Die Energiewende intelligent gestalten

Foto: acteno energy GmbH

Die Energiewende muss intelligent gestaltet werden. Nur so lassen sich die Herausforderungen meistern und die Potenziale erneuerbarer Energien voll ausschöpfen. Zeitenvogel sprach mit Wolfgang Krauss, Geschäftsführender Gesellschafter der acteno energy GmbH, über die Liberalisierung des Strommarktes, erneuerbare Energien und intelligente Messkonzepte.

ZV: Herr Krauss, was hat sich auf dem Energiemarkt in den letzten Jahren geändert?

WK: Die Liberalisierung des Energiemarktes schuf Wettbewerb und Innovation in den Segmenten Erzeugung, Transport, Verteilung und Handel. Wenig bekannt aber ist die Liberalisierung im Messwesen. Uns stellt sich jetzt die Frage: Wie können diese Segmente optimiert werden?

So werden erneuerbare Energien heute nicht mehr nur aufgrund von Subventionen ausgebaut. Diese Erzeugeranlagen können Energie vor Ort günstiger, mit höherer Effizienz als konventionelle Systeme bereitstellen. Es stellt sich aber die Frage, wie diese Systeme arbeiten. Hier kommt die Messtechnik ins Spiel. Wir möchten nämlich gewährleisten, dass wir unseren Energiebedarf sicher, bezahlbar und ökologisch decken können. Denn davon hängt unsere Volkswirtschaft insgesamt ab.

Meines Erachtens wird dabei nicht ausreichend diskutiert, wie wir die Energiewende auch als Lokalwende betreiben können. Es muss nicht immer alle Energie auf den Markt, sie muss nicht immer transportiert und verteilt werden. Wir müssen schauen, wie wir uns auf lokaler Ebene, in den Netzen, in den Gemeinden, in den Kommunen, in den Industriearealen vor Ort organisieren und optimieren.

ZV: Wird die Volatilität am Energiemarkt in den nächsten Jahren zunehmen?

WK: Bei erneuerbaren Energien denken wir häufig die Unplanbarkeit mit. Die Technologien entwickeln sich ja aber auch weiter, was Speichersysteme betrifft, was die Prognosequalität betrifft. Zuletzt dürfen wir auch nicht vergessen, dass sich auch die Verbrauchsseite durch Anreize flexibilisiert und lernen kann, mit der Volatilität auf der Erzeugerseite umzugehen.

ZV: Inwiefern ist hier insbesondere der gewerbliche Mittelstand betroffen?

WK: Der gewerbliche Mittelstand verfügt über ein erhebliches Potenzial. Sicherlich spielten die Energiekosten für Industrie und Gewerbe vor fünf bis acht Jahren keine allzu bedeutende Rolle. Das hat sich in den letzten Jahren schlagartig geändert: Steuern, Abgaben, Umlagen und auch insbesondere die Netzentgelte sind stark gestiegen. Der Anstieg dieser Posten kompensierte auch die teilweise rückläufigen Preise im Energiemarkt. Gewerbliche Unternehmen im Mittelstand müssen sich die Frage stellen: Wie gehen wir künftig mit unseren Energieversorgern um? Wie geht gestaltet der einzelne Unternehmer seine Energieversorgung oder bringt sich hierbei vielleicht auch selbst in die neuen energiewirtschaftlichen Marktrollen ein?

ZV: Was sollte sich ändern?

WK: Wir waren erstaunt darüber, dass vielfach wenig über den eigenen Stromverbrauch und den Zusammenhang der Energiekosten bekannt ist. Bisher war es häufig so, dass ein Unternehmen seinen Energiebedarf vielleicht einmal im Jahr ausgeschrieben und einen festen Preis vereinbart hat und. Dieser Preis galt dann erst einmal für das ganze Jahr. Stellen Sie sich vor, Sie würden nur einmal im Jahr auf Ihr Konto blicken und sich wundern, weshalb das jetzt weniger oder mehr geworden ist. Über das Messwesen können wir in Echtzeit Transparenz schaffen und die Frage beantworten, was in einem Unternehmen standortübergreifend aber auch anlagenspezifisch in energetischer Hinsicht passiert.

