Kohle und Klima im Blick

Kohle und Klimaschutz passen eigentlich nicht zusammen. Bei Biokohlenstoffen sieht die Bilanz jedoch anders aus. Zeitenvogel sprach mit Michael Sernatinger von den carbonauten über Biokohlenstoffe in der Landwirtschaft, nachhaltig produzierte Kunststoffe und erneuerbare Energien.

Biokohle

Foto: Michael Sernatinger

ZV: Herr Sernatinger, wer sind die carbonauten?

MS: Wir sind ein deutsches Start-up, das es sich zum Ziel gesetzt hat, mit industriellen Biokohlenstoffen einen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten. Wir betreiben weltweit dezentrale Standorte, an denen wir aus Resten von Biomassen mit hocheffizienten Technologien spezifizierte Biokohlenstoffprodukte herstellen. Als nützliches Nebenprodukt fällt 24 Stunden, 7 Tage die Woche erneuerbare Energie an.

ZV: Inwieweit leisten Sie einen Beitrag gegen den Klimawandel?

MS: Unsere Produkte wirken CO2-senkend oder im Falle der thermischen Verwertung mindestens CO2-neutral. Solange sie nicht verbrannt werden, speichern unsere Produkte den Kohlenstoff der Biomasse, der dann nicht in Form von Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre gelangt. Wenn unsere Kohle verbrannt wird, wirkt sie – im Gegensatz zu herkömmlicher Stein- oder Braunkohle – klimaneutral: Der Kohlenstoff wurde ja zuvor beim Aufbau der Biomasse durch Pflanzenwachstum der Atmosphäre entzogen und wird beim Verbrennen oder der Verrottung wieder an die Atmosphäre abgegeben. Das ist ähnlich wie beim Bau von Holzhäusern: Solange das Haus besteht, bleibt der Kohlenstoff im Haus gespeichert. Das carbonauten-System kann daher im industriellen Maßstab einen Beitrag zur Klimarettung leisten.

 

Kaskadennutzung der Biomassen

 

ZV: Was ist das Besondere an Ihrem System?

MS: Das Besondere ist die Kaskaden-Nutzung der Biomassen: Wir karbonisieren Biomassen um mehrere Endprodukte herzustellen. So können wir beispielsweise aus Biomasse zunächst Biokohle und dann in einem weiteren Verfahren Aktivkohle herstellen. Oder aus schadstoffbelastetem Altholz Kohlenstoff und anschließend Biokoks für Hochöfen. Dieser Biokoks ist nicht nur günstiger als der herkömmliche, aus fossiler Kohle gewonnene Koks. Da unser Biokoks klimaneutral ist, fallen die CO2-Zertifikate weg, was zu enormen Kosteneinsparungen bei den Betreibern führt. Ideal ist es, wenn wir mit unseren Anlagen am Hochofen produzieren und die Feuerung des Hochofens mit unserer überschüssigen Energie unterstützen.

ZV: Welche Voraussetzungen muss die Biomasse erfüllen, damit Sie diese verarbeiten können?

MS: Die Biomasse muss stückig und trocken sein, das heißt eine Holzfeuchte von um die 8 Prozent aufweisen. Höhere Feuchtigkeitsgehalte können wir durch die von uns produzierte Energie einfach heruntertrocknen. Länger im Wald getrocknetes Holz reicht bereits aus. Das können Hölzer sein, die als Abfall im Sägewerk oder auch bei Sturmschäden oder Käferbefall anfallen. Die Wahl der Biomasse hängt davon ab, welche Biokohle man für welchen Zweck produzieren will. Je härter das Holz, desto besser ist die Biokohle. Wir sind aber in beiderlei Hinsicht sehr flexibel.

ZV: Sie planen ja auch Altholz der Kategorie A IV (mit Holzschutzmitteln behandeltes Altholz) und Klärschlamm zu verwerten. Sind das keine gesundheitlich bedenklichen Ausgangsstoffe?

MS: Das stimmt. Seit man den Klärschlamm nicht mehr auf die Felder ausbringen darf, ist dies ein riesiges Problem geworden. Zusammen mit einem Partnerunternehmen suchen wir gerade nach einer Lösung. Wir versetzen den Klärschlamm und das Altholz der Kategorie A IV mit einer anderen Biomasse und produzieren daraus entweder Aktivkohle oder Biokoks, den wir dann der Verbrennung in Hochöfen zuführen. Die schädlichen Stoffe werden durch die hohen Temperaturen von 1.500 Grad C weitestgehend neutralisiert oder landen in den Filteranlagen.

