Guter Kundenservice

Die Beziehungen zwischen Kunden und Kundenservice sind nicht immer spannungsfrei. Guter Kundenservice ist eigentlich ganz einfach, aber gerade deshalb anspruchsvoll. Zeitenvogel sprach mit Wiebke Wetzel über Sketchnotes, die Tücken der E-Mail-Kommunikation und eine gute Unternehmenskultur als Voraussetzung für guten Kundenservice.

ZV: Frau Wetzel, Sie zeichnen bestimmte Kommunikationssituationen und protokollieren zum Beispiel Kongresse „im Bild“. Wie kamen Sie auf diese Idee?

WW: Mein Vater ist Künstler und ich bin sozusagen „mit Stiften groß geworden“. Zum Sketchnoting kam ich allerdings erst vor ein paar Jahren. Durch Sketchnotes kann man vieles besser und unmittelbarer als mit Worten ausdrücken, insbesondere Emotionen. Einen Satz muss ich gleichsam Buchstabe für Buchstabe „übersetzen“. Mit Bildern und Texten habe ich zwei Kanäle zur Verfügung und erreiche die Menschen besser.

Mit Stiften groß geworden; Zeichnung: Wiebke Wetzel

ZV: Sind wir auf dem Weg in ein neues visuelles Zeitalter?

WW: Ja, obwohl ich nicht weiß, ob es jemals eine nicht-visuelle Zeit gab. Die Menschen haben Höhlenmalereien angefertigt, lange bevor es eine geschriebene Schrift gab. Allerdings konnten in der Vergangenheit nur wenige Menschen visuelle Techniken ausüben. Das entsprechende Material war sehr teuer, die visuelle Sprache war deshalb ein Elitenphänomen. Am deutlichsten wird dies bei den kostbaren alten Kirchenfenstern, die gleichsam eine Bibel in Bildern darstellen.

Geschichte visueller Techniken; Zeichnung: Wiebke Wetzel

In den letzten 20 Jahren fand dann eine visuelle Revolution der Kommunikation statt. Die Voraussetzung hierfür war der technologische Fortschritt: Mithilfe von Digitalkameras und Handys kann jetzt jeder sehr kostengünstig Bilder produzieren. Auch deshalb enthalten Webseiten heute viel mehr Bilder in einer guten Qualität als noch vor wenigen Jahren.

Selfie-Zeitalter; Zeichnung: Wiebke Wetzel

Erst ganz langsam entdecken wir aber auch wieder die analoge visuelle Kommunikation. Wir sind noch in einer digitalen Perfektionsfalle gefangen. Es braucht viel Mut, vor Menschen mit einem Stift spontan auf Papier zu zeichnen – das geht nicht perfekt. Was man aber gewinnt, ist Authentizität.

ZV: Was ist der Vorteil, Vorträge auf Konferenzen in Form einer Zeichnung zu protokollieren?

WW: Ein schriftliches Tagungsprotokoll wird normalerweise per email verschickt, abgespeichert und kaum einer liest es. Eine Sketchnote schaut fast jeder noch einmal an und denkt dann nochmals über die Inhalte nach. Ich bemerke dies auch, wenn ich zur Vorbereitung für meine Trainings ein Video drehe. Ich spreche dann nicht – wie das so oft geschieht – einfach in die Kamera, sondern ich zeichne. Meine Trainees sind viel konzentrierter und können die Inhalte viel besser wiedergeben als wenn ich einen geschriebenen Text zur Vorbereitung ausgeben würde.

Sketchnote-Protokoll; Zeichnung: Wiebke Wetzel

ZV: Hauptberuflich üben Sie aber eine andere Tätigkeit aus?

WW: Ja, ich trainiere in Unternehmen die Mitarbeiter des Kundenservice, wie sie Beschwerden bearbeiten, mit den Kunden besser kommunizieren und Probleme vermeiden können. Ich habe selbst lange Zeit im Kundenservice gearbeitet und mich nun vor fast drei Jahren selbständig gemacht.

ZV: Was hat sich im Kundenservice in den letzten 10 Jahren geändert?

