Die Stadt gestalten II

In Fortsetzung von Teil I unseres Interviews sprechen wir mit Moritz Bellers über die Auswirkungen der Digitalisierung, Bürgerbeteiligungen und die Personen im Zentrum der IBA.

ZV: Werden sich auch der Arbeitsort Stadt und das Zusammenleben der Menschen durch Digitalisierungsprozesse verändern?

Szenario 2 PHV: Vernetzungen; Foto: Carlo Ratti Associati

MB: Wir haben die Auswirkungen der Digitalisierungsprozesse 10 bis 15 Jahre beobachtet und sind zu recht eindeutigen Ergebnissen gekommen: Der Raum, in dem man sich physisch trifft, gewinnt immer höhere Relevanz für das Arbeits- und Sozialleben. So arbeiten die Beschäftigten – auch der großen Konzerne – allen Prophezeiungen zum Trotz – nicht von zu Hause aus, sondern fast alle sind immer noch im Büro. Das physische Treffen ist für vieles unverzichtbar, trotz Videokonferenzen und allen anderen digitalen Kommunikationskanälen. Das zeigt die intensivere Inanspruchnahme des öffentlichen Raums. Auch wenn viele Besucher eines Open-Air-Events gleichzeitig gebannt auf ihr „Smart“-Phone blicken.

ZV: Werden sich die Gegensätze zwischen Stadt und Land und die sozialen Gegensätze innerhalb der Stadt verschärfen?

MB: Ja und nein. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land, der in der unterschiedlichen räumlichen Dichte begründet ist, wird bleiben. Das Informationsgefälle und die daraus resultierenden Unterschiede zwischen städtischer und ländlicher Kultur haben hingegen bereits abgenommen, mit anderen Worten: Der Lebensstil im ländlichen Raum hat sich sehr stark urbanisiert. Hinsichtlich Mobilität, Versorgung mit Lebensmitteln und – über den Versandhandel – hinsichtlich der verfügbaren Produktpalette gibt es eigentlich keine größeren Unterschiede mehr.

Die Frage inwieweit sich die Gesellschaft auseinanderdriftet, ist eine Frage, die eigentlich nicht so sehr durch die Digitalisierung bedingt ist, als durch die Art und Weise wie wir Politik machen, wie wir unsere Rolle in der Gesellschaft verstehen und wie soziales Miteinander definieren. Die Digitalisierung ist nur ein Faktor von vielen. Sie verändert Einzelaspekte, die Anpassung unseres Wertegerüsts wird in Debatten verhandelt werden müssen.

ZV: Werden wir vielleicht in ein neues Zeitalter der E-Democracy eintreten?

MB: Es wird nichts dadurch besser, weil es digital wird. Natürlich sind einige Verwaltungsprozesse einfacher zu lösen, da man zum Beispiel nicht ins Rathaus gehen muss, sondern Formulare digital ausfüllen kann. Ob dies allerdings die Qualität der Demokratie verbessert, ist eine ganz andere Geschichte. Sicherlich gibt es digitale Instrumente, die gewisse Dinge erleichtern. So kann sich zum Beispiel für manche der Zugang zu demokratischen Prozessen verbessern, aber eben nicht für alle. Diese Instrumente bringen darüber hinaus die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit mit sich. Man darf nicht vergessen: Es geht nur um Instrumente, die Frage nach dem Einsatz bleibt davon unberührt, egal ob digital oder analog: Warum frage ich? Wen beziehe ich ein? Was frage ich? Stelle ich die richtigen Fragen?

Foto: Lutz Berger

Wir selbst haben in der Planungsphase Null des PHV versucht, sowohl digitale als auch analoge Anteile in einen Bürgerbeteiligungsprozess zu integrieren: Zum einen gab es ein 50 Quadratmeter großes, physisches Modell. Bei einer Bürgerbeteiligung ist ein solches Modell anschaulicher und verständlicher. Zugleich gab es auch ein digitales 3D-Modell, das man mit einer Mixed-Reality-Brille betrachten konnte und interaktive Informationen bereithält. Auch haben wir mit einem Onlinespiel experimentiert. Jeder dieser Zugänge hat seine eigenen Stärken und Einsatzgebiete. Was für uns sehr wichtig war: Es braucht Orte, an dem ich Leute zusammenbringe und mit ihnen konstruktiv diskutieren und arbeiten kann.

ZV: Was sind Ihre Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung?

MB: Bürgerbeteiligung ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Unser Ansatz ist: Wenn wir mit vielen Akteuren gleichzeitig starten, erhalten wir ein sehr organisches, sehr widerstandsfähiges soziales Konstrukt von Akteuren. Wenn einzelne Elemente oder Aspekte während der Planung ausfallen, ist das dann nicht so schlimm, da es noch immer viele andere Player gibt, die einspringen können. Deshalb war es für uns auch so wichtig, möglichst viele Menschen von Anfang an einzubinden.

