BIM – Ein Megatrend im Baugewerbe

Foto: Bernd Essig

Die Digitalisierung macht auch vor Planung, Bau und Betrieb von Gebäuden nicht halt. Zeitenvogel sprach mit Dr. Bernd Essig (SCHOLZE-LAVA Consulting GmbH) über die Probleme der Baubranche, die Anwendung von BIM, nachhaltiges Bauen und eine neue Ära der Planung.

ZV: Herr Essig, wenn Sie die letzten zehn Jahre Revue passieren lassen: Was hat sich in der Baubranche geändert? Wo sehen Sie Probleme?

BE: Meine Haupterkenntnis der letzten zehn Jahre ist, dass sich auf jeden Fall die Produktivität der Baubranche steigern und die Methode der Bauplanung ändern müssen, um wirtschaftlicher, schneller und besser zu werden. Hier sind alle Beteiligten gefragt, insbesondere auch die Bauherren.

Gerade die Großprojekte bereiten in Deutschland Probleme. In Reaktion auf die Schwierigkeiten beim Bau des Berliner Flughafens hat sich in Deutschland die Reformkommission Bau von Großprojekten gebildet. In dem von dieser Kommission verabschiedeten Aktionsplan werden unter anderem besseres Projektmanagement, Digitalisierung und eine grundsätzliche Veränderung der Bauabläufe gefordert. Das scheint mir dringend notwendig: Das Statistische Bundesamt hat bestätigt, dass keine Branche so unproduktiv ist wie das Baugewerbe. In Verbindung mit den Megatrends der Bauwirtschaft – Nachhaltigkeit und Digitalisierung – zeigt sich deutlich, dass wir in der Baubranche von einem Gegeneinander zu einem Miteinander finden müssen. Ein wichtiges Element auf diesem Weg ist ein Mehr an Transparenz im Bauprozess durch eine bessere Dokumentation und den Gebrauch digitaler Modelle.

Deshalb gewinnt die Planung wieder an Bedeutung: In der Vergangenheit wurde vielleicht zu wenig geplant und viel zu schnell gebaut und realisiert. Ist der Beton erst einmal hart, sind die Fakten erst einmal geschaffen, entstehen oft – wie beim Berliner Flughafen – irreparable Schäden. Im digitalen Modell können Änderungen viel einfacher und schneller vorgenommen werden. Aus meiner Erfahrung ist es darüber hinaus gerade im Zeitalter der Digitalisierung notwendig, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Wir müssen stets die Entwicklungen in anderen Industriebereichen im Blick behalten. Das kommt auch dem Baubereich wieder zugute.

ZV: Wenn wir von kooperativen Arbeitsmethoden sprechen, fällt häufig die Abkürzung BIM. Können Sie uns erklären, was BIM ist?

BE: Wir verstehen unter BIM (Building Information Modeling) eine durchgängige und Lebenszyklus-übergreifende Methode für das integrierte Planen, Bauen und Betreiben von Bauwerken auf der Basis des Bauwerk-Informations-Modells. Dieser sogenannte „digitale Zwilling“ des geplanten Gebäudes ermöglicht uns ganz neue Einsichten: Für uns ist etwa die bekannte 3D-Ansicht nur eine von vielen möglichen Sichtweisen auf die Daten. In der TGA (Technische Gebäudeausrüstung) gibt es viele andere, aber mindestens ebenso wichtige Sichten auf Daten: In Schemata, Tabellen, Beschreibungen und Berechnungsmodellen können wir die Daten dieser Informationsmodelle zum Planen, Bauen und Betreiben der Gebäude nutzen. Das ist viel mehr als ein 3D-Modell.

ZV: Welche Vorteile ergeben sich aus der Anwendung von BIM?

BE: Der größte Vorteil von BIM ist ein durchgängiger, effizienter Planungsprozess. BIM ermöglicht einen raschen Informationsaustausch über die Grenzen der Disziplinen hinweg. Für dieses Geben und Nehmen ist jedoch ein Verständnis des Anderen notwendig: Welche Daten werden wie aufbereitet benötigt? Wie werden die Daten so übergeben, dass eine direkte Weiterarbeit ohne großen Mehraufwand möglich ist? Dann ergibt sich fast automatisch eine bessere Koordination, eine höhere Qualität und eine höhere Transparenz – leider ist Transparenz aber nicht immer von allen gewünscht.

