Die Stadt der Zukunft II

Foto: Drees und Sommer

Die Stadt der Zukunft wird bereits heute gedacht und geplant. Die Digitalisierung verändert auch Städtebau und Gebäudeplanung grundlegend. In Fortsetzung von Teil I des Interviews spricht Zeitenvogel heute mit Gregor Grassl (Drees und Sommer) über dezentrale Lösungen, Wohnen und Arbeiten, Mobilität und Bürgerbeteiligungen.

ZV: Wird es künftig mehr dezentrale Lösungen für die Grundversorgung – Wasser, Abwasser, Strom – geben?

GG: Es wird eine Mischung geben. Man wird ein bisschen weg kommen von den großen zentralen Einrichtungen, da diese viel zu unflexibel sind. Die Vernetzung wird sich aber verdichten um einen intensiveren Austausch zu ermöglichen, seien es Daten, Energie oder Stoffflüsse wie Wasser und Abwasser. Nicht alle Gebäude einer Stadt werden nämlich mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Industriegebäude werden auch in Zukunft mit ihrer Produktion einen unglaublichen Energiebedarf haben, den sie wahrscheinlich nicht selbst decken werden können. Ebenso gibt es Altbauten, die unter Denkmalschutz stehen und die wir nicht zu Tode sanieren wollen. Hochhäuser verbrauchen auf der einen Seite wenig Bauland und sind unter dem Aspekt der endlichen Ressource Bauland sehr vorteilhaft. Auf der anderen Seite haben Hochhäuser dann aber nicht genug Fläche für Photovoltaik auf dem Dach um das ganze Gebäude mit Strom zu versorgen.

Deshalb wird es ein intelligentes Versorgungsnetzwerk geben, in dem alle, Abnehmer und Produzenten von Strom, ihre Rolle haben. Im Zentrum stehen dann nicht mehr einzelne Immobilien, sondern Lösungen für ganze Quartiere. So kann sich eine Win-Win-Situation für alle ergeben, man hilft sich gegenseitig. Vielleicht müssen wir uns wieder in Erinnerung rufen, wie die Stadt früher einmal entstand: als Gemeinschaft, die alleine nicht zu bewältigende Aufgaben gemeinsam löste. Das ist für mich Smart City.

ZV: Also besteht ein wichtiges Element künftiger Stadtkonzeptionen darin, Plattformen bereitzustellen, die das intelligente Teilen verschiedener Ressourcen ermöglichen?

GG: Ganz genau. Es wird Aufgabe des Staates sein, diese Plattformen und die entsprechenden Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen. Auch die gegenwärtige öffentliche Infrastruktur kostet viel Geld und man muss sich fragen, was die Infrastruktur der Zukunft ist: Was muss der Staat bereitstellen? In welche Infrastruktur sollte man investieren und in welche nicht mehr?

ZV: Wie werden im Quartier der Zukunft Arbeit und Wohnen organisiert werden?

GG: Arbeit und Wohnen werden als Nutzungsart enger zusammenwachsen. Heute werden gewerbliche Immobilien meist nicht mehr in dem Maße wie früher industriell genutzt. Auch sind die Umweltvorschriften sowie die Filter- und Lärmschutztechnik so weit, dass man beide Bereiche nicht mehr weit auseinanderziehen muss. Die neuen Bauverordnungen gehen in diese Richtung. Es ist aber ein Trugschluss, dass mit dem näheren Zusammenrücken von Arbeit und Wohnen das Thema Mobilität keine Rolle mehr spielen wird. Die bauliche Nähe von Arbeit und Wohnen bedeutet ja nicht, dass mein eigener Arbeitsplatz wirklich in der Nachbarschaft liegt. Auch von den Bürgern der Zukunft wird Mobilität verlangt werden – man will wohl nicht jedes Mal umziehen, wenn man den Arbeitsort wechselt. Für die Stadt der Zukunft wird es eine große Herausforderung sein, diese Mobilität zu ermöglichen.

