sind ganz wichtige Punkte. Man sollte nämlich über die Digitalisierungsmaßnahmen nicht die Ziele aus den Augen verlieren. Ansonsten kann es zu sogenannten Rebound-Effekten kommen: Ich spare mit einer bestimmten Maßnahme ein bisschen Energie ein und habe dafür zehn zusätzliche Bildschirme, die noch mehr Energie verbrauchen. Künftig werden wohl alle Wohngebäude Aktivhäuser sein. Kleinere Gebäude können über PV(Photovoltaik)-Anlagen ohne Probleme mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen. Das Thema „Klima“ muss man allerdings breiter denken und darf es nicht nur auf das Weltklima und die CO2-Reduktion beschränken. Für das eigene Wohlbefinden ist es auch wichtig, dass man nicht nur die kostengünstigsten Maßnahmen des Klimaschutzes ergreift und zum Beispiel eine Fassadendämmung anbringt, die Giftstoffe enthält. Hier sollte man auf hochwertige Produkte zurückgreifen und auch das Raumklima nicht aus den Augen verlieren.

BlueCity; Abbildung: Drees & Sommer

ZV: Schränken smarte Häuser aber nicht die Autonomie ihrer Bewohner ein, etwa wenn das Gebäude festlegt, wann gelüftet wird oder wann sich die Jalousien schließen oder wieder öffnen?

GG: Es ist wichtig, dass jeder Bewohner frei festlegen kann, was er selbst entscheiden will. Es gibt keine pauschalen Antworten. Die Digitalisierung sollte Lösungen für individuelle Probleme bieten. Und diese Probleme sind von Mensch zu Mensch verschieden: Der eine braucht auch sonst im Leben vielleicht eher Anleitung und freut sich über jede Vorgabe, der andere will einen hohen Freiheitsgrad und alles selbst bestimmen. Von daher muss jeder selbst entscheiden können, ob er es als Einschränkung empfindet, wenn er nicht mehr lüften kann wie er will oder ob er darin einen Vorteil sieht, weil er nie gelüftet hat und falsches Lüftungsverhalten zu Schimmelbildung führte.

Teil zwei des Interviews finden Sie hier.

Beitragsbild: Roche Bau 1, Basel; © Herzog & de Meuron