Perlenfischer im Neckartal

Wissen | schafft | Stadt. Unter diesem Motto sucht die Internationale Bauausstellung Heidelberg (IBA) seit 2012 Modelle für die Wissensstadt von morgen. Eine sehenswerte Ausstellung im künftigen Mark-Twain-Center für transatlantische Beziehungen Heidelberg präsentierte vom 27. April 2018 – 8. Juli 2018 das in den letzten fünf Jahren Gefundene: Projekte, Kandidaten und Prozesse, die sich um und zwischen die Leitthemen Wissenschaften, Lernräume, Vernetzung, Stoffkreisläufe und Koproduktion gruppierten. Heidelberg als Wissensperle (knowlegde pearl) – unter diesem Blason versammelt sich die IBA.

 

Schilder markierten die IBA-Projekte im Stadtraum

Schilder markierten die IBA-Projekte im Stadtraum; Foto: IBA Heidelberg | Tobias Dittmer

 

Ein schwieriges Terrain

 

Gleichwohl waren die letzten Jahre der IBA Heidelberg zwischen „Stadt“ und „Wissen“ nicht immer einfach. Das Neckartal mag es gemütlich, ansehnlich und anschaulich. Hier ist für ziemlich viele ziemlich viel genau so gut, wie es ist. Die „Stadt“ hatte bei der IBA nur wenig Konkretes zu bestaunen. Heidelberger lieben aber Handfestes, entweder in kulinarischer Form oder als konkrete Planung, gegen die sie sich leidenschaftlich streitend engagieren können. Andere Heidelberger lieben ihr bodenständiges Betongold. Man kann nicht sagen, dass in Heidelberg keiner baut oder saniert. Es muss sich aber rechnen und rentieren. Gentrifizierung ist ja auch irgendwie Stadtentwicklung. Wozu braucht man dann die IBA?

Und das „Wissen“? Das „Wissen“ wollte sich in Heidelberg nicht so recht aus seinen gläsernen Elfenbeintürmen locken lassen. Experimente gehören nämlich an den Universitäten und Forschungseinrichtungen zum Alltag und vom Ausnahmezustand will dort nach der Wissenschafts- und Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte niemand mehr etwas hören. Drittmittel hatte die IBA faktisch kaum zu bieten und so setzte man sich lieber wieder an den eigenen DFG-Antrag.

Dann gibt es aber noch das Salz in der Heidelberger Suppe. Bürgerinnen und Bürger, die ihre großen und kleinen Welten mit viel Herzblut und noch mehr Visionen ein Stück besser machen wollen. Es schmerzt und verletzt dann besonders, wenn Entwürfe und Projekte als nicht realisierbar oder nicht förderungswürdig beurteilt und die Kommunikationsweichen auf das Abstellgleis umgelegt werden.

 

Impressionen aus der Ausstellung

Impressionen aus der Ausstellung; Foto: IBA Heidelberg | Tobias Dittmer

 

Projekte und Visionen

 

Das bedeutet nicht, dass die IBA nichts vorzuweisen hätte. Ganz im Gegenteil. Die Ausstellung präsentierte bei genauerem Hinsehen einige vielversprechende Projekte, in denen sich Stadt und Wissen verbinden können: das Collegium Academicum zum Beispiel, ein selbstverwaltetes Studierendenwohnheim oder der „Andere Park“, eine Grünanlage, die zugleich ein Ort des Wissens und ein Ort der Kultur sein soll. Oder der Energie- und Zukunftsspeicher in der Hans-Bunte-Straße, der die Energiewende erlebbar macht. Den größten Raum der Ausstellung nahm jedoch ein visionäres Modell des Patrick-Henry-Village in Anspruch. Die Entwicklung dieser Konversionsfläche kann wohl als das zentrale Projekt, als dauerhaftester Beitrag der IBA zur Stadtentwicklung Heidelbergs angesehen werden. Ein Griff nach den Sternen, in denen künftige Nutzungen des Areals stehen.

 

Das IBA_LAB

 

Wie aber kann sich Heidelberg für eine noch unbekannte Zukunft aufstellen? Welche Entscheidungen müssen getroffen werden? Und auf einer abstrakteren Ebene: Wie muss sich die europäische Stadt transformieren, um den Anforderungen einer künftigen Wissensgesellschaft gerecht zu werden? Antworten auf diese Fragen suchte das sechste IBA_LAB. Die jährlich stattfindende Fachkonferenz wurde dieses Jahr zur Finissage der Zwischenpräsentation ausgestaltet.

 

St. Michael

IBA in St. Michael; Foto: Stefan Burkhardt

 

Der Tagungsort ist gut gewählt. St. Michael in der Südstadt verkörpert wie wenige Heidelberger Kirchen die Ambivalenz des Städtebaus: Sinnbild visionärer Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre, optimistisch zu groß dimensioniert, ohne Ahnung kommender gesellschaftlicher Entwicklungen, von der Entkirchlichung bis zum demographischen Wandel. Nun sucht man neue Nutzungsmöglichkeiten für den Sakralbau mit seinen mächtigen Betonträgern, der Bruchsteinverkleidung und den von Albert Burkart entworfenen Glasfenstern. Wohin die Reise einer möglichen Umnutzung gehen kann, zeigte der vergangene Donnerstag. Die IBA Heidelberg ist in St. Michael zu Gast. Diese Wahl steht auch stellvertretend für die Stadtentwicklung Heidelbergs: Mit den Campbell Baracks rückt die Südstadt wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit, kann eines der jungen, kreativen Quartiere werden.