Mit den steigenden Steuern, Netzentgelten und Abgaben stellt sich in vielen Unternehmen auch die Frage: Wie können wir Energie selbst erzeugen und Speicherkapazitäten nutzen? Denn das ist ein wesentliches Potenzial zur Kostenreduktion. Unternehmen können sich sogar untereinander in eigenen Netzen zusammenschließen, selbst erzeugten Strom vor Ort direkt verbrauchen anstatt ihn erstmal über das Energienetz zu verteilen, zu vermarkten und ihn zurückzukaufen. Diese lokale Sichtweise wird in unserer künftigen Versorgung meiner Meinung nach außerordentlich wichtig sein.

ZV: An welche Kundenkreise wenden Sie sich mit acteno?

WK: Grundsätzlich ist Energie für jeden erforderlich, von Mittelständlern bis zu Industrieunternehmen. Wir haben uns darauf fokussiert Industrie, Gewerbe und Betreibern von Erzeugungsanlagen Unterstützung zu leisten. Man muss sich in Erinnerung rufen: 50 Prozent des Energieverbrauchs werden heute durch zwei Prozent der Abnahmestellen im Bereich Industrie und Gewerbe verursacht. Hier sehen wir das größte Hebepotenzial hin zu einem viel wirtschaftlicheren und effizienteren Umgang mit Energie.

ZV: Welche Serviceleistungen bieten Sie an?

WK: Es klingt vielleicht trivial, aber wir müssen zunächst verstehen, was mit der Energie in einem Unternehmen passiert: Unser Messstellenbetrieb zeigt auf, was an Energie erzeugt oder verbraucht wird. Wir geben den Unternehmen darüber hinaus Werkzeuge in die Hand, um zu verstehen wie sich ihr Energieverbrauch zusammensetzt. Mit unseren IT-Lösungen und durch die Verknüpfung der Verbrauchsdaten mit den kaufmännischen Daten schauen wir gemeinsam: Welche Flexibilitätspotenziale bestehen am Standort und in den Prozessen der Unternehmen? Wir schaffen damit ein Werkzeug für technische Dienstleister in den Bereichen Gebäudeinstandhaltung und Anlagentechnik.

ZV: Sie beraten ja auch atypisch arbeitende Unternehmen. Welche Unternehmen sind das?

WK: Das ist aus unserer Sicht ein häufig ungenutztes Potenzial. Unser Stromnetz ist ja auf maximale Belastbarkeit ausgelegt. Diese Belastung ändert sich aber im zeitlichen Verlauf. Unternehmen können ihren Beitrag dazu leisten, das Netz zu stabilisieren und zu entlasten, indem sie dafür sorgen, dass sie das Netz „atypisch“ beanspruchen, wenn es nicht ausgelastet ist. Das ist etwas, was erstaunlicherweise auch bei ganz konventionellen Kunden Anwendung finden kann. Messsysteme, Speichersysteme und moderne Steuerungstechnik stellen hier eine optimale Ergänzung dar. So können auch erhebliche Kosteneinsparungen verwirklicht werden. Wir haben kürzlich bei einem größeren Mittelständler an einem einzigen Standort Einsparungen von rund 350.000 Euro pro Jahr realisiert.

ZV: Mit welchen Herausforderungen sehen sich die Erzeuger erneuerbarer Energien heute konfrontiert?

WK: Bislang war es so, dass Erzeugungsanalagen erneuerbarer Energien überwiegend aus Gründen der EEG(Erneuerbare-Energien-Gesetz)-Einspeisungvergütung aufgebaut worden sind. In den letzten zwei Jahren gab es allerdings eine deutliche Degression in der Einspeisungsvergütung. Das hat zur Folge, dass die Betreiber dieser Erzeugungsanlagen bei der Neuerichtung ihrer Anlagen immer weniger Geld bekommen.

