Die Stadt gestalten I

Foto: IBA Heidelberg

Heidelberg bietet mit seinen zahlreichen Konversionsflächen Raum für vielfältige Ideen zur Gestaltung einer Stadt der Zukunft. Zeitenvogel sprach mit Moritz Bellers (IBA Heidelberg) im ersten Teil des Interviews über Geschichte und Konzept der Internationalen Bauaustellung, Heidelberg in der Zukunft und die Frage, ob eine Smart wirklich smart ist.

ZV: Herr Bellers, was ist die IBA?

MB: IBA ist die Kurzform von Internationaler Bauausstellung. Der Anspruch einer Internationalen Bauausstellung ist, gesellschaftliche Veränderungsprozesse und deren Einfluss in räumliche Planung zu übersetzen und mit einer breiten Öffentlichkeit zu diskutieren. Der Aspekt Ausstellung ist insofern berührt, als die Ergebnisse der Planung zur Halbzeit 2018 und am Ende der IBA Heidelberg-Laufzeit 2022 der Öffentlichkeit präsentiert werden. Da Planung nicht immer in der Stadt sichtbar ist, besteht die Ausstellungen auch darin, zu erläutern, wie wir uns den gestellten Themen nähern. Darin unterscheidet sich eine IBA von Gartenschauen: Eine Gartenschau zeigt einen fertigen Park, der zum Teil nachgenutzt wird, eine IBA zeigt eher einen Prozess, in dem bereits einige Objekte realisiert sein können.

Eine Bauausstellung wird durch eine Kommune, einen Landkreis oder ein Bundesland zu Themen initiiert, die im Alltagsgeschäft nicht bearbeitet werden können. Mit diesen Themen setzt sich eine Bauausstellung dann für zehn Jahre so gründlich wie möglich, mit zahlreichen Experten vor Ort, auseinander und erarbeitet Lösungsvorschläge. Diese Lösungsvorschläge werden dann entweder sofort gebaut oder zumindest soweit vorbereitet, dass sie zeitnah in Zukunft gebaut werden können. Somit kann man als Grundprinzip formulieren: Die IBA ist die veränderte Stadt.

ZV: Was waren Themen und Fragestellungen vergangener Internationaler Bauausstellungen?

MB: Die IBA begann überspitzt formuliert mit dem Ausstellen schöner Gebäude, konkret: Musterhaussiedlungen. Ein Beispiel für diese Phase der IBA ist die Weissenhofsiedlung in Stuttgart. Mit der Zeit erweiterte die IBA als Format ihr Tätigkeitsfeld immer stärker in städte- und landschaftsplanerische Themenfelder. Die IBA Emscher Park war eines der frühen und bekannteren Beispiele. Hier stellte sich die Herausforderung, nach dem Zusammenbruch der Montanindustrie dem Landschaftsraum Emscher eine neue Interpretation und Nutzung zu geben.

Weitere Internationale Bauausstellungen beschäftigten sich mit der Renaturierung von Braunkohleabbaugebieten oder der Elbinsel in Hamburg. Aktuell widmet sich eine IBA in Basel der spannenden Frage, wie man grenzüberschreitend zwischen der Schweiz, Frankreich und Deutschland planen kann. Mit Thüringen ist hingegen ein ganzes Bundesland Thema einer weiteren IBA. In Heidelberg ist die IBA kommunal, sie betrifft die Stadt Heidelberg. An diesen Beispielen kann man deutlich erkennen, dass es hinsichtlich einer IBA unterschiedliche Skalierungsgrößen und ganz unterschiedliche Themenschwerpunkte gibt: von einer Stadt bis zu einem ganzen Bundesland.

Foto: IBA Heidelberg – Tobias Dittmer

ZV: Wie positioniert sich die IBA in Heidelberg? Was sind Ihre Aufgaben?