Viertel Zwei Plus, Nachhaltigges Quartier, Wien; Abbildung: IC ProjektentwicklungVisualisierung Office Le Nomade

ZV: Auch das autonome Fahren könnte dazu führen, dass der Verkehrs innerhalb der Stadt zunimmt…

GG: Ja, allerdings ist das ein Blick in die Glaskugel. Vielleicht wird es künftig nicht nur autonomes Fahren geben, sondern autonome Mobilität in vielfältiger Form. In Dubai werden seit letztem Jahr zum Beispiel Drohnen-Taxis getestet, das heißt die Mobilität in der Luft könnte ein Weg sein und man benötigt dann vielleicht keine Straßen mehr. Auch in Deutschland wurden ja bereits Drohnen getestet, allerdings eher für logistische Fragestellungen.

Die Erfahrung aus unserer bisherigen Beratertätigkeit ist, dass die Lösungen autonomer Mobilität gut durchdacht sein müssen. Das heißt, es muss Spielregeln geben. So will man zum Beispiel verhindern, dass ein Auto eine halbe Stunde eine Warteschleife um den Block fährt, nur um mich dann wieder abzuholen, weil das billiger ist als für vielleicht 20 Euro zu parken. Möglicherweise gewinnen wir aber durch solche Lösungen auch mehr städtebaulichen Gestaltungsraum – wir benötigen dann keine Parkplätze mehr. Wichtig wäre in einem solchen Fall allerdings die Kombination mit einer sharing economy: Das Auto darf in der halben Stunde nicht nur leer im Kreis fahren, sondern sollte auch andere Kunden transportieren. Die große Herausforderung ist hier nicht die technische Lösung, sondern vielmehr die Antwort auf die Frage: Wie gehen wir in der Zukunft mit Besitz um? Vielleicht kann Teilen ja künftig denselben Komfort bedeuten wie Besitzen?

ZV: Ein wichtiger Aspekt bei moderner Quartierplanung ist auch die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum für alle Schichten. Muss modernes Bauen teuer sein?

GG: Sicherlich sind einige Lösungen teurer als der Standard. Betrachtet man allerdings die gesamte Gesellschaft, kann man erkennen, dass sich die Kosten billigen Bauens in andere Teilsysteme verlagert werden: So kann zum Beispiel eine billige, aber gesundheitsschädliche Dämmung das Gesundheitssystem belasten. Vielleicht muss man hier neue Wege finden, das Geld gerecht zu verteilen, etwa indem Versicherungstarife das Wohnen in gesunden Gebäuden begünstigen.

Der größte Kostenposten in der Bauwirtschaft sind allerdings nicht die Gebäude an sich, sondern die Grundstückspreise. Man kann sich die Innenstadtgrundstücke auch unabhängig von der Qualität des Gebäudes eigentlich nicht mehr leisten. Zwar gibt es bereits in allen deutschen Großstädten Modelle, die Investoren zum Beispiel auferlegen, einen Mindestanteil der Wohnungen für sozialen Wohnungsbau zu reservieren. Das heißt, dort werden dann auch nicht die kompletten Grundstückskosten umgelegt. Wir müssen aber auch grundsätzlich die Frage diskutieren, ob wir uns dauerhaft die enorm hohen Grundstückspreise leisten können und wie wir Besitz und Eigentum an Grund und Boden weiterdenken.

ZV: Viele der angesprochenen Aspekte beschäftigen ja auch die Bürger. Wie sind Ihres Erachtens gelungene Bürgerbeteiligungen auszugestalten?

GG: Sehr wichtig sind Transparenz und Objektivität. Sicherlich sind wir alle Menschen und jeder von uns hat seine ganz eigene Persönlichkeit. Das darf aber nicht dazu führen, dass Realitäten verzerrt werden. Sehr hilfreich ist es, wenn eine überparteiliche dritte Partei den Prozess objektiv begleitet. Sehr gut hat die Bürgerbeteiligung zum Beispiel in Ludwigsburg funktioniert. Hier ging es um ein strategisches Klimaschutzkonzept für den gesamten Landkreis. Es war zwar eine große Herausforderung, die Bürgerinnen und Bürger zum Mitmachen zu motivieren. Der Ablauf an sich funktionierte dann aber hervorragend, weil es jedem um das übergeordnete Ziel ging.

