Auf dem Weg zum digitalen Mittelstand

Foto: Hans-Peter Mistele

Digitalisierungsprozesse sind für Wirtschaft und Gesellschaft bereits heute von enormer Bedeutung. Zeitenvogel betrachtete bereits einige Facetten dieses Phänomens. Heute sprechen wir mit Hans-Peter Mistele (MISTELEconsult) über Mittelstand und Digitalisierung.

ZV: Herr Mistele, der Begriff der Digitalisierung ist allgegenwärtig. Im vergangenen Bundestagswahlkampf war „Digitalisierung“ ein wichtiges Schlagwort. Welche Aspekte dieses großen Themenkomplexes sind für Sie und Ihre Kunden aus dem Mittelstand „im Tagesgeschäft“ besonders wichtig?

HPM: Das ist genau die Herausforderung, vor der viele Unternehmen des Mittelstandes stehen: Sie benutzen die Begriffe „Digitalisierung“, „Industrie 4.0“ und „Internet of Things“, wissen aber häufig gar nicht genau, was dahintersteht und was für sie von Belang ist. Ich begleite die Unternehmen bei der Entwicklung von Innovationen und der Durchführung von Digitalisierungsprozessen. Der Kundennutzen und die Bedürfnisse der Kunden stehen bei mir im Mittelpunkt. Wir legen gemeinsam fest, welche Inhalte relevant, welche Investitionen notwendig sind und welchen Weg wir beschreiten: Was passt zu meinen Kunden? Gibt es einen Markt? Wie kann sich das Unternehmen auf dem Markt platzieren? Was tun die Mitbewerber?

ZV: Wie wichtig sind heute die Bereiche Künstliche Intelligenz (KI) und Sensorik?

HPM: Beide Themen werden uns alle künftig betreffen. Im Unternehmensbereich kommt es immer auf die Branche an: Handelt es sich um einen reinen Handwerksbetrieb oder um Betriebe, die auch selbst Produkte entwickeln und produzieren? Bei Letzteren kommen die Themen KI und Big Data sehr stark zum Tragen. Dies hat dann wieder Auswirkungen auf die Unternehmensführung. Gerade bei der Kundengewinnung ergeben sich mit dem Thema CRM (Customer-Relationship-Management) ganz neue Ansatzpunkte. Inbound-Marketing ist der Traum eines jeden Vertriebsmitarbeiters. Die Kunden finden das Unternehmen selbst im Internet, man muss sie nicht mehr suchen.

ZV: Werden die in den Medien sehr präsenten Probleme des Breitbandausbaus oder die Sicherheit von cloud-Lösungen auch im Mittelstand diskutiert?

HPM: Ich denke man kommt nicht daran vorbei, über diese Probleme auch im Mittelstand zu sprechen. Gerade das Thema Breitband ist sehr, sehr wichtig. Heute muss die Bandbreite vorhanden sein um die cloud-Dienste nutzen zu können, aber auch die Kundenkommunikation zu bewerkstelligen. Bei dem Thema Sicherheit werden bei kleinen Unternehmen, gerade aber auch im Mittelstand, sehr häufig die Augen zugedrückt. Datensicherheit ist ein Thema, das jeden betrifft – ob klein, ob groß. Fast die Hälfte der Unternehmen ist auf das Inkrafttreten der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Ende Mai 2018 nicht vorbereitet.

ZV: Wie kamen Sie auf die Idee, gerade den Mittelstand in Bezug auf Digitalisierungsmaßnahmen zu beraten?

HPM: Im Mittelstand haben wir es meist mit sehr erfolgreichen Unternehmern zu tun, die ihr Unternehmen die letzten 30 bis 40 Jahre aufgebaut haben. Sie haben ihre Erfahrungen und ihren entsprechenden Führungsstil. Manches passt aber heute manchmal leider nicht mehr in die Zeit. Wir haben heute Innovationszyklen von einem halben Jahr bis einem Jahr und nicht mehr von zwei, drei Generationen. Und entsprechend bedarf es eventuell neuer, agiler Führungsmethoden und angepasster Unternehmensstrukturen.

Mein Fokus liegt auf kleinen und mittleren Unternehmen. Hier habe ich den direkten Unternehmerkontakt. Nebenher gönne ich mir noch zwei Startups, damit ich jung und am Markt bleibe (lacht). Auf der einen Seite aus Freude daran, mit jungen Menschen zu arbeiten und um ein paar neue Ideen mitzubekommen und auf der anderen Seite um mein eigenes Knowhow dort unterzubringen, gerade auch im Thema Vertrieb.