 

Biokohle in der Landwirtschaft

 

ZV: Welche weiteren Verwendungsmöglichkeiten der Biokohle gibt es?

MS: Unsere Biokohlenstoffe sind sehr vielseitig einsetzbar. Biokohle wird von vielen Wissenschaftlern als einer der wichtigsten Stoffe der Zukunft gesehen. Als Bodenhilfsstoff auf die Felder ausgebracht, wirkt Biokohle hydrophil, das heißt sie bindet Wasser und die darin gelösten Nährstoffe.

Dies ist zum Beispiel bei Gülle der Fall: Die Biokohle hält die Gülle auf dem Feld. Die Biokohle kann dann ein hervorragendes Habitat für wertvolle Mikroorganismen wie symbiotische Pilze und probiotische Bakterien bilden. So findet eine langfristige Vitalisierung des Bodens statt. Das wiederum bindet CO2.

Die Biokohle kann auch an Tiere verfüttert werden und dort Toxine im Darmbereich absorbieren. Zudem Antibiotika werden nahezu überflüssig. Der Stallgeruch nimmt ebenso wie der Fliegendruck ab. Bei Kühen sinkt durch die Wirkung der Kohle auch der Methanausstoß – ein weiterer wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Bei Schweinen steigt das Gewicht, bei Hühnern sinkt die Sterblichkeit. Mit der Gülle wird die Biokohle dann auf das Feld ausgebraucht. Das ist wieder eine effiziente Nutzung im Sinne der Kaskaden-Nutzung der Biomasse.

Unsere Kohleprodukte können aber auch im Bereich der Dämmung und im Leichtbau eingesetzt werden. Dort speichern sie – ähnlich wie beim erwähnten Holzbau – Kohlenstoff, der nicht in die Atmosphäre gelangt solange das Haus steht.

ZV: Ist auch ein mittelfristiger Einsatz von Biokohle in der Kunststofferzeugung möglich?

MS: Wir sind an Forschungen beteiligt, die herkömmliche durch nachhaltig produzierte Kunststoffe ersetzen sollen. Ob Sie Kunststoffe aus Öl oder Kohle herstellen, ist eigentlich egal. Künftig werden in Bioraffinerien nachhaltige Kunststoffe produziert werden, die man aber nach der Nutzung einfach auf den Kompost ausbringen kann. Statt ein Problem mit Mikroplastik hat man dann mit den Biokohlenstoffen im Kompost wertvolle Bodenhilfsstoffe. Und da die Biokohle nicht zersetzt wird, ist so CO2 im Boden über Tausende von Jahren gespeichert.

 

Strom und Wärme

 

ZV: Welche Möglichkeiten bestehen, Ihre Verkohlungsanlage mit Kraftwerken zu verbinden?

MS: In dem von uns entwickelten Prozess fällt neben den eigentlich produzierten Biokohlenstoffen immer auch 24/7 thermische Energie ab. Aus dieser thermischen Energie können wir zum einen elektrische Energie gewinnen, zum anderen aber ebenso Hochtemperatur-Prozesse unterstützen. Man kann damit aber auch komplette Biomasse-Heizkraftwerke ersetzen und dabei 40 Prozent der Investition sparen. Die Betriebskosten sind dann deutlich geringer und es besteht die Möglichkeit, eine hohe Varianbilität bei den Inputstoffen nutzen. Je nachdem, wie viele Anlagen man zusammengeschaltet, kann man zum Beispiel mehrere Dampfdruckturbinen betreiben um so einen Wirkungsgrad von circa 40 Prozent zu erreichen.

ZV: Wie sind Ihre Anlagen aufgebaut?

MS: Unsere Anlagen sind einfach und robust aufgebaut, ohne bewegliche Teile. Sie können deshalb sehr lange laufen und benötigen keinen Ingenieur um sie zu überwachen und zu bedienen. Die Mitarbeiter müssen eigentlich nur einen Gabelstapler oder Kran führen können. Deshalb sind die Anlagen auch für Länder geeignet, die über keine gute Infrastruktur verfügen.

Jedes unserer Produktionsmodule leistet ein Megawatt thermische Energie bzw. mindestens 8.000 MW jährlich. Die Module sind frei zusammenschaltbar. Die genaue Konfiguration hängt immer davon ab, wie viel Biomasse unsere Kooperationspartner zur Verfügung haben bzw. wieviel Energie sie benötigen.

Handelt es sich zum Beispiel um ein großes Zementwerk, das eine große Menge Energie benötigt, dann können wir entweder drei oder fünf oder auch zehn und zwanzig unserer Module aufstellen. Wir sind genauso flexibel, wie dies unser Kooperationspartner erwartet.

