Ein ermutigendes Milieu schaffen

Heidelberg ist viel mehr als Schloss, Karzer und Großes Fass. Mit der Weststadt entstand ein neues Quartier, die Konversionsflächen bieten herausragende Perspektiven für die Stadtentwicklung. Zeitenvogel sprach mit Jürgen Odszuck (Erster Bürgermeister der Stadt Heidelberg) über Gründungen in Heidelberg, die Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft für die Stadtentwicklung und die Weichenstellungen für die Zukunft.

EBM Heidelberg

Foto: Christian Buck

ZV: Herr Odszuck, welche Bedeutung haben Gründungen und Start-ups für Städte und Kommunen?

JO: Unternehmensgründung sind für jede Stadt außerordentlich wichtig. Sie schaffen attraktive, zukunftsorientierte Arbeitsplätze. Die Arbeitsplatzversorgung ist ein ganz wesentlicher Standortfaktor für eine Stadt und über die Gewerbesteuer eine der bedeutendsten Säulen der kommunalen Finanzierung.

ZV: Wo positioniert sich Heidelberg in der Gründerregion des Rhein-Neckar-Raumes?

JO: Wir sehen uns nicht als Konkurrenten zu Karlsruhe, Mannheim oder Frankfurt, sondern vielmehr als Ergänzung mit einem ganz eigenen Profil. Heidelberg muss sich nicht verstecken. Wir verzeichnen einen enormen Anstieg an Arbeitsplätzen. Das hat natürlich Gründe: Die Wissenschaftslandschaft unserer Stadt ist sehr breit aufgestellt und bietet wissenschaftsnahen Unternehmen hervorragende Möglichkeiten. Wir haben den Technologiepark, wir haben den Heidelberg Innovation Park und wir sind dabei, in den Patton Baracks eine weitere, riesige Fläche zur Verfügung zu stellen und Einrichtungen zu schaffen, die gerade Start-ups und Unternehmensgründungen beflügeln werden.

 

Kreativ Gründen in Heidelberg

 

ZV: Wie unterstützt die Stadt Heidelberg junge Gründerinnen und Gründer?

JO: Wir bieten zum einen Infrastruktur. Im Technologiepark oder im Heidelberg Innovation Park können Räumlichkeiten zu attraktiven Konditionen angemietet werden. Hier finden Gründerinnen und Gründer auch Unterstützung und Möglichkeiten, sich auszutauschen. Zum anderen stellen wir aber auch ein breites Setting an Informationsmöglichkeiten bereit, sei es auf den Gründertagen, sei es durch die Wirtschaftsförderung, die den Gründern bei ganz konkreten Fragen zur Seite steht. Und zusätzlich gibt es natürlich das Angebot der Handels- und Handwerkskammern.

ZV: Welche Bedeutung hat die Kultur- und Kreativwirtschaft für Heidelberg?

JO: Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein wichtiger Motor für jene Gründungen, die sich in die Nischen trauen. Das erfordert viel Mut. Die Stadt Heidelberg will diesen Mut fördern und unterstützen. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung ist die Kreativwirtschaft in Heidelberg mittlerweile auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit über 4.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist eine ansehnliche Zahl.

ZV: Wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?

JO: Mein Ziel ist es, ein Milieu zu schaffen, das ermutigend wirkt. Wir müssen uns fragen: Wo können wir proaktiv Schwellen absenken? Wo können wir die Freude am Unternehmertum stärken? Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Heidelberg hat mitunter noch den Ruf, eine konservative Stadt zu sein, in der manche Dinge langsam, vielleicht auch behäbig und mühsam vorangehen.

Viele der Gründer aus der Kreativwirtschaft machen aber mittlerweile auch die Erfahrungen, dass die Dinge hier in Heidelberg „flutschen“ können und dass es Freude bereitet, wenn man nicht immer wieder gegen die gleiche Wand läuft. Da können wir noch viel machen.

 

Gründungen und Stadtentwicklung

 

ZV: Wo sehen Sie den Konnex zwischen Gründungen und Stadtentwicklung?

JO: Gründungen finden heute in einem unglaublich facettenreichen Umfeld statt. Auch die Stadtplanung hat sich bereits weit von den monostrukturierten Entwicklungsmodellen der 1970er- bis 1990er entfernt. Die klassische mitteleuropäische Stadt ist heute eine bunte und durchmischte Stadt mit einem attraktiven und kreativen Gewerbe.

Unsere Herausforderung ist es, diese große Bandbreite zu adressieren und verschiedene Orte bereitzustellen, die unterschiedlichen Rahmenbedingungen für jeden einzelnen Unternehmer bieten: An einer Stelle ist vielleicht ein total zentraler und attraktiver Ort gefragt, der dann aber auch einen gewissen Preis mit sich bringt. Andere brauchen besonders preisgünstige Wirkungsstätten, wollen aber trotzdem nicht an die Peripherie gedrängt werden. Ich glaube, das haben wir im Dezernat 16 sehr gut abgebildet.

Wieder andere benötigen vielleicht größere Areale, eine gute Infrastruktur und ein besonders zukunftsgewandtes Milieu. Hier denke ich vor allem an das Patrick Henry Village, wo wir in einem ganz anderen Maßstab ein breites Spektrum an Möglichkeiten bieten können: vom kleinen bis zum großen Gründer, vom flächenintensiven Gewerbe bis zum entstehenden Start-up in der Garage. All das soll im Patrick Henry Village möglich sein. Hier soll das geballte Wissen der zukunftsorientierten Branche zusammenfinden.

ZV: Und sich auch eine Einheit von Wohnen und Arbeit ergeben?

