Gemeinsam selbständig

Foto: Liliana Gatterer

Es ist in Deutschland nicht einfach, selbständig zu sein. Gut, wenn man einen starken Partner hat. Zeitenvogel sprach mit Liliana Gatterer und Tim Wiedemann (beide Bund der Selbständigen Rheinland-Pfalz & Saarland e.V.) über die Hürden bei einer Neugründung, Wünsche an die Politik sowie Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung.

ZV: Frau Gatterer, was ist der Bund der Selbständigen?

LG: Der Bund der Selbständigen ist ein branchenübergreifender Wirtschaftsverband. In Rheinland-Pfalz existiert er seit über 160 Jahren. Seine Anfänge liegen in Gruppierungen von Handwerkern, die sich gegenseitig vor Ort unterstützen wollten. Später traten dann weitere selbständig tätige Berufsgruppen hinzu. Heute umfasst unser Verband eine bunte Mischung von Selbständigen aus verschiedenen Branchen – Handwerker, Steuerberater, Anwälte, Apotheker, Einzelhändler, um nur einige zu nennen.

ZV: Welche Aufgaben hat der Bund der Selbständigen?

LG: Unsere Aufgaben umfassen drei Säulen: Erstens vertreten wir die Anliegen der Selbständigen gegenüber der Politik in den Kommunen sowie auf Landes-, Bundes- und Europaebene. Zweitens sind wir für unsere Mitglieder da, um ihnen bei Problemen helfend zur Seite zu stehen. Drittens bieten wir unseren Mitgliedern ein breites Spektrum an Dienstleistungen und Sonderkonditionen.

ZV: Wie ist der Bund der Selbständigen Rheinland-Pfalz und Saarland e.V. gegliedert?

LG: Im Bund der Selbständigen Rheinland-Pfalz und Saarland e.V. haben sich rund 2000 Selbständige zusammengeschlossen. Die Mitglieder kommen aus allen Branchen, von der Apothekerin bis zum Zimmermann. Neben einzelnen Selbständigen haben sich auch lokale Gewerbevereine und Unternehmerverbände dem BDS angeschlossen. Wir vereinen also die Selbständigen und Gewerbevereine in Rheinland-Pfalz und dem Saarland unter einem Dach. Auf der Bundesebene gehören wir dem Bund der Selbständigen Deutschland e.V. an.

ZV: Werfen wir einen Blick auf die Gründer: Welche Schwierigkeiten müssen bei einer Neugründung zunächst überwunden werden?

LG: Bei einer Gründung gibt es meist zunächst nur eine Idee und die Gründer wollen diese Idee umsetzen. Sie beginnen häufig ohne Kapital und versuchen Fördermittel einzuwerben. Die Einwerbung ist aber schwierig: Auch wenn die Förderprogramme einfach klingen – die Formulare sind kompliziert. Darüber hinaus werden meist Hightech-Betriebe gefördert und finanziert. Für alle anderen Unternehmen – wie zum Beispiel Gastgewerbe oder Einzelhändler – sind die Hürden sehr hoch. Dann ist auch noch die Kapitalfrage zu klären. Wenn man Hypotheken aufnehmen und Bürgschaften einwerben muss, um das für diese Programme nötige Kapital nachzuweisen, dann kann man sich das Geld auch wo anders einfacher leihen. Obwohl die Kreditvergabe der Banken – trotz der günstigen Zinssituation – nicht sehr großzügig ist.

Foto: Tim Wiedemann

TW: Die Bürokratie beim Gründungsvorgang ist ein großes Problem. Der Ausbau von E-Government, also von digitalen Verwaltungsprozessen, ist eine zentrale Forderung des Bundes der Selbständigen an die Politik. In Estland kann man zum Beispiel online Unternehmen gründen, in Deutschland ist das ein riesiger Aufwand, der viele Menschen abschreckt. Außerdem gibt es große finanzielle Einstiegshürden. Wenn Sie ein Unternehmen gründen, müssen Sie, bevor Sie einen Euro verdient haben, erst einmal zahlen: an die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer und die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung. Die Politik will auf der einen Seite Gründungen fördern, die zu Innovationen und neuen Arbeitsplätzen führen, auf der anderen Seite stehen Bürokratie und Kosten – eine Diskrepanz, an der wir arbeiten müssen.

ZV: Wie unterstützt der Bund der Selbständigen die Gründer bei der Gründung?