WW: Am augenfälligsten haben sich die Kanäle verändert, auf denen wir kommunizieren. Die Einführung der neuen, digitalen Kommunikationskanäle war nicht nur eine technologische Änderung. Auf diesen Kanälen kommunizieren wir auch anders: Wir können nicht eine E-Mail wie einen Brief oder einen Chat wie eine E-Mail schreiben, das geht schief – die Tonalität und der logische Aufbau unterscheiden sich grundlegend. In einer E-Mail muss ich zum Beispiel das Wichtigste an den Anfang packen, ich kann ein Argument nicht nach und nach entwickeln. Im Live-Chat schreibe ich hingegen viel informeller und muss viel mehr Abkürzungen verwenden, um eine bestimmte Geschwindigkeit der Kommunikation zu erreichen.

Die Kommunikation ändert sich; Zeichnung: Wiebke Wetzel

Eine besondere Herausforderung für den Kundenservice stellen die Social-Media-Kanäle dar. Im öffentlichen Raum kann jeder mitlesen und kommentieren, das ist für die Mitarbeiter ein enormer Druck. Gerade bei den Social-Media-Kanälen kann man feststellen, dass sich das Hierarchiegefüge zwischen Kunden und Kundenservice grundlegend verändert hat. Früher hieß es zwar: „Der Kunde ist König“, der Kundenservice verhielt sich aber häufig anders. Heute agieren die Unternehmen aber in einem Käufermarkt und die Käufer bestimmen das Marktgeschehen – Kunden und Kundenservice begegnen sich auf Augenhöhe.

ZV: Was sind besondere Schwierigkeiten bei der E-Mail-Kommunikation?

WW: Die E-Mail-Kommunikation wird häufig etwas informeller gehandhabt als der mit der Post versandte Brief. Gleichzeitig sind wir aber oft sehr unsicher – es gibt noch keine allgenmein akzeptierten Regeln für die E-Mail-Kommunikation. Die Anrede ist zum Beispiel ein großes Problem, auch für mich: „Sehr geehrte(r)“ ist für eine E-Mail zu altbacken, „Hallo“ gilt oft als zu informell. Ich verwende deshalb meist „Guten Tag“ als einigermaßen neutrale Grußformel. Bei der Abschiedsformel gilt die goldene Regel: „Nimm die gleiche wie Dein Kunde“. Wenn der Kunde keine verwendet hat, nehme ich die neutrale Formulierung „Viele Grüße“.

Hervorhebungen und Probleme; Zeichnung: Wiebke Wetzel

Hervorhebungen sind ein sehr schwieriges Thema. Eine Regel lautet: „Ausrufezeichen sind keine Rudeltiere“. Man sollte auf Ausrufezeichen möglichst verzichten. Was nicht wirklich wichtig ist, sollte man in einer E-Mail, die auf Kürze angelegt ist, weglassen. Auch auf die Großschreibung einzelner Wörter oder Satzteile sollte man in Deutschland komplett verzichten – Großschreibung gilt als geschriebenes Anbrüllen. Emoticons wie „:-)“ sind mit Vorsicht zu genießen. Sie können auf verschiedene Art und Weise interpretiert werden und zu Missverständnissen führen.

Gefühle können in einer Email nonverbal nur sehr schwer transportiert werden. Es fehlen alle anderen Kanäle der interpersonellen Kommunikation wie Stimme, Mimik und Gestik. Nonverbale Zeichen sind kein Ersatz für diese Kanäle. In einer E-Mail bleiben somit alleine sprachliche Formulierungen um Inhalte und Gefühle möglichst klar zu formulieren. Ein Beispiel hierzu: „Ich verstehe, dass Sie sich ärgern“ ist klar, „:-(“ kann vieldeutig sein.

ZV: Bestimmt die Art und Weise des Umgangs mit den Kundenemotionen die Stärke der Kundenbindung an das jeweilige Unternehmen?

WW: Ja. Natürlich wollen wir im Kundenservice professionell agieren. Viele Menschen denken, professionell zu agieren heiße, dass Gefühle nicht angesprochen werden. Gerade der Kundenservice hat aber zu mindestens 50 Prozent mit Gefühlen zu tun. Mitarbeiter im Kundenservice dürfen ihre Gefühle gegenüber dem Kunden nicht zeigen – egal wie belastend dies für sie ist. Das ist eine schwierige Situation – Kundenservice ist ein Burnout-Beruf. Der Kunde muss aber als Mensch und darf nicht als Nummer wahrgenommen werden. In meinen Trainings übe ich das in Rollenspielen. Wenn ein Mitarbeiter im Kundenservice die Gefühle des Kunden wahrnimmt, kann er so manche Situation entschärfen anstatt sie eskalieren zu lassen.

