Gemeinsam wohnen und lernen

Foto: Stefan Burkhardt

Das alte Collegium Academicum wurde in den 1970er Jahren geräumt. Die Idee lebte jedoch weiter. Jetzt entsteht das Collegium Academicum runderneuert auf der Fläche des ehemaligen US-Hospitals in Rohrbach neu. Zeitenvogel sprach mit Nicolai Ferchl über Nachhaltigkeit, flexible Raumnutzung und die Idee der Selbstverwaltung.

ZV: Herr Ferchl, was ist das Collegium Academicum [im Folgenden: CA]?

NF: Das CA ist ein selbstverwaltetes Wohnheim. Es schafft Wohnraum für insgesamt über 220 Studierende, Auszubildende, Doktoranden und weitere Bewohner. Im Herzen ist das CA aber ein Bildungsprojekt. Uns ist das Lernen in der Selbstverwaltung und an Projekten sehr wichtig. An der Universität oder an einer Hochschule erwirbt man primär theoretische Kenntnisse. Wir wollen die Möglichkeit bieten, diese Kenntnisse praktisch anzuwenden und sich mit bestimmten Themen – wie etwa dem Themenbereich Nachhaltigkeit – eingehender auseinanderzusetzen.

ZV: Wo soll das neue CA entstehen?

NF: Das neue CA soll im Süden Heidelbergs, in Rohrbach, auf der Fläche des ehemaligen US-Hospitals entstehen. Dieses Quartier wird gerade komplett neu gestaltet. Wir werden dort, am Eingang zur Karlsruher Straße, ein Bestandsgebäude für etwa 50 Bewohnerinnen und Bewohner sanieren. Südlich davon entsteht ein Neubau für 176 Personen. Wir freuen uns auch darauf, die Eingangssituation zu dem neuen Quartier am Karlsruher Platz mitzugestalten.

ZV: Wie geht Ihr Projekt auf den Themenbereich Nachhaltigkeit ein?

NF: Wir wollen Nachhaltigkeit konkret fassbar machen. So besteht die Primärkonstruktion unseres Neubaus ausschließlich aus Holz. Auf dem Dach werden wir eine große Photovoltaik-Anlage installieren. Hinzu treten eine gute Dämmung und effiziente Geräte.

Nachhaltigkeit ist aber mehr. Wir wollen die Frage beantworten: Wie viel braucht man eigentlich zum guten Leben? Äußert sich das gute Leben nicht vielleicht eher darin, dass man mit anderen zusammen etwas kocht oder etwas repariert oder selbst baut und vielleicht weniger darin, dass man immer nur konsumiert?

Nachhaltigkeit ist aber auch eine Frage des Raumes: Wie viel Raum brauche ich selbst wirklich? Kann ich Raum mit anderen teilen? Unser architektonisches Konzept für den Neubau sieht eine Skelettbauweise vor. So sind wir in der Raumaufteilung sehr flexibel und können Zimmer verändern. Das Gebäude entwickelt sich über seine Nutzungsdauer mit den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. Der Neubau wird zu einer Art Experimentierfeld, in dem man viele Dinge ausprobieren kann.

Das neue CA; Abbildung: Wohnheim Collegium Academicum e.V.

ZV: Was ist das Besondere bei der Gestaltung der Räumlichkeiten?

NF: Die Dreier- und Vierer-WGs des Neubaus umfassen Einzelzimmer sowie eine Gemeinschaftsfläche mit Küche, Wohnbereich und kleinem Bad. Unser flexibles Raumnutzungskonzept ermöglicht es, dass man die jeweiligen Zimmer von 14 Quadratmetern verkleinern und die Hälfte davon, also sieben Quadratmeter, zur Gemeinschaftsfläche hin öffnen kann. So steht dann im eigenen Kernbereich vielleicht ein Bett und ein Schrank. Die Restfläche des eigenen Zimmers könnte man zum Beispiel mit einer Couch für die anderen Mitbewohner öffnen. Die Gestaltung bleibt den jeweiligen WGs vorbehalten. Die Konfiguration der Räume kann sehr vielfältig sein.