Im Idealfall können wir aber den Bedarf eines digital erstellten Gebäudes ermitteln: Wir bemessen und konstruieren unsere Systeme und berechnen aus den Modellen dann Kosten- und Bauteillisten oder Leistungsverzeichnisse. Den digitalen Zwilling kann man dann im Anschluss an die Errichtung für alle Leistungen im Betrieb nutzen: Instandhaltung, Anlagen- und Energiemonitoring, Reinigungsflächen. Die Daten werden gleichsam auf einem Silbertablett serviert.

ZV: Welche Voraussetzungen sehen Sie für die Anwendung von BIM?

BE: Die wichtigste Voraussetzung für die Anwendung von BIM sind unserer Erfahrung nach Partner, die die Methode in ihrer ganzen Tragweite verstanden haben. Sicherlich benötigt man aber auch Mitarbeiter, die das entsprechende Know-how mitbringen. BIM erfordert eine ganz andere Art der Werkzeugbeherrschung. Die Mitarbeiter müssen darüber hinaus auch über ein gewisses IT-Wissen verfügen, so zum Beispiel wie Informationsmodelle zu strukturieren sind oder wie Daten abgespeichert und ausgetauscht werden müssen. Heute müssen wir nicht nur wissen, wie ein Architekt oder ein Tragwerksplaner arbeitet und denkt, sondern eben auch, was ein Informationsmodell ist und was Informationsstrukturen sind.

Gerade am Anfang sind natürlich auch Investitionen in die Soft- und Hardware und Schulung notwendig. Bei uns sind dies zum Beispiel etliche Konstruktions-, Ausschreibungs- und Kostenberechnungsprogramme, mit einer großen Vielfalt über viele Gewerke hinweg, gerade im Bereich der TGA. Wir dürfen aber nicht vergessen: Insgesamt sinkt der Aufwand eher als dass er steigt – vorausgesetzt, man beherrscht die Instrumente. Und das ist notwendig: Wir müssen uns der Digitalisierung stellen, es gibt keine Alternative. Wenn man sich gut arrangiert, kann man aber einen maximalen Nutzen aus diesen Veränderungsnotwendigkeiten ziehen.

ZV: BIM soll ja auch ab 2020 für alle neu zu planenden infrastrukturbezogenen Hochbauprojekte verbindlicher Standard werden.

BE: Im Ausland sind gerade die öffentlichen Bauherren die Treiber dieser Methode. Ich bin vollkommen damit einverstanden, dass auch von Bauherrenseite ein gewisser Druck aufgebaut wird. In Deutschland gibt es momentan nur Infrastrukturprojekte. Wir waren bei einem sogenannten BIMiD (BIM-Referenzobjekt in Deutschland)-Projekt beteiligt, dem Bau von VW Financial Service. Dort haben wir den BIM-Prozess ergänzend eingeführt. Bei unserer aktuellen Planung für VW arbeiteten wir seit Beginn mit diesem digitalen Informationsmodell, immer mit dem Blick auf den Betrieb. Alle, die sich mit dieser Methode beschäftigt haben, erkennen deren Nutzen.

ZV: Was sind die Konsequenzen dieser Digitalisierung der gesamten Planung? Wo ist künftig die Rolle des Bauherrn zu verorten?

BE: Die gesamte Ausbildung muss sich ändern, insbesondere an den Hochschulen und letztlich ebenso bei allen Handwerksberufen. Wahrscheinlich wird auch das Ausschreibungsverfahren ein anderes sein. Wir werden wohl digitale Modelle haben, vielleicht mit einem Massenauszug und mit Funktionalbeschreibungen. Unterstützend für die Planer werden künftig wahrscheinlich Modellierer benötigt, die dann den digitalen Zwilling erstellen. Es wird auch ein ganz anderes, abstrakteres Systemdenken benötigt: Man muss in der Lage sein, die realen Sachverhalte, Bezüge und Objekte im Modell abzubilden.

Vielleicht ist das der Beginn einer neuen Planungs-Ära. Wenn wir uns auf eine Studie von Roland Berger beziehen, werden Produkte, Materialien und Systemlösungen im Planungs- und Bauprozess künftig nicht mehr von den ausführenden Firmen oder dem Generalunternehmer ausgewählt. Diese Materialien und Lösungen sind dann bereits im digitalen Modell der Planung enthalten. Sie werden dort dem Bedarf entsprechend eingebaut, bis hin zu einer Life-Cycle-Cost-Berechnung. In der Ausführung wird es kaum noch Änderungen geben. Planung erhält somit einen ganz anderen Stellenwert.