Nun bedeuten diese niedrigen Einspeisungsvergütungen einerseits, dass die Technologie ihre Netzparität erreicht hat, das heißt der Selbstverbrauch des erzeugten Stroms ist günstiger als der Netzbezug. Andererseits werden unsere Energiesysteme lokal immer komplizierter: Verschiedene Energieerzeugungsanalagen arbeiten vor Ort in unterschiedlicher Dynamik, hinzu tritt das Thema Elektromobilität. So stellt sich die Frage, wie diese Systeme lokal in sich optimiert werden können.

ZV: Sie hatten bereits Energiespeicher erwähnt. Wie wichtig ist auf einer betrieblichen Ebene die Integration von Speichersystemen wie etwa Power-to-Gas?

WK: Durch diese Systeme können Unternehmen noch mehr dazu beitragen, das Netz vor Ort zu entlasten, entweder im Bereich der atypischen oder der lastintensiven Netznutzung. So sind bis zu 90 Prozent Entlastung auf das Netzentgelt möglich. Individuell ist darüber hinaus noch eine Kombination mit dezentralen Erzeugungsanlagen wie KWK (Kraft-Wärme-Koppelung), Photovoltaik oder auch Brennstoffzellen möglich.

ZV: Letztlich kommt dann auch wieder Ihr Unternehmen acteno ins Spiel. Wie muss man sich Ihre Antwort technisch vorstellen? Welche Module bieten Sie an? Welche Kosten entstehen?

WK: Der Einstieg bildet bei uns ganz klar das Messwesen. Nur, was gemessen wird, kann auch in sich optimiert werden. Wir tauschen zunächst an allen Punkten, wo ein Unternehmen heute Energie benötigt, den konventionellen Zähler des Netzbetreibers gegen unser Messsystem aus. Dabei sind keine technischen Erweiterungen notwendig. Die Kosten für den Zähler des Netzbetreibers entfallen.

Wir bauen ein Messsystem ein, das in der Lage ist, den Kunden ständig über seinen Energieeinsatz zu informieren. Wir bieten also mehr Leistung für weniger Geld. Gemeinsam mit dem Kunden optimieren wir dann mit den durch uns erfassten Messwerten in weiteren Schritten das Energiesystem vor Ort.

ZV: Eine der großen Befürchtungen ist ja, dass intelligente Energiesysteme gehackt oder Daten abgegriffen werden.

WK: Das ist ein Punkt, der in der Versorgungswirtschaft ganz besonders berücksichtigt werden muss. Die Wechselrichter, über die dezentrale Energiesysteme in den Markt eingebunden sind, sind ja manchmal auch steuerbar. Sie können so unter Umständen das Netz negativ beeinflussen. Es ist die Aufgabe von uns allen zu schauen, wie wir unsere Systeme so gestalten, dass sie nicht nur sicher sind, sondern auch resilient für den Fall, dass doch einzelne Komponenten ausfallen. Eine Gesamtversorgungssicherheit muss gewährleistet werden können.

Unsere Messsysteme sind nicht steuerbar. Sie können nicht aktiv Steuerhandlungen im Zähler auslösen. Unsere Zähler sind darüber hinaus in ein privates Netzwerk eingebunden. Das heißt sie „sprechen“ nicht direkt mit dem Internet, sondern können nur über unsere Datenzentren, die in Deutschland stehen, überhaupt eingebunden werden. Insofern reduziert sich die Angriffsfläche ganz erheblich.

ZV: Wie kamen Sie auf die Geschäftsidee für acteno?

WK: Es ist recht außergewöhnlich, sich die Rolle des Messstellenbetreibers auszusuchen. Ich hatte das große Glück, 2008 bei SAP in verschiedene Forschungsprojekte zum Thema Energie eingebunden gewesen zu sein. Damals stellte sich die Frage, was wir mit den aufkommenden Messsystemen machen sollen. Häufig wurde diese Frage nur für Netzbetreiber und Lieferanten beantwortet. Ich glaubte allerdings fest daran, dass der Nutzen dieser intelligenten Messsysteme hauptsächlich beim Kunden liegen sollte, bei denen, die Energie erzeugen und verbrauchen und bei denen, die heute neue Rollen im Markt ausüben, also den Speicherbetreibern und Direktvermarktern. Das war die Motivation.