MB: Die IBA Heidelberg hat das Thema „Wissen | schafft | Stadt“. Die IBA orientiert sich bei ihrer Aufgabenbearbeitung in zwei Richtungen: Erstens begannen wir unsere Tätigkeit in Heidelberg bottom-up mit einem open call. Das heißt, wir sammelten Vorschläge. Für uns war wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, dass wir wissen, was zu tun ist. Vielmehr haben wir gefragt: Welche Vereine, welche Institutionen, welche Gruppen wollen Themen in den Prozess der Stadtgestaltung mit einbringen? Es wurden sehr viele Projektideen eingereicht. Das unabhängige Kuratorium der IBA wählte dann in verschiedene Kandidaten aus. Gemeinsam versuchen wir, diese Kandidaten soweit voranzubringen, dass eine Finanzierung gewährleistet ist, dass eine Planung durch gute Architekten konkretisiert wird und dass das jeweilige Konzept schärfere Konturen gewinnt. Wenn eine Umsetzung dann sehr wahrscheinlich wird, können diese Kandidaten in den Projektstatus wechseln. In dieser Weise nähert sich die IBA wie bei einer Akkupunktur an vielen Stellen in Heidelberg der Wissenschaftsstadt von morgen.

PHV; Foto: Steffen Diemer

Zweitens sind wir eine städtische Tochter und wir erhalten auch direkte Aufgaben durch die Kommune Heidelberg. Ein Beispiel sind die Planungen des PHV (Patrick-Henry-Village). Bei der Bearbeitung dieser Aufgaben folgen wir eher einem Top-Down-Ansatz. Die Aufgaben sind nämlich groß: 100 Hektar Kasernengelände, das ist die Fläche der Altstadt von Heidelberg, sollen einer neuen Nutzung zugeführt werden. Nach anderthalb Jahren Arbeit können wir hier nun eine Möglichkeitsstudie vorlegen.In beiden Ansätzen versuchen wir mit einem ko-produktiven Prozessdesign möglichst viele Akteure in die Planungen mit einzubinden.

ZV: Was werden Ihre Ausstellungsprojekte 2018 und 2022 zeigen?

MB: Die Ausstellungen zeigen zum einen den Zwischenstand unserer Projektarbeit. Zum anderen dokumentieren wir die Veranstaltungen, die wir bislang durchgeführt haben. Die Ausstellungsobjekte werden sowohl virtuelle als auch analog-haptische Eigenschaften tragen, wir werden also nicht nur Plangrafiken präsentieren, sondern auch narrative Elemente integrieren. Das Zentrum der Ausstellung wird 2018 für zehn Wochen die ehemalige Kommandantur des Mark Twain Village sein. Darüber hinaus wird es auch Exkursionsformate geben, bei denen wir gemeinsam vor Ort die Baustellen besuchen. Ebenso werden Ausstellungen, Konferenzen, Filmreihen oder Lesungen im ganzen Stadtgebiet stattfinden. So wird die ganze Stadt zum Ausstellungsort. Wir kooperieren diesbezüglich mit Verbänden, Vereinen und Kulturinstitutionen, die ein begleitendes Programm initiieren. Man muss sich das wie Zweibelschalen vorstellen, die sich um den sehr konkreten Ausstellungsort Kommandantur legen: vom Konkreten der Pläne und Vorhaben bis zum Assoziativen im Übergang zu Literatur und anderen Themen.

ZV: Was wird sich in Heidelberg in den nächsten Jahren verändern? Können Sie hier grobe Leitlinien skizzieren?

IBA-KANDIDAT Patrick Henry-Village; Foto: KCAP Architects&Planners

MB: Die These der IBA ist, dass sich Städte immer in einem Veränderungsprozess befinden, das heißt, eine Stadt ist nie statisch, nie fertig, nie ein Idealzustand, den gibt es nicht. Heidelberg hat sich natürlich wie alle europäischen Städte sehr stark gewandelt, von der agrarisch geprägten mittelalterlichen Stadt über die Industrialisierung und dem zunehmenden Automobilverkehr nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Universität hat natürlich für Heidelberg immer eine sehr wichtige Rolle gespielt. Das IBA-Thema der Wissensstadt von Morgen spiegelt diesen besonderen Hintergrund wider. Neben den institutionalisierten Orten der Wissensgenerierung werden auch immer mehr informelle Lernräume die Stadt von Morgen und ihre Gesellschaft prägen. Damit eng verbunden ist die Frage, wie sich die Digitalisierung auf unsere Städte auswirkt: Welche Orte des Austausches – digital oder analog – werden wir brauchen?