IBA-Game; Foto: DDU Anton Savov

Die Frage, die wir Bürgern und Interessengruppen stellten, war, welche Themen aus den vier Bereichen der IBA wie bearbeitet werden sollen: Digitalisierung, Wissenschaften, Bildungsräume und Stoffkreisläufe. Dieses offene Vorgehen verstehen wir unter demokratischer Planung, unter Koproduktion. Wir stellen also nicht zunächst einen Katalog mit den Rahmenbedingungen auf, wie man es sonst oft in Wettbewerbsverfahren macht. Wir hatten uns vorgenommen, möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu fragen: Was ist für Euch wichtig? Wie soll die vernetzte Stadt funktionieren? Wie muss ein Stadtteil aussehen, damit die befragte Person dort selbst wohnen wollen würde? Daraus haben wir mit diesen Akteuren zusammen die Aufgabenstellung für vier international renommierte Planer Teams formuliert, die je ein radikales Szenario entworfen haben. Diese Szenarien stellten wir dann der Bürgerschaft vor und diskutierten weiter. Schließlich wurden diese vier Szenarien vom Planungsteam um KCAP zu einer Vision zusammengefasst.

Im Unterschied zu einem klassischen Verfahren haben wir bereits jetzt viel mehr Leute eingebunden, knapp 1000 Menschen in 1,5 Jahren: von Runden mit 20 Fachleuten zu spezifischen Themen bis hin zu Bürgerforen mit 300-400 Leuten. Wir wissen zwar noch längst nicht alles, wir haben aber bereits eine gute Vorstellung von dem, was man auf dem PHV in Zukunft machen könnte. Jetzt können wir konkreter werden, das ist der nächste Schritt.

Szenario 3 PVH: Lernräume; Foto: ASTOC Architects and Planner

Uns geht es zum Beispiel darum, dass wir im PHV Zukunftsfragen so gut wie möglich und in einer innovativen Art und Weise andenken. Wieviel wir davon wirklich schaffen werden, wird man 2050 sehen (lacht). Dafür brauchen wir aber auch die Bundes- und Landespolitik um in bestimmten Bereichen gesetzliche Regelungen zu Testzwecken einmal aussetzen zu können: Wenn man zum Beispiel ein besseres Müll-Recycling-System schaffen will, muss man gute serienreife Konzepte auch in der Realität testen. Das ist die Chance, die das PHV als großes Entwicklungsgebiet bietet, das ist die Chance, die die IBA hat: Als „Laboratorium auf Zeit“ zu testen, um zu den Antworten für die Stadt von morgen zu kommen, die dann für andere nutzbar sind.

ZV: Wer ist, personell gesehen, die IBA?

MB: Die IBA ist zunächst ein Büro, das den Prozess managt. Wir sind hier, im Dezernat 16, zehn Personen: Professor Michael Braum, der Direktor, ein Städteplaner. Dann haben wir Carl Zillich, Architekt, hier der Kuratorische Leiter. Wir haben noch weitere Planer, ich selbst bin Landschaftsarchitekt. Hinzu treten noch weitere Personen für die Öffentlichkeitsarbeit, für das Finanzwesen etc. Für unsere Fülle an Aufgaben sind zehn Personen nicht unbedingt viel. Deshalb verstehen wir uns vorwiegend als Moderatoren eines größeren Netzwerkes und als Initiatoren verschiedener Prozesse: Für jede Aufgabe müssen sich die jeweils notwendigen Kräfte zusammenfinden. Das können feste Gruppierungen, Architekten und Büros sein, die bestimmte Projekte weiterentwickeln, das kann aber auch nur eine lose Interessengemeinschaft sein, wie beim Landwirtschaftspark, oder nur eine einzige Zusammenkunft Vieler bei einem Workshop oder einem Bürgerforum.

ZV: Eine letzte Frage: Wie kamen Sie zur IBA und was reizt Sie an der IBA Heidelberg?

MB: Vor meiner Tätigkeit bei der IBA war ich für sechs Jahre an der Universität Stuttgart an der Fakultät Stadtplanung und Architektur tätig. Mich fasziniert die Schnittstelle und Dynamik zwischen dem Freiraum und der gebauten Architektur als Lebensraum für Menschen, Pflanzen und Tiere. Mein inhaltlicher Schwerpunkt ist der Metabolismus der Stadt, also die Frage, wie man Stoffkreisläufe, zum Beispiel Nahrungsmittel, Wasser, Erde, Müll usw., gestalterisch in ein urbanes Umfeld integrieren kann. Für den an die Menschen angepassten Lebensraum werden viele Rohstoffe ge- und verbraucht. An dieser Fragestellung arbeiten zu können, finde ich sehr spannend und vielseitig. Meine Arbeit bei der IBA verbindet die Aufgaben eines Planungsbüros sowohl mit universitären Fragestellungen und Debatten, als auch mit der Interaktion mit der Stadtverwaltung und politischen Gestaltungsprozessen.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Moritz Bellers

Projektleiter

Internationale Bauausstellung Heidelberg GmbH

Emil-Maier-Straße 16

69115 Heidelberg

http://www.iba.heidelberg.de/

m.bellers@iba.heidelberg.de

Beitragsbild: IBA Heidelberg