 

Die Suche nach Partnern

 

ZV: Verkaufen Sie diese Anlagen?

MS: Nein. Unser Interesse gilt den Biokohlenstoffen. Daher betreiben wir die Standorte entweder alleine oder nehmen Partner bzw. Unternehmen mit Beteiligungen bis zu 50 Prozent an Bord. Wir schließen immer langfristige Kooperationen ab. Unsere Partner können Abnehmer der Energie sein – wie etwa Zementwerke oder Papierfabriken – oder aber Abnehmer der Kohlenstoffe – wie landwirtschaftliche Betriebe, Agroforstkulturen und Plantagen – oder aber auch Produzenten von Biomasse – wie etwa ein Müllentsorger, ein Sägewerk oder eine Kommune, bei der regelmäßiger Grünschnitt anfällt.

ZV: Kann man eine Ihrer Produktionsanlagen besichtigen?

MS: Von der ersten Generation der Anlage wurden etwa 100 Stück verkauft. Die sind noch alle im Einsatz. Bei Eberswalde nördlich von Berlin entsteht gerade die Erstanlage der neuen, deutlich effizienteren Generation. Sie befindet sich gerade in der Aufbauphase, wir warten auf die notwendigen Genehmigungen. Ende 2019 geht die Anlage dann in Betrieb.

ZV: Müssen diese Genehmigungen durch Ihre Kunden beantragt werden?

MS: Nein, wir kümmern uns um die gesamte Projektplanung und -realisierung.

ZV: Weshalb lohnt sich der Einsatz Ihrer Anlagen gerade auch in Ländern anderer Klimazonen?

MS: In den Tropen wächst eine große Vielfalt unterschiedlicher Biomassen wesentlich schneller als bei uns. Das bietet gute Voraussetzungen für die Produktion einer ganzen Bandbreite von Biokohlenstoffen. In Südostasien gibt es zum Beispiel viele Agroforstkulturen, bei denen man Holz und Pflanzenabfälle verwenden kann. Kokosschalen sind zum Beispiel für Aktivkohlen sehr gut geeignet.  Nebenbei leisten unsere Anlagen einen Beitrag zur elektrischen Versorgung der Regionen.

Deshalb planen wir Anlagen in Indonesien, Thailand, Vietnam und Malaysia. Außerdem sind wir in Verhandlungen mit einem Kooperationspartner, der unsere Anlagen in Kolumbien aufbauen will. Auch Uruguay steht auf der Liste von Interessenten.

 

Auf dem Weg zum Erfolg

 

ZV: Wie entstanden die carbonauten?

MS: Wir sind nicht unbedingt ein klassisches Start-up. Die beiden Gründer, Torsten Becker und Christoph Hiemer, hatten vor den carbonauten bereits 2015 die Carbuna AG initiiert, die auch Bodenhilfsstoffe mit Biokohlenstoff im Sortiment hat. Der Vater von Christoph Hiemer war Pionier von Biomasseheizkraftwerken in Deutschland. Christoph kam also bereits frühzeitig mit der entsprechenden Prozesstechnologie in Kontakt und hat in diesem Bereich 20 Jahre Erfahrung. Torsten Becker ist Industriedesigner. Er kümmert sich um neuen Anwendungen der Biokohlenststoffe.

Eine gute Kombination, die auch die Jury des „Cyber One Hightech Award 2018” des Landes Baden-Württemberg überzeugte: Die beiden schafften es in das Finale und erhielten eine „BW Pre-Seed“-Finanzierung durch „startup bw“.

ZV: Und wie geht es jetzt weiter?

MS: Mittlerweile sind wir mit verschiedenen Unternehmen und Regierungen im Gespräch. So ist etwa die chinesische Provinz Yangzhou an unseren Biokohlenstoffen interessiert. Einige Regierungen wollen mithilfe unserer Produkte Aufforstungsprojekte unterstützen.

Wir sind der Überzeugung, bis 2025 Weltmarktführer bei industriell hergestellten und qualitativen Biokohlenstoffen zu sein – mit mindestens 75 Produktionsmodulen, 120.000 Tonnen Biokohlenststoffen, 100 Millionen Euro Umsatz und einem Profit von 43 Prozent pro Jahr.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Michael Sernatinger

Projektakquise national und international

carbonauten GmbH

Leipziger Straße 23

89537 Giengen

https://www.carbonauten.com

m.sernatinger@carbonauten.com

 

Beitragsbild: carbonauten