Sicherlich werden wir gerade im globalen Rahmen mehr Standards für IT-Anwendungen brauchen. Computer müssen Daten interpretieren können. Bei der Übertragung von Datensätzen muss unabhängig von den jeweiligen Landessprachen sofort erkannt werden, welche Objekte, welche Eigenschaften, welche Inhalte gemeint sind. Ich selbst bin bereits seit vielen Jahren in der Normung tätig, um diese Dinge anzugehen. Wir suchen immer Kooperationspartner, mit denen wir gemeinsam das Thema vorantreiben können, sowohl Planer und Architekten als auch Bauherren oder Gebäudebetreiber.

ZV: Was sind Ihrer Meinung nach die Erfordernisse an ein modernes Energie-Management?

BE: Unserer Erfahrung nach werden Gebäude zunehmend zu sogenannten Prosumer, also Erzeuger oder Produzent und zugleich Verbraucher, englisch Consumer, von Energie. Die Energieversorgung wird im Sinne von Smart Grid viel engmaschiger werden: Viele Netzregelaktivitäten zur Stabilisierung des Netzes werden dezentral ablaufen. Damit einher geht die Weiterentwicklung aller Systeme der Energieversorgung und der Speicherlösungen. Dies betrifft nicht nur elektrische Speicher, sondern auch elektrisch-thermisch gekoppelte Speicher: In Niederlast-Zeiten produziert man über eine Wärmepumpe Heizwärme oder mit einer Kältemaschine in einem Kältepuffer Kälte. In Hochlastzeiten werden die Systeme abgeschaltet und die Versorgung erfolgt aus dem Speicher. Auch hier wird es also ein Miteinander der technischen Systeme im Sinne einer höchsten Energieeffizienz geben.

Unser Unternehmen ist Teil des Netzwerkes „Intelligentes Quartier“, dessen Ziel es ist, Gebäude übergreifend Energieverbünde mit einem deutlich höheren Grad an Automatisierung und Steuerungstechnik zu schaffen. Auch diese intelligenten Quartiere beginnen immer in der Planung, nur so kann zum Beispiel eine Anpassung an Nutzungsänderungen vorgesehen werden, um garantierte, nachweisliche Energieeffizienz zu leben.

ZV: Worauf sollte ein Bauherr bei der Gestaltung eines Gebäudes künftig achten?

BE: Ein Bauherr sollte immer ein Maximum an regenerativen Energiequellen einplanen. Hinzu wird künftig ein hoher Bedarf an E-Mobility treten – gerade in Stuttgart gibt es ja eine beachtliche Feinstaubproblematik. Bei allen Gebäuden, auch gewerblicher Art, ist immer E-Mobility einzuplanen: zum einen für Elektrofahrzeuge, die dem Transport von Gütern und Menschen dienen, zum anderen aber auch dahingehend, dass die Fahrzeuge wiederum als Energiespeicher für elektrische Energie im Kontext Smart Grid genutzt werden können. Der Bedarf ist da. Es ist aber wiederum sehr wichtig, diese Szenarien in der Planung zu simulieren, um so Randbedingungen zu definieren und hinreichend flexibel zu sein für Bedarfsanpassungen.

Hinzutreten sollten Blockheizkraftwerke und Photovoltaikanlagen auf den Dächern in Verbindung mit Speicherlösungen. Der Bedarf an Heizenergie wird aber insbesondere bei Gewerbeimmobilien drastisch sinken. Viel wichtiger wird die Kühlung werden, zum Teil sogar im Winter.

ZV: Was wünschen Sie sich diesbezüglich von der Politik?

BE: Heute ist es zu einfach, durch Einsatz einer Wärmepumpe und durch Einhalten eines KfW-Standards die nötigen Randbedingungen zu erfüllen. Es sollte viel mehr drauf Wert gelegt werden, neue Wege zu gehen – durch methodisches Vorgehen, durch Simulationen und durch Prüfung von Alternativen – und weniger Standards zur Pflichterfüllung aufzustellen.

Wir müssen auch an den Betrieb eines Gebäudes denken. Es gibt viele Gebäude, bei denen unterschiedliche Technik eingebaut wurde, die man im Betrieb aber nicht mehr beherrscht. Das Thema der Automatisierung muss also anders behandelt werden, bis hin zur Schulung der Betreiber und der Anwender mit entsprechenden Systemen.

ZV: Das Thema der Weiterbildung sollte also bei den Förderinstrumentarien eine größere Rolle spielen?