Ebenso werden sich die Mobilitätsformen stark ändern. Welche Auswirkungen das im Raum haben wird, können wir noch nicht genau sagen. We will see… (lacht). Es ist vollkommen unklar, wie (teil)autonome Autos den Stadtraum verändern werden. Es gibt Hypothesen, dass es sogar mehr Verkehr geben könnte, weil die Autos leiser werden und weil es viel praktischer ist, einfach mal „mit den Finger zu schnipsen“ und einzusteigen. Dann wären weniger Menschen zu Fuß unterwegs. Oder eben nicht, wenn Alternativen zum Auto attraktiver werden. Hinzu kommen die sich nochmals intensivierende Verstädterungstendenzen – diesen Trend können wir hier im Vergleich von Heidelberg und Odenwald ja auch sehen. Mehr Bewohner brauchen immer auch wachsende technisch, soziale, kulturelle Infrastrukturen. Das werden, denke ich, die großen Umwälzungen sein.

ZV: Sie haben gerade die klimatischen Veränderungen erwähnt. Wie muss man Quartiere künftig gestalten um nachhaltiger zu bauen?

MB: Die Infrastrukturen sind im Moment sehr stark linear aufgebaut. Wasser wird zum Beispiel außerhalb der Stadt gewonnen, fließt dann durch die Stadt und wird als Schmutzwasser außerhalb der Stadt geklärt. Künftig wird aber das Denken in Kreisläufen eine immer stärkere Rolle spielen. Das stellen wir auch bei der Energieversorgung fest: Hier gibt es immer mehr dezentrale Produzenten ganz unterschiedlicher Art. Früher gab es nur ein Kohlekraftwerk für Mannheim und Heidelberg. Heute tritt auch die Energieerzeugung mit Sonnenkollektoren, mit Wind usw. hinzu und durch diesen Mix der Energie-Einspeisungen ergeben sich viele interaktive Netze, die miteinander verbunden sind. Es gibt nicht mehr ein getrenntes Strom- und Wärmenetz – es ist alles miteinander verbunden. Diese Interkonnektivität ändert einiges.

PHV Parkway; Foto: KCAP Architects&Planners

Darüber hinaus spielt es auch eine Rolle, mit welchen Materialien gebaut wird und wie gut man mit diesen Baumaterialien eine Stadt und ihre Gebäude an neue Herausforderungen anpassen kann. Die Lebenszeiten der Gebäude und die Zyklen der Umbaumaßnahmen werden immer kürzer. Große Stadtteile nach einem Schema F zu bauen ist nicht wirklich nachhaltig. Ein wichtiges Element ist auch die Gestaltung der Klimahülle Gebäude und der Klimazone Stadt durch Begrünung. Grundsätzlich notwendig ist bei all den angesprochenen Punkten aber ein Denken in vernetzten Konzepten über viele Maßstabsebenen hinaus. Alleine auf die CO2 Bilanz zu schauen, greift hier zu kurz.

ZV: Inwiefern halten Sie „Smart City“ für einen treffenden Begriff?

MB: Smart City ist ein Sammelbegriff für die vielfältige Auswirkung einer großen Anzahl von schleichenden oder schnellen, sichtbaren oder unsichtbaren, tief reichenden oder in die Breite wirkenden Prozessen. Smart City steht für vieles, was man noch nicht richtig greifen kann. Smart City heißt ja zunächst nur, dass eine Stadt, die so oder so existiert, mit mehr Sensoren ausgestattet wird. Wir sprechen bei der IBA daher oft eher von einer „Senseable City“ als von einer „Smart City“. Sicherlich werden einzelne Objekte – wie etwa Autos oder Heizungen – stärker von sich aus agieren, also nicht vom Menschen gesteuert werden. Vieles wird allerdings nicht smart sein, sondern eher collective, das heißt die implementierten Technologien ermöglichen ein besseres Management.

Welche Auswirkungen Objekte, die eigene Prozessoren oder Internetanbindung besitzen, insgesamt auf die Stadtplanung haben werden, kann man eigentlich nur ansatzweise in der Verknüpfung verschiedener Einzelaspekte begreifen. Smart City hat zum Beispiel neben der technischen Ebene auch eine sehr starke gesellschaftliche Komponente, die wir allerdings auf den ersten Blick gar nicht sehen. Die gesellschaftliche Debatte hinkt zumeist dem technologischen Fortschritt hinterher, noch langsamer ist die juristische Anpassung. Baurecht, Finanzierungs- und Steuermodelle haben aber sehr große Auswirkungen darauf, wie eine Stadt in Zukunft umgebaut werden wird.

Lesen Sie auch Teil II des Interviews.

Beitragsbild: IBA Heidelberg