Viel schwieriger sind die großen Bürgerbeteiligungen, die konkrete Einzelprojekte betreffen, wenn zum Beispiel der Nachbar eine Baulücke bebauen will. Dann geht es weniger um die gesellschaftlichen Ziele, sondern primär um die jeweiligen Interessen, die eben sehr partikulär sind. Dann muss die Kommune meines Erachtens schon darauf achten, dass Bürgerbeteiligung eine echte Bürgerbeteiligung im Sinne einer Bürgerschaft bleibt. Und es darf weder eine Bedenkenträger-Beteiligung von Seiten der jeweiligen Behörden sein, noch dürfen auf der Bürgerseite Einzelaspekte von Einzelpersonen in den Vordergrund rücken.

ZV: Wir leben ja in Zeiten mit sehr volatilen Wissensbeständen. Wie behalten Sie bei Drees und Sommer den Überblick über die Entwicklungen in den jeweiligen Themenbereichen?

GG: Wir haben natürlich interne Weiterbildungsprogramme, die bei uns sehr gut aufgesetzt sind. Es gibt einen Fahrplan, was jeder unsere Mitarbeiter innerhalb von fünf Jahren durchzugehen hat. Als Unternehmen muss man natürlich die Augen und Ohren offenhalten. Da ist es gut, dass wir auch international aufgestellt sind. Manchmal sieht man in einem anderen Land die Lösung für ein Problem, das wir hier in Deutschland haben, wie auch umgekehrt. Wir sind darüber hinaus in vielen Innovationsnetzwerken und Forschungsnetzwerken vertreten, zum Beispiel Morgenstadt, das wir zusammen mit dem Fraunhofer-Institut gegründet haben.

Wir sind auch ganz früh an vielversprechenden Unternehmen und Start-ups dran, bevor deren technische Lösungen am Markt sind. So können wir unsere Kunden auch deutlich besser beraten als wenn wir nur referieren, was es jetzt am Markt gibt. Wir haben also nicht nur den Überblick – das ist die Mindestanforderung für ein gut aufgestelltes Unternehmen. Wir gehen noch einen Schritt weiter und können ein bisschen weiter voraussehen, was in der nächsten Zeit kommen wird. Gerade hier am Standort in Stuttgart haben wir Abteilungen um uns genau diesen Themen zu widmen.

ZV: Wie kamen Sie zu Drees und Sommer?

GG: Eigentlich komme ich aus der Stadtplanung und Architektur. Ich habe hier in Stuttgart ein Masterstudium absolviert. Einer meiner Dozenten im Fach Entwicklungsmanagement war Geschäftsführer von Drees und Sommer. So habe ich vom Unternehmen erfahren und kam hierher. Meine Abschlussarbeit schrieb ich zum Thema nachhaltige Quartiersentwicklung. Aus dieser Abschlussarbeit entstand dann ein Zertifizierungssystem nachhaltiger Quartiere der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Diesen Schwerpunkt konnte ich bei Drees und Sommer weiterentwickeln. Mittlerweile führe ich mit meinem Team entsprechende Beratungen weltweit durch. Auch das angesprochene Projekt in der Mongolei ist nach diesen Kriterien bewertet und optimiert worden. Die vielseitigen Aufgaben motivieren immer wieder aufs Neue.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Gregor Grassl

Senior Projektpartner und Teamleiter Green City Development bei Drees & Sommer

Drees & Sommer SE

Obere Waldplätze 13

70569 Stuttgart

https://www.dreso.com

gregor.grassl@dreso.com

 

Beitragsbild: Roche Bau 1, Basel; © Herzog & de Meuron