ZV: Eines dieser Wohnmodule kann man ja in den nächsten Tagen erkunden.

NF: Gerade vorhin haben wir eines dieser mobilen Zimmer hier, auf den Parkplatz vor der IBA-Zwischenpräsentation im Mark Twain Center, abgestellt. Nächste Woche werden wir es auf dem Universitätsplatz zeigen. Weitere vorläufig geplante Standorte sind vor der Zentralmensa im Neuenheimer Feld, am Alten Hallenbad und vor dem Fensterplatz in der Nähe des Bahnhofs. Die genauen Daten werden wir in den nächsten Tagen auf unserer Webseite bekannt geben. Wir freuen uns, wenn sich viele Leute diesen Prototyp anschauen und sich einen Eindruck von unserem Projekt verschaffen.

ZV: Im Neubau gibt es aber nicht nur WG-Zimmer?

NF: Nein, auch Gemeinschaftsräume sind uns sehr wichtig. Im Neubau verfügen nicht nur die Dreier- und Vierer-WGs über eigene Gemeinschaftsflächen. Für alle Bewohner gibt es zusätzlich auch noch den Dachgarten, von dem aus die oberen Stockwerke erreichbar sind und der so ein wichtiger Ort der Begegnung ist. Im Erdgeschoss befinden sich mehrere Gemeinschaftsräume, vor allem eine Aula, die sich mit einem Multifunktionsraum mit Küche kombinieren lässt. Eine große Werkstatt soll zunächst dem Holzbau dienen, später wollen wir sie auch für andere Zwecke nach außen öffnen.

ZV: Wer steht hinter dem CA?

NF: Das CA ist eine selbstverwaltete Projektgruppe. Die Menschen, die das CA im Moment gestalten, sind auch das CA. Es kommen immer wieder neue Leute mit neuen Ideen hinzu. Das ist zwar mitunter anstrengend, aber immer bereichernd. Auch künftig sollen sich alle Bewohner an der Gestaltung des Wohnheims beteiligen und mit ihm wachsen können.

Rechtlich gesehen haben wir eine GmbH gegründet, die das CA betreibt, den Altbau saniert und das neue Gebäude baut. Diese GmbH wird im Wesentlichen von allen Leuten getragen, die dort wohnen und in einem Verein zusammengeschlossen sind. Die GmbH stellt aber nur einen rechtlichen Rahmen dar, damit sich alle einbringen können, die das CA bewohnen.

Darüber hinaus gibt es noch einen Beirat, der einen Blick auf das große Ganze hat und die Entwicklungen reflektieren soll. Wir sind auch eingebunden in einen Verbund von weiteren selbstverwalteten Wohnprojekten. Dort findet sehr viel Austausch statt.

ZV: Wie kamen Sie auf die Idee für ein neues CA?

NF: Die Idee des alten CA war es, nach dem Zweiten Weltkrieg die damaligen Studierenden durch Selbstverwaltung zu demokratischen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen. Das alte CA wurde zwar in den 1970er Jahren aufgelöst, die Ideen des selbstverwalteten Wohnens lebten aber weiter. Es gab nach der Räumung einen Altkollegiatenverein, der drei kleine WGs gemietet hat, in der auch heute noch Studierende wohnen. In dieser Gruppe ist vor fünf Jahren die Idee entstanden, ein neues, größeres Wohnheim zu schaffen. Die Gelegenheit ist günstig, da es jetzt, nach dem Abzug der Amerikaner, neue Flächen gibt.

ZV: Was ist Ihr Leitbild und wie unterscheidet sich das neue vom alten CA?

NF: Für uns ist eine undogmatische Haltung sehr wichtig. Wir wollen ein offener Ort für alle sein, die sich in der Gemeinschaft mit anderen entwickeln und neue Projekte erproben wollen. Das war im alten CA weitgehend auch der Fall, allerdings strukturieren wir die Selbstverwaltung anders und streuen die Verantwortung breiter. Hier können wir auf die Erfahrung anderer selbstverwalteter Wohnprojekte zurückgreifen.