LG: Der BDS hat einen Beraterpool – Steuerberater, Anwälte und Unternehmensberater –, mit dem wir die Gründer begleiten können. Wir zeigen verschiedene Möglichkeiten auf und weisen auf dringende Notwendigkeiten – wie eine gesetzliche Versicherung – hin. Darüber hinaus stellen wir gemeinsam mit den Gründern einen Plan auf, in welcher Reihenfolge bestimmte Aufgaben angegangen werden, zum Beispiel von der Gründung im Halbtagsjob bis zur vollen Selbständigkeit.

TW: Nachdem diese Punkte geplant sind, ist die wichtigste Frage der Gründer: Wie komme ich denn überhaupt an Kunden und an Kooperationspartner? Uns ist es wichtig, hier eine Plattform zu bieten: durch Veranstaltungen wie Afterworkpartys oder Unternehmerfrühstücke, aber auch durch Vortragsveranstaltungen wie zum Beispiel „Der erste Schritt in die Selbständigkeit“. Die Gründer können dort Unternehmer kennenlernen, Geschäftskontakte knüpfen und sich so nach und nach ein Netzwerk für Weiterempfehlungen innerhalb der Region aufbauen.

ZV: Welche Probleme ergeben sich nach der Gründung und weshalb scheitern Gründungen?

LG: Das ist ein breites Spektrum und wir kennen nicht alle Gründe. Mitunter fehlt es an der Ausbildung: In 53 Handwerksberufen kann man sich seit dem Jahr 2004 ohne Meistertitel selbständig machen. Das führt dazu, dass es bei diesen Selbständigen mitunter Lücken bei den kaufmännischen Kenntnissen gibt – mit allen Folgen für die finanzielle Lage eines Unternehmens. Wenn dann noch verspätete Zahlung offener Rechnungen durch einige Kommunen hinzutreten und der Betrieb in Vorleistung gehen muss, wird es schwierig.

ZV: Was sind die wichtigsten Eigenschaften eines Gründers?

LG: Ich gehe hier einmal von mir aus: Ich glaube, dass die meisten Gründer etwas verändern, eine Idee umsetzen wollen. Sie sind mit Feuer und Flamme dabei und sie werden sich mit seiner Gründung so lange beschäftigen, bis es auch wirklich klappt. Wenn man von der Idee überzeugt ist und seine Tätigkeit mag – dann wird das fast mit Sicherheit ein voller Erfolg. Die Gründer müssen aber immer dabeibleiben, auch wenn die Geschäfte gut laufen und immer daran denken, dass sie viele verschiedene Verpflichtungen haben und das Unternehmen weiter ausbauen.

ZV: Was sind die größten Probleme, vor denen Selbständige in Deutschland stehen und wo engagiert sich der Bund der Selbständigen?

LG: Von Seiten der Politik wird gerne wiederholt, dass die kleinen und mittleren Unternehmen tragende Säulen der deutschen Wirtschaft sind. Zugleich unterstellt man aber den Selbständigen zum Beispiel, dass sie einer Altersarmut entgegengehen, was so nicht stimmt. Es gibt keine belastbaren Zahlen. Ein großes Problem ist auch, dass einigen unserer Mitglieder Scheinselbständigkeit vorgeworfen wird. Es kann nicht sein, dass Selbständige auf diese Weise kriminalisiert werden.

Mitunter wirft man den Selbständigen auch vor, zu wenig in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter und die Modernisierung des Unternehmens zu investieren. Zugleich gibt man den Betrieben aber nicht die Möglichkeit, die entsprechenden finanziellen Mittel abzurufen. Dieses Problem trifft auch die größeren unserer Mitglieder, die bei der Bearbeitung ihrer Aufträge mit zum Teil erheblichen Summen in Vorleistung treten müssen. Die Förderbank deckt hier nur 60 Prozent ab, der Rest müsste durch eine normale Bank finanziert werden, was nicht immer gelingt. Somit gehen Aufträge verloren. Die Politik müsste hier – etwa durch höhere Garantien – abhelfen.

Verbandstag (Foto: Bund der Selbständigen)

TW: Zwei Punkte sind uns auf kommunaler Ebene noch ganz wichtig. Erstens erkennen wir die Tendenz, kommunale Abgaben und Steuern zu erhöhen. Ein Beispiel ist die Tourismusabgabe in Rheinland-Pfalz, die eine Kann-Abgabe ist. Einige Kommunen erheben diese Abgabe, aber nicht nur von dem Hotel, in dem Gäste untergebracht sind, sondern eben auch von dem Lieferanten der Papiertücher für das Hotelzimmer oder von dem Rechtsanwalt, der vielleicht den Wanderer vertritt, der sich den Fuß verstaucht. Hier werden Zusammenhänge konstruiert, bei denen man sich schon fragen kann, ob es wirklich um den Tourismus oder um das Geld geht, weil die Kommunen überschuldet sind oder Finanzierungsengpässe haben.