DIe Luft am Abend changiert zwischen schwül und lau. Ein Fairhandelshaus sorgt für die Bewirtung. Intensiv diskutierende Zweierpaare und Dreiergruppen betreten den Raum. „Guter Abschluss“ und „allgemeine Erleichterung“ spiegeln sich in den Gesichtern. Von außen dringt der Refrain „IBA – Wissen schafft Stadt in Heidelberg“ zur Melodie von Tom Jones‘ Sexbomb ans Ohr. Wissen schafft Stadt oder schafft die Stadt irgendwann auch das Wissen?

 

Zwischen Smart City und Partizipation

 

Harald Welzer (FUTURZWEI Stiftung, Universität Flensburg) wirft in seinem Abendvortrag einen Blick auf die Zukunft der Städte und gibt thematische Leitlinien der folgenden Tage vor. Er wählt einen dunklen Einstieg: die offene Gesellschaft massiv unter Druck, die „Kinder der Moderne“ gleichsam im Schlaf von ihren Feinden überrascht. Lässt sich die Moderne, gerade auch im Städtebau, überhaupt fortsetzen? Welches Ideal bietet sich an? Welzer ringt mit den Antworten: Der Weg in die Smart City ist nicht vielversprechend. Mit ihrer vollkommenen Transparenz verkörpert sie das Gegenteil einer offenen Gesellschaft. Gefordert ist vielmehr eine Stärkung städtischer Diversität, die Überwindung der Trennung zwischen Natur und Stadt. Wie zur Bestätigung hallt eine umfallende Wasserflasche durch das Kirchengebäude.

 

Harald Welzer

Harald Welzer; Foto: IBA Heidelberg | Tobias Dittmer

 

Die Auseinandersetzung mit diesen Themen beherrscht auch den folgenden Tag. So kritisiert etwa Nicolas Buchoud (Renaissance Urbaine, Paris) erneut die Smart City: Nein, eine Stadt kann nicht wie ein Computer organsiert werden. Die offene Frage der Zukunft ist jedoch, ob die Stadtbewohner die Technologie beeinflussen können. Buchoud warnt vor einer einer Überfestivalisierung der Smart Cities bei einer gleichzeitigen Spaltung der städtischen Gesellschaft: Sind auch die Menschen auf der Schattenseite der Städte smart? Abhilfe können smarter interactions bieten. Nicht nur neue Produkte sind notwendig, sondern auch eine neue Kultur des Miteinanders.

Susanne Hofmann (die Baupiloten Berlin) spannt später diesen Bogen von der Partizipation zu sozialer Integration und schließlich zur Gestaltung einer partizipativen Architektur weiter. Gleichwohl gerät die Machtfrage nicht aus den Augen der Diskutanten: Wer hat Macht? Wer fühlt sich machtlos? Wer maßt sich Macht an? Digitalisierung kann, so wird deutlich, die Transparenz von Planungsprozessen steigern.

 

Punk und Brückenbau

 

Die Tagung beschließend formuliert Walter Siebel (IBA-Expertenrat des Bundes) am Abend kritische „Thesen zur Halbzeitbilanz“. Eine IBA hat es, so Siebel, vor allem aus drei Gründen nicht einfach: Erstens muss sie unsichere Zukunftsprognosen treffen. Zweitens stellt eine IBA Fragen, die von der Politik bislang nicht gestellt wurden. Deshalb ist es auch schwierig, politische Unterstützung zu erlangen.  Drittens verfügt eine IBA – und insbesondere die IBA Heidelberg – nur über begrenzten Handlungsspielraum, nicht zuletzt in monetärer Hinsicht.

Siebel ist sich aber sicher: Trotz allem gibt es gute Perspektiven. Eine Stadt wie Heidelberg ist eine Art Zufallsgenerator für Informationen und Kontakte, das erlaubt die Neuinterpretation impliziter Wissensbestände. Diese Wissensbestände werden in kreativen Milieus gespeichert, kritisch reflektiert und weitergegeben. Somit kann die Stadt zu einer Quelle von Innovationen werden: „Die Stadt schafft Wissen“. Die IBA muss, so Siebel, Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Stadt zu sein. Offen bleibt jedoch auch in der anschließenden Podiumsdiskussion die alte Frage, „wie die Systemlogiken des Brückenbaus zwischen Wissenschaft und Stadt geknackt werden können“. Siebel räumt ein, dass eine gute Planung, immer auch die Möglichkeit des Scheiterns kalkuliert. Jürgen Odszuck (Erster Bürgermeister der Stadt Heidelberg) bleibt gelassen: „IBA und Patrick-Henry-Village sind Punk – gefährlich und spannend zugleich“.

Da fallen einem doch gleich die Songzeilen aus „Anarchy in the UK“ ein: „Don’t know what I want. But I know how to get it“. Die Suche der IBA „zwischen Experiment und Bodenhaftung“ geht weiter.

 

Das vollständige Tagungsprogramm ist hier ersichtlich.

 

Beitragsabbildung: © IBA Heidelberg | Tobias Dittmer