Wir haben auch andere thematische Schwerpunkte: Wie gesagt ist Nachhaltigkeit für uns ein besonders wichtiges Thema. Vielleicht lassen sich andere von den Dingen inspirieren, die wir hier auf den Weg bringen. Ebenso wollen wir unser Bildungskonzept breiter anlegen. So bieten wir ein Orientierungsjahr für Abiturienten an, das es im alten CA so nicht gab. Darüber hinaus wollen wir für alle, die im neuen CA wohnen, ein reguläres Bildungsprogramm anbieten, etwa eine wöchentliche Veranstaltungsreihe oder Coaching-Modelle.

Das alte CA war über die Jahrzehnte immer Spiegel der gesellschaftlichen Veränderungen. Ich kann mir das auch für das neue CA gut vorstellen, dafür wollen wir Raum schaffen. Gleichzeitig bauen wir eine stabile Grundstruktur auf, um den langfristigen Erhalt des CA sicherzustellen.

In der IBA-Zwischenpräsentation; Foto: Stefan Burkhardt

ZV: Das CA ist ja auch ein IBA-Projekt.

NF: Wir stolperten kurz nach dem Start unseres Projektes 2012/2013 über die IBA und haben gemerkt, dass der Slogan „Wissen schafft statt“ auch auf uns zutrifft. Wir suchten dann den Austausch und stellten relativ rasch fest, dass wir gut zusammenpassen. Wir wurden dann als IBA-Kandidat und später als IBA-Projekt aufgenommen.

Die IBA half uns gerade in der Anfangsphase unser Profil zu schärfen. In verschiedenen Workshops konnten wir viele Themen – etwa zum nachhaltigen und suffizienten Bauen – bearbeiten. Auch sonst unterstützte uns die IBA bei Themen, bei denen wir keine Erfahrung hatten. Daraus sind dann auch die Kontakte zu verschiedenen Architekturbüros entstanden, die zu unserer Projektvergabe führten. Und auch hier, bei der IBA-Zwischenpräsentation, können wir unser Projekt mit dem mobilen Zimmer präsentieren.

ZV: Wie kamen Sie selbst zum CA?

NF: Ich war einer der Verrückten, die damals gesagt haben, es wäre doch eine gute Idee, wieder ein unabhängiges Wohnheim in Heidelberg zu schaffen (lacht). Seit meinem ersten Semester in Heidelberg hatte ich mir gewünscht, dass es einen Ort gibt, an dem man wirklich selbstverwaltet zusammen wohnen und lernen kann. Während des Bildungsstreiks habe ich mich sehr viel mit dem Thema Bildung auf einer konzeptionellen Ebene auseinandergesetzt. Für mich war das Studium alleine nicht genug – ich wollte auch weitere Dinge ausprobieren. Und das ist gelungen: Wer hat schon während seines Studiums oder kurz danach ein Wohnheim gebaut?

Jetzt will ich, dass auch andere diese wertvollen Erfahrungen machen können. Ich glaube, das bringt die Gesellschaft weiter. Ich möchte einen Ort schaffen, an dem Menschen zusammenkommen und sich kennenlernen, eine tolle Zeit haben und später sagen werden, dass die Zeit im CA eine der besten Zeiten ihres Lebens war.

ZV: Wie kann man Sie unterstützen?

NF: Unser Projekt lebt davon, dass es viele Leute kennen und darüber reden. Nur dann werden auch unsere Ideen weitergetragen, sowohl die des nachhaltigen Lebens und Bauens als auch die der transdisziplinären Bildung.

Wichtig ist für uns aber auch finanzielle Unterstützung. Unser komplettes Finanzierungskonzept basiert zu einem bedeutenden Teil auf privaten Direktkrediten. Jeder kann sich mit kleineren Krediten ab 1000 Euro an unserem Projekt beteiligen. Diese Kredite ermöglichen uns eine zusätzliche Bankfinanzierung und die Inanspruchnahme von Fördermitteln des Bundes für nachhaltiges Bauen.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Nicolai Ferchl

Collegium Academicum

Plöck 93

69117 Heidelberg

https://collegiumacademicum.de/

kontakt@collegiumacademicum.de

Beitragsbild: Stefan Burkhardt