Ein anderes Thema ist die Vergnügungssteuer, die in manchen Städten bei 18 bis 24 Prozent liegt. Damit verdrängen sie Unternehmen vom Markt und verlagern die Nachfrage aus der Kommune heraus. Es müsste ein Moratorium für kommunale Abgaben geben. Eine Erhöhung sollte, gerade im Zeitalter von Rekord-Steuereinnahmen, nur dann durchgeführt werden, wenn die Wirtschaft am Entscheidungsprozess beteiligt ist.

Zweitens ist die gegenwärtige Handhabung von Ausschreibungen aus unserer Sicht problematisch: Hier kommen oftmals Unternehmen zum Zuge, die irgendwo aus dem Bundesgebiet, oder sogar aus dem europäischen Ausland kommen. Man muss sich schon danach fragen, ob dies nachhaltige Lösungen sind: Das billigste Angebot bei der Auftragserfüllung ist nicht das billigste Angebot, wenn man auch den Service im Nachgang betrachtet. Lokale Auftragsvergaben sind nachhaltigere Lösungen. Die Politik muss, vor allem auf EU-Ebene, die Vergaberichtlinien so gestalten, dass die Kommunalverwaltungen auch entsprechend handeln können.

ZV: Eine letzte Frage: Inwiefern sind Sie und Ihre Mitglieder von den Digitalisierungsprozessen in der Wirtschaft betroffen?

LG: Wir und unsere Mitglieder stehen mitten drin in verschiedenen Digitalisierungsprozessen. Eines der Hauptprobleme der Digitalisierung ist der Netzausbau. Das ist der nächste Schritt, den man angehen muss: Ohne einen leistungsfähigen Internetzugang ist man von allen Möglichkeiten der digitalen Welt abgeschnitten. Hier muss es ein gleiches Recht für alle geben. Wir vernetzen uns darüber hinaus mit unseren Mitgliedern und bleiben mit ihnen über verschiedene Social Media-Plattformen in Kontakt.

TW: Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe. Unsere Mitglieder erwarten, dass wir uns digital aufstellen. Wir sind für Anregungen von außen offen und beschäftigen uns in einem eigenen Arbeitskreis mit dem Thema Digitalisierung. Besonders spannend ist, dass sich Unternehmer aus ganz verschiedenen Branchen des Themas annehmen: Nicht nur Unternehmen aus der IT, sondern auch Steuerberater, Werber und Texter sowie Händler. Wir bringen diese verschiedenen Branchen zusammen. Die Digitalisierung muss man ganzheitlich angehen: Die Infrastruktur ist – wie erwähnt – ein Thema, ein anderes ist Bildung: Wie gehen Menschen mit den neuen Medien um? Muss Informatik nicht auch Schulfach sein? Was sollen Auszubildende lernen? Was wird an den Universitäten gelehrt? Was gibt es für Weiterbildungsmöglichkeiten in den Betrieben? Die Arbeitswelt hat sich bereits stark verändert und die Geschwindigkeit der Veränderungen wird noch zunehmen. Hier muss es Fördermodelle zur Weiterbildung geben, gerade auch in kleinen Unternehmen, die 95 Prozent der Wirtschaft ausmachen.

Digitalisierung sollte die Politik gerne auch auf sich selbst anwenden. Das betrifft vor allem die bereits angesprochene Digitalisierung der Verwaltung. Digitalisierung kann nicht bedeuten, dass ein Papierformular jetzt als beschreibbares PDF da ist und am Ende ausgedruckt und abgeheftet wird. Wir benötigen intelligente Prozesse zur Beschleunigung und Automatisierung der Verwaltung. Es kann nicht sein, dass sich die Wirtschaft digitalisiert und die Verwaltung wie im Jahre 1950 weiterarbeitet.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Liliana Gatterer, Präsidentin des Bundes der Selbständigen Rheinland-Pfalz & Saarland e.V.

Tim Wiedemann, Kommunikation und Presse, Bund der Selbständigen Rheinland-Pfalz & Saarland e.V.

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Beitragsbild: Bund der Selbständigen Rheinland-Pfalz & Saarland e.V.