BE: Weiterbildung schützt uns in allen Bereichen vor Robotern. Ich kann der Automatisierung nur durch stete Weiterbildung entgehen. Ansonsten gilt: Alles, was sich in einen Algorithmus packen lässt, wird automatisiert werden – man darf sich da nichts vormachen. Wir müssen durch Weiterbildung einen Vorsprung behalten.

ZV: In welchen dieser Bereiche ist die Scholze-Lava Consulting GmbH tätig?

BE: Seit 1998 bietet die Scholze-Lava Consulting GmbH im strategischen Facility-Management alle Leistungen an, die im Lebenszyklus eines Gebäudes anfallen. Insbesondere sammeln und dokumentieren wir alle notwendigen, gebäudebezogenen Informationen und bewerkstelligen, dass diese Dokumentation nahtlos von der Planung in den Betrieb übergeht.

Unsere Leistungen lassen sich in drei Bereiche unterteilen:

Abbildung: Scholze-Lava

SLC_Digital umfasst die gerade erwähnte Informationsberatung: Wie ist die Dokumentation verschiedener Informationen aufzubauen, bis hin zu einer Lebenszyklus-Akte von Objekten? Wie sollte die Verbindung mit Referenzkennzeichnungssystemen zur Strukturierung von Gebäuden und technischen Systemen gestaltet werden? Welche CAFM (Computer-Aided Facility Management)-Systeme zur Bewirtschaftung können eingeführt werden?

SLC_Sustain betrifft den Themenkomplex Nachhaltigkeit mit Zertifizierungen nach DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen)- und LEED (Leadership in Energy and Environmental Design)-Standard. Wir bieten diese Leistungen sowohl bei Neubauprojekten als auch im Bestand an. Darüber hinaus entwickeln wir Betriebskonzepte bis hin zu eigenen Leistungen im Bereich technisches Property Management.

SLC_Smart umfasst grundlegende Leistungen im Bereich Smart Home, Smart Building und Smart Cities: TGA-Planung, vorzugsweise im Bereich der Mechanik und sozusagen „alles, was sich um Energie dreht“: Energieberatung, Energiemanagementsysteme, Anlagen und Energiemonitoring.

Für alle beschriebenen Tätigkeiten benötigt man Informationen, zugleich erzeugt man aber auch wieder Informationen. Unser Anliegen ist es, diese Informationen so zu strukturieren, dass sie direkt weiter genutzt werden können. Deshalb steht immer ein digitales Informationsmodell im Zentrum unserer drei Leistungsbereiche.

ZV: Welchen beruflichen Hintergrund haben Sie und was zeichnet ihre Tätigkeit bei Scholze-Lava aus?

BE: Ich habe an der Universität Stuttgart Maschinenbauwesen mit den Schwerpunkten TGA und Automatisierungstechnik studiert. Ich kenne also die Energiesysteme in Gebäuden, beschäftige mich aber auch seit über 25 Jahren mit digitalen Leitsystemen. Im meiner Dissertation übertrug ich dieses Know-how auf den Bereich der Gebäudeautomation. War es lange Jahre meine Aufgabe, digitale Inhalte in analoge Inhalte zu übersetzen, so kommt mir diese Erfahrung jetzt auf dem umgekehrten Weg zugute: Heute gilt es, die physische Welt in digitalen Modellen abzubilden. Die Werkzeuge und Inhalte dieser Konversionsprozesse sind mir, sind uns seit vielen Jahren vertraut. Wir fühlen uns eigentlich ganz wohl im Zeitalter der Digitalisierung (lacht).

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Geschäftsführender Gesellschafter bin ich beratend, planend und entwickelnd tätig – in den Bereichen Informationsmanagement, TGA und Nachhaltigkeits-Zertifizierung, auch als DGNB-Auditor. Einer meiner wichtigsten Aufgabenbereiche ist die Koordination des Informationsaustauschs mit anderen Planungs- oder Projektbeteiligten. Nur so können wir höchste Effizienz bei gleichzeitig hoher Qualität und Wirtschaftlichkeit gewährleisten.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Literaturtipp:

Bernd Essig: BIM und TGA. Engineering und Dokumentation der Technischen Gebäudeausrüstung

Dr. Bernd Essig

SCHOLZE-LAVA Consulting GmbH

Gutenbergstr. 13

70771 Leinfelden-Echterdingen

www.scholze-lava.de

essig@scholze-lava.de

 

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