ZV: Aus welchen Sparten stammen diese Startups?

HPM: Das eine Startup beschäftigt sich mit dem Thema Wetter. Gerade hinsichtlich des autonomen Fahrens wird es immer wichtiger nicht nur zu wissen, dass es heute regnet. Ich muss genau wissen: Wie ist in Stuttgart um 12.50 Uhr das Wetter? Die autonomen Systeme funktionieren bei Regen, Schnee und Eis nicht mehr zu 100 Prozent. Dies ist eine ganz, ganz spannende Geschichte. Die Navigations- und Automobilhersteller haben ein großes Interesse an dieser Lösung. Mit dem zweiten Startup begleite ich ein Unternehmen, das sich im Gastronomiebereich mit digitalen Lösungen bereits sehr erfolgreich am Markt platziert hat.

ZV: Begegnen Ihnen heute aber auch auf Mitarbeiterebene Berührungsängste mit der digitalen Welt?

HPM: Das ist ein sehr, sehr wichtiger Punkt. Ich denke, dass das Thema Digitalisierung im Mittelstand, bei den Mitarbeitern, häufig zu Ängsten führt, man spricht sogar von Digitalangst: Wie wird sich künftig mein Arbeitsplatz ändern? Wird er wegrationalisiert aufgrund von Automatisierung? Die Folgen sind häufig Demotivation und Blockadehaltung gegenüber Innovationen. Diesen Ängsten muss man begegnen und immer dann, wenn Änderungen und Change-Prozesse durchgeführt werden, sehr früh mit den Mitarbeitern kommunizieren: Warum tut man etwas? Welche Vorteile erhofft man sich? Welche Nachteile könnte es geben? Welche Auswirkungen hat das auf den Mitarbeiter? Eine möglichst offene und ehrliche Kommunikation ist sehr hilfreich.

ZV: Lässt sich der Bedarf an speziell geschulten Mitarbeitern noch intern decken oder beschleunigt die Digitalisierung die Internationalisierung des Mittelstandes?

HPM: Der Fachkräftemangel ist meines Erachtens eine Herausforderung, vor der fast jede Branche derzeit steht. Der Markt ist häufig leergefegt. Früher wurden etwa IT-Kräfte schwerpunktmäßig von IT-Abteilungen benötigt. Heute benötigt ein Automobilhersteller nicht nur in der IT-Abteilung IT-Fachkräfte, sondern auch bei der Produktentwicklung. Dieser Bedarf kann heute nicht mehr mit den eigenen Mitarbeitern gedeckt werden.

Internationale Fachkräfte können uns hier sicher helfen. Man muss aber immer die sozialen Gegebenheiten berücksichtigen: Wie kann man diesen Mitarbeitern ein entsprechendes Umfeld schaffen, damit sie sich hier auch wohlfühlen und dauerhaft in Deutschland bleiben wollen? Gerade der Mittelstand mit seinem familiären Ansatz kann sicherlich einen großen Beitrag leisten.

ZV: Wie könnten die Bedürfnisse eines digitalisierten Mittelstandes im Bereich der schulischen Bildung besser berücksichtigt werden?

HPM: (lacht) Ich muss an unsere Bundeskanzlerin denken, die sagte: „Die Kinder müssen programmieren lernen“. Ich weiß nicht, ob wir soweit gehen müssen. Ich denke, nicht jeder muss wissen, wie er programmieren kann, sondern er muss wissen: Wie funktionieren mein Handy und mein PC? Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Thema Daten-Sicherheit, speziell persönliche Daten. Schüler sind uns voraus in der Bedienung der Geräte, gehen aber etwas sorglos mit den eigenen Daten um. Die Schule muss hier sensibilisieren und die Vor- und Nachteile der einzelnen Technologien herausarbeiten.

ZV: Braucht ein mittelständisches Unternehmen eine Digitalisierungsstrategie?

HPM: Das ist ein Punkt, an dem kleine Unternehmen und Mittelständler von größeren Unternehmen lernen können. Ein Businessplan und eine damit verbundene Digitalisierungsstrategie sollten die Frage beantworten: Wohin wollen wir mit unserem Unternehmen in den nächsten drei bis fünf Jahren? Ebenso wichtig ist die Antwort auf die Frage: Was erwarten wir von der Digitalisierung? Entsprechende Prozesse sind ja kein Selbstzweck, sondern dienen dazu, die Profitabilität des Unternehmens zu steigern.