ZV: Und wie entwickelte sich acteno?

WK: Wir fanden rasch die relevanten Marktpartner für Verbraucher, Erzeuger und Speicherbetreiber. Dann entwickelten sich daraus eine ganze Reihe weiterer Themen: Wie lassen sich Speicher optimal betreiben? Wie funktionieren Netze in Verbindung mit unseren Messsystemen? Es gab einen Businessplan, aber die Haupttreiber unserer Entwicklung waren und sind die Kunden und Partner, mit denen wir letzten Endes gewachsen sind. Sie definieren die Erfordernisse am Markt, was einen Wert und was keinen Wert hat.

Auch fanden und finden wir hervorragende Mitarbeiter, die mitunter total branchenfremd in unser Unternehmen eingestiegen sind. Wir müssen diese unterschiedlichen Disziplinen möglichst optimal zusammenbringen. Das ist nicht immer einfach, denn der Energiemarkt in Deutschland und Europa ist sehr speziell, aber hier liegen auch große Chancen.

ZV: Wie wichtig ist für Sie die Kooperation mit Hochschulen?

WK: Das kann man gar nicht hochgenug einschätzen. Wir sind an der SRH-Hochschule mit einem EXIST-Gründerstipendium gestartet. Das EXIST-Programm lieferte eine hervorragende Grundlage, frei agieren zu können. Insbesondere die pragmatische Haltung von Professor Fischer, der das SRH-Gründerinstitut aufgebaut hat, begeisterte mich: Für ihn ist Gründertum nichts Abstraktes. Wir können es nicht alleine aus Lehrbüchern ableiten, sondern wir müssen es leben. Mein Dank gilt besonders ihm, aber auch der Hochschulgemeinde, von der wir bei den ganz praktischen Themen unterstützt worden sind. Von der Hochschule kommen auch Studierende, die bei uns ihre Masterthesis schreiben oder auch ein Praktikum absolvieren.

ZV: Wenn Sie auf Ihre eigenen Gründungserfahrungen zurückblicken: Wo sehen Sie politischen Verbesserungsbedarf bei der Förderung von jungen Gründern?

WK: In Deutschland sind wir eigentlich schon toll ausgestattet, mit all den Möglichkeiten, aber auch mit der Rechtssicherheit. Allerdings neigen wir zur Regulierungswut. Das merken wir in der Energiewirtschaft ganz außerordentlich. War das EEG anfangs etwa 10 Seiten stark, hat es heute 160 Seiten. Wir haben ein eigenes Gesetz zum Messstellenbetrieb, wir haben eine Ladesäulenverordnung. Auf der einen Seite will Politik sicher gestalten und bewegen. Auf der anderen Seite hemmt diese Regulierung in vielen Bereichen und bringt ein hohes Maß an Unsicherheit mit sich. Wenn sich Regularien ändern, können ganze Geschäftsmodelle zusammenbrechen. Abgesehen davon sollten Startups vielleicht – wie in den USA – ganz bewusst in öffentliche Aufträge miteingebunden werden.

ZV: Als letzte Frage: Was sind die wichtigsten Eigenschaften eines Gründers?

WK: Wenn ich auf unsere Anfangszeit zurückblicke: Interesse, Eigenmotivation, raus zu den Kunden gehen, mit ihnen sprechen, ihre Probleme verstehen, Lösungen schaffen. Darüber hinaus: hartes Arbeiten, Sorgfalt, Kostendisziplin. Fremdkapital und Eigenkapital zu gewinnen ist das eine, die Konzentration auf den Kunden, auf die Anwendung, auf das Wachstum mit den eigenen Kunden ist aber mindestens ebenso wichtig.

ZV: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Wolfgang Krauss

Geschäftsführender Gesellschafter

acteno energy GmbH

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www.acteno-energy.de

wolfgang.krauss@acteno-energy.de

Beitragsbild: acteno energy GmbH