Deshalb müssen Gefühle angesprochen werden, zum Beispiel mit der Formulierung „Ich verstehe, wenn Sie sich ärgern“. Ein sehr mächtiger Satz ist auch: „Danke, dass Sie sich gemeldet haben und so offen mit uns sprechen“. Darauf kann ich dann weiter aufbauen. Solange ich die Gefühle nicht auf den Tisch gebracht habe, sind sie „der Elefant im Raum“, um den man dann umständlich lavieren muss. Mit anderen Worten: Wird ein Kunde nicht bei seinen Gefühlen abgeholt, kann man nicht über Inhalte sprechen.

ZV: Und wenn Kunden sich auf der emotionalen Ebene nicht ernst genommen fühlen, weil sie „auf Krawall gebürstet“ sind?

WW: Im Kundenservice benötigt man Fingerspitzengefühl. Kunden, die wütender werden, wenn man Verständnis ausdrückt, gibt es, sie sind aber selten. Auch der Tonfall ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Eine Entschuldigung gegenüber dem Kunden ist aber bei Problemen immer fällig, insbesondere, wenn es ein Fehler des Unternehmens war. Ich empfehle auch, sich der Lautstärke, der Geschwindigkeit und dem Tonfall der Kundenstimme anzupassen. Wenn ein Kunde aufgeregt ist, will er erst einmal nicht beruhigt werden, sondern, dass ich ebenso schnell kommuniziere und sein Problem rasch gelöst wird.

Shitsorm und schlechte Bewertungen; Zeichnung: Wiebke Wetzel

Eine weitere gute Methode um dem Kunden zu zeigen, dass ich ihn als Mensch wahrnehme, ist es, seine Worte zu spiegeln. Wenn der Kunde von einem „Problem“ spricht, dann ist das für ihn auch ein Problem und ich sollte nicht mit der Formulierung „Herausforderung“ oder „Thema“ reagieren – das kann durch den Kunden als Weichspüler oder Nebelkerze negativ wahrgenommen werden. Im Kundenservice sind wir Problem-Löser. Eine klare Sprache kommt bei Kunden sehr gut an. Kunden merken dann auch unbewusst: Hier gibt es eine Resonanz. Wichtig ist es, dem Kunden genau zuzuhören. Was häufig ignoriert wird, ist die Ebene der Selbstoffenbarung des Kunden: Was sagt der Kunde über sich selbst und seine eigene Kommunikation? Das fehlt ganz oft.

Wenn ich aber das Gefühl habe, dass ein Kunde mit mir spielt, gehe ich auf die Sachebene. Ansonsten habe ich verloren und hänge am sogenannten Angelhaken. Wenn ich bei solchen Manipulationstechniken den vorgegebenen Köder Kundenärger schlucke, gebe ich die Kontrolle ab und bin nur noch damit beschäftigt, die Kontrolle wiederzuerlangen. Deshalb: Provokationen werden ignoriert. Beleidigungen muss man sich aber nicht gefallen lassen. Hier empfiehlt sich die kontrollierte Beendigung des Gesprächs: „So spreche ich nicht mit Ihnen“.

ZV: Wie sollte ein Unternehmen auf eine schlechte Bewertung im Internet reagieren?

WW: Als Unternehmen hat man auf fast allen Plattformen die Möglichkeit, auf eine entsprechende Bewertung öffentlich zu antworten und diese Möglichkeit sollte ich auch wahrnehmen. Wichtig ist aber: Professionell bleiben. Der schlimmste Fehler bei einer Reaktion ist es, zu sagen: „Das kann gar nicht sein“ oder zu fragen: „Sind Sie sicher?“. Die Bewertung des Kunden entspringt seiner Wahrnehmung der Realität – jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit.

Weitaus besser ist eine Reaktion in der Art: „Es tut uns sehr leid, dass es da Probleme gegeben hat. Lassen Sie uns das am Telefon klären“. Diese Entschuldigung ist öffentlich notwendig, vielleicht auch eine Erklärung, was passiert ist. Durch dieses Gesprächsangebot sehen andere potenzielle Kunden, dass das jeweilige Unternehmen bei Unzufriedenheit professionell reagiert.

ZV: Was sind die Ursachen von sogenannten shitstorms und wie kann man sie in den Griff bekommen?