Externe Berater können hier helfen und die Unternehmen entlasten. Was ich ebenso gerne den mittelständischen Unternehmen empfehle, ist Kontakt zu einer Hochschule zu suchen. Studenten sind immer für Verdienstmöglichkeiten dankbar, haben aber auch immer wieder sehr kreative Ideen. Ebenso tauschen sich Startups gerne mit erfahrenen Unternehmen aus.

ZV: Was sind die größten Fehler, die man machen kann?

HPM: Das Festhalten an alten Gewohnheiten findet man in mittelständischen Unternehmen sehr häufig. Dann werden aber auch zu viele Dinge auf einmal begonnen. Das kann gerade im Mittelstand zu Problemen führen: Das Tagesgeschäft muss weitergehen und dann kommt eine neue Strategie mit neuen Aufgaben hinzu. Wenn man die Aufgaben nicht sensibel verteilt und den Mitarbeitern entsprechend Zeit gibt, fahren die Dinge aufgrund von Überforderung und Frustration an die Wand. Es ist sehr wichtig, umfangreiche Vorhaben in machbare Schritte zu zerlegen. Und vor allem die Mitarbeiter motivieren, den Transformationsprozess aktiv zu begleiten.

ZV: Haben Sie ein Beispiel für eine mittelständische Unternehmung, in der ein Digitalisierungsprozess besonders gut gelungen ist?

HPM: Ich hatte einen Fall, in dem wir alleine durch die Einführung eines CRM-Systems mehr Transparenz schufen, die Kunden und die Geschäftsbeziehungen analysierten, eine Aktionsliste für einzelne Kunden festlegten und dadurch den Umsatz um 15 bis 20 Prozent steigerten. Dies ist ein wichtiger Punkt: Die Digitalisierung kann mehr Transparenz bringen, Vertrieb, Marketing und andere Serviceabteilungen können wesentlich fokussierter auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen. So entstehen neue Freiräume, das Arbeiten macht wieder mehr Spaß, man ist erfolgreich und das Unternehmen freut sich über mehr Profitabilität.

ZV: Wie beurteilen Sie den Bereich der staatlichen Förderung von Digitalisierungsmaßnahmen? Welche Programme halten Sie für sinnvoll? Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

HPM: Das Thema Förderung ist für mich teilweise ein Buch mit Sieben Siegeln (lacht). Es gibt viele Programme, von der KfW, der Bundesregierung, der IHK. Ich empfehle mittelständischen Unternehmern generell, sich dort direkt beraten zu lassen. Darüber hinaus kann man auch auf den Rat von Banken zurückgreifen und auf freie Berater, die neutral beraten, um das Optimale herauszuholen. Insbesondere Steuerberater sollten immer hinzugezogen werden, da es bei den Fördermaßnahmen stets auch steuerliche Aspekte gibt. Es gibt auch Programme, die die Tätigkeit von Beratern in Unternehmen unterstützen. Das ist sehr hilfreich. Die Beratersätze sind für viele Mittelständler heute eine größere Herausforderung.

Ein Rat zu Verbesserungen ist schwierig: Momentan ist sehr viel Geld im Umlauf. Die Beschwerden des Mittelstandes zielen auf die Banken, die das Thema Sicherheit zu stark betonen. Wenn man Innovationen auf dem Markt einführt, kann man nicht sicher sagen: Bin ich wirklich erfolgreich? Da ist immer Risiko im Spiel. Und mit Risiken tun sich die Banken noch schwer. Und wenn die prognostizierten Umsätze nicht auf Anhieb eintreffen, sollte man sich zusammensetzten und schauen, wie man das Thema weiterentwickeln kann.

ZV: Eine letzte Frage: Was schätzen Sie besonders am Rhein-Neckar-Raum?

HPM: Ich kenne Deutschland sehr gut, da ich in verschiedenen Regionen gearbeitet habe. Was ich an der Metropolregion Rhein-Neckar sehr schätze, ist zum einen die kulturelle Landschaft und die Natur mit Odenwald und Pfalz. Ein wesentlicher Punkt ist jedoch auch die große Innovationskraft dieser Region: Wir haben Großkonzerne wie die BASF oder SAP, aber auch einen sehr guten Mittelstand. Dies drückt sich ja auch wieder in der niedrigen Arbeitslosenquote aus. Ich muss sagen, dies ist eine Region, in der es sich lohnt zu leben. Sie hat ein großes Potential, gerade in der Digitalisierung vorne mitzumischen.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Dipl. Betriebswirt (FH) Hans-Peter Mistele

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