JO: Genau. Das Patrick Henry Village soll eine Art Alleskönner werden. Wohnen und Arbeiten sollen zueinander finden. Es soll aber auch ein Ort sein, an dem lebenslanges Lernen möglich wird, an dem der kulturelle Bereich seinen festen Platz hat. Und wir wollen auch die Freizeit nicht vergessen. Gerade die Freizeit soll nicht nur draußen, im freien Feld, sondern im urbanen Kontext stattfinden. Dort, wo ich Leute treffen und auch einmal zeigen kann, was ich auf dem Skateboard oder im Streetball kann.

ZV: Wie groß wird die baurechtliche Flexibilität im Patrick Henry Village sein?

JO: Wenn man neue Gebäude und neue Arten des Zusammenarbeitens und Zusammenlebens erdenken will, muss man auch ein anderes Regelungssetting finden. Das ist in der Tat eine sehr schwierige Aufgabe. Die Stadt Heidelberg ist natürlich in einen gesetzlichen Rahmen eingebettet, definiert durch das Bauplanungsrecht als Bundesgesetz und das Bauordnungsrecht als Landesgesetz. Wir sind mit Bundes- und Landesregierung im Dialog um zu sehen, wie wir mit diesen Rechtsinstrumenten Freiräume schaffen können statt Korsette zu bilden. So kann eine Vielzahl an Immobilienprojekten möglich werden und eben nicht nur das Stereotype, das wir überall finden.

 

Quartiere bespielen

 

ZV: Welchen Stellenwert haben Festivals für Sie?

JO: Festivals bieten nicht nur Möglichkeiten der Begegnung. Sie eröffnen auch die Chance, Orte atmosphärisch aufzuladen. Im Moment überlegen wir, ob wir auf den Campbell Baracks eine Art Baustellenparty veranstalten: ein, zwei Tage zeigen, was dort gerade entsteht, die künftigen Nutzer und auch die Nachbarn zusammenbringen. Dann haben die Leute den Ort auf dem Zettel und wissen: „Ja klar, die Stallungen, die sind schon im Entstehen“ oder „Der Karlstorbahnhof kommt jetzt bald“. Auch wenn es noch ein Jahr Bauzeit ist, gewöhnt man sich bereits daran, dahin zu gehen. Der erste Schritt ist dann schon gemacht. Ähnlich wollen auch auf dem Patrick Henry Village vorgehen, wo im Sommer ein zehntägiges Streetart Festival stattfand. So können wir auch das hohe Niveau unserer Kultur- und Kreativwirtschaft zeigen.

ZV: Gründungen können ja aber auch bestehende Stadtteile stärken. Wo sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Stadtentwicklung Boxberg und der Förderung von Gründungen?

JO: Aus seiner Tradition heraus war der Boxberg gewerblich geprägt. Heutzutage ist dieser Stadtteil aber eher ein monostrukturierter Wohnstandort. Diese Strukturen mit neuen Gründungen aufzubrechen, ist nicht einfach: In die Mitte kann man nicht gehen, da ist kein Platz. Und der gewerblich genutzte Bereich an den Rändern ist wieder sehr stark klischeebehaftet nach dem Motto „Da hinten in der Ecke, da kann es aussehen wie es will und kann krachen und stinken“. Das ist aber nicht mehr das Gewerbe, wie wir uns das heute vorstellen. Heute muss Gewerbe sexy sein, es das muss gut aussehen, es muss Spaß machen. Auch während der Arbeit leben wir, das ist ja die Erkenntnis der letzten 15 Jahre. Wir müssen hier etwas schaffen, was die künftige neue Mitte Boxberg sein kann.

 

Weichenstellungen für die Zukunft

 

ZV: Wo sehen Sie in Heidelberg wichtige Weichenstellungen für die Zukunft?

JO: Ich sehe keine einzelne große, sondern viele kleinen Weichenstellungen. Wichtig ist es, Hemmnisse zu beseitigen, gute Rahmenbedingungen an vielen Orten mit ganz unterschiedlicher Ausprägung zur Verfügung zu stellen und unsere Zielgruppe zu erreichen. Mit diesen Themen haben wir uns intensiv beschäftigt. Die Kolleginnen aus der Stabsstelle Kultur- und Kreativwirtschaft haben hervorragende neue Formate entwickelt um Begegnungen und Austausch in der Gründungsszene zu ermöglichen.

Das ist auch für uns selbst unglaublich wichtig: Nur so können wir erfahren, wo der Schuh drückt und auf was wir achten müssen, wenn wir weitere Angebote zur Verfügung stellen. Umgekehrt verstehen dann auch die Kreativschaffenden, wenn wir bei allem Wohlwollen uns doch die Frage stellen müssen, ob wir etwas genehmigen können oder nicht. Da sind wir nun einmal an rechtliche Rahmenbedingungen gebunden.

ZV: Wo würden Sie Heidelberg gerne im Jahr 2030 sehen?

JO: Ich würde Heidelberg gerne dort sehen, wo es das Kulturelle, Atmosphärische und auch ein Stück seiner Gemütlichkeit behält, zugleich aber neue Dynamiken an Kraft und Fahrt gewinnen lässt. Wenn wir Zukunftsgewandtheit und ein waches Bewusstsein für das an uns Weitergegebene in Einklang bringen, dann haben wir ein tolles Bild von Heidelberg im Jahr 2030.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Jürgen Odszuck

Erster Bürgermeister der Stadt Heidelberg

Palais Graimberg

Kornmarkt 5

www.heidelberg.de

EBMHD@heidelberg.de

 

Beitragsbild: Stefan Burkhardt