WW: Die Ursachen sind natürlich sehr individuell. Am häufigsten ist jedoch, dass ein Unternehmen bei der ersten negativen Äußerung gar nicht oder falsch reagiert. Deshalb sollte man stets umgehend reagieren, ein Gespräch anbieten und nicht in der Kategorie „Schuld“ denken. Im Kundenservice geht es nie um Schuld, es geht um Lösungen für die Kunden.

Social-Media-Kanäle werden aber fast immer durch Mitarbeiter aus dem Marketing betreut. Mitarbeiter aus dem Marketing sprechen eine komplett andere Sprache als die Mitarbeiter im Kundenservice. Das kann auch zu einem shitstorm führen. Dann kann es noch passieren, dass sich überlastete Mitarbeiter in einem shitstorm im Tonfall vergreifen. Das kann vorkommen und sollte mit einer Entschuldigung korrigiert werden.

ZV: Welche Bedeutung hat die Unternehmenskultur in diesem Zusammenhang? Kann man die Unternehmenskultur durch bestimmte Maßnahmen ändern?

Das Unternehmen als Kürbis; Zeichnung: Wiebke Wetzel

WW: Die Unternehmenskultur spiegelt sich im Kundenservice wider. Der Kundenservice ist gleichsam die Schale des Kürbisses Unternehmen. Die meisten Unternehmen nutzen den Kundenservice so, dass von außen nichts nach innen dringen soll. Ein solcher Ansatz kann sehr frustrierend sein: Das Unternehmen lernt nicht aus den Beschwerden der Kunden, die gleichsam in der Schale hängen bleiben. Wenn man aus den eigenen Fehlern lernen will, muss man die Rahmenbedingungen modifizieren und somit indirekt etwas an der Unternehmenskultur ändern. Ich kann allerdings nicht steuern, was passiert. Es kann zu nicht beabsichtigten Wirkungen kommen, die dann wieder nachgesteuert werden müssen.

Eine neue Unternehmenskultur lässt sich nämlich nicht einfach so verordnen. Seit vielen Jahren hört man aus der Organisationsentwicklung, dass man bei einer Vision ansetzen muss, wenn man die Unternehmenskultur ändern will. Diese Visionen sollen dann auf Plakate, die überall aufgehängt werden und das Training der Führungskräfte runtergebrochen werden. So geht man aber nicht die wirklich heißen Themen an.

Ein Beispiel: Ich habe einmal die Mitarbeiter eines Unternehmens trainiert, in dem jede Reklamation, jede Ersatzlieferung, jede Kulanzlieferung minutiös über Kostenstellen einzelnen Mitarbeitern zugeordnet wurde. Mit einer solchen Zuweisung von Schuld verhindere ich aber eine lösungsorientierte Kultur. Besser wäre es gewesen, Ersatzlieferungen auf ein Sammelkonto zu buchen. Es ist auch bei weitem nicht so, dass Kunden stets das Beste für sich herausholen wollen. Großzügigere Kulanzregelungen bei geringen Werten signalisieren Vertrauen gegenüber dem Kunden und sparen letztlich die Ressourcen des Unternehmens für die Lösung der bedeutenden Reklamationsfälle. Das hilft mehr als alle Appelle.

ZV: Eine letzte Frage: Wie beurteilen Sie die künftige Bedeutung von Chatbots?

Chatbots; Zeichnung: Wiebke Wetzel

WW: Chatbots werden seit circa zwei Jahren mit einer enormen Macht in den Markt gedrückt. Chatbots sind zurzeit mit wenigen Ausnahmen allerdings so programmiert, dass es eine Fragen-Antwort-Datenbank im Hintergrund gibt, die natürlich nur so gut sein kann wie der Mensch der sie geschrieben hat. Echte künstliche Intelligenz haben wir bisher nicht, die Fähigkeit zur Konversation ist noch begrenzt: Häufig steigen Chatbots nach dem dritten Satz aus. De facto werden Chatbots nur dann eingesetzt, wenn sehr schematische Frage-Antwort-Prozesse betroffen sind, zum Beispiel die Abfrage einer Kundennummer. Im eigentlichen Kundenservice können Chatbots für die Mitarbeiter aber sehr hilfreich sein, etwa wenn ein Mitarbeiter im Callcenter viele Produkte betreuen muss und ein Chatbot im Hintergrund auf bestimmte Trigger schon einmal etwa aus einer Datenbank heraussucht.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Dr. Wiebke Wetzel

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Beitragsbild